Wenn wir uns immer öfter fremd fühlen im eigenen Land, so sind daran weniger arme Flüchtlinge schuld als eitle Großstadt-Yuppies. Kürzlich riskierte ich in einem Berliner Szenelokal eine Bestellung von Käsespätzle. Da kratzte sich der Kellner erst sein Bärtchen, dann den Dutt, blickte mich verständnislos an.
„Ach ja, haha“, lenkte ich sofort ein: „Das kennt man hier wahrscheinlich gar nicht. Das ist eine badische, manche sagen schwäbische, Teigware mit …“ – „I‘m so sorry“, fiel der junge Mann mir ins Wort. „But we don‘t speak Finnish.“
Meine Scham hielt noch an, als ich längst wieder auf dem Heimweg war. Typisch deutsch von mir mal wieder, dachte ich: zu glauben, die ganze Welt müsse meine Muttersprache verstehen!
Nachts schoss mir dann ein Gedanke durch den Kopf. Ich spreche doch gar kein Finnisch? Und überhaupt: Ich war doch gar nicht irgendwo in der Welt unterwegs, sondern in meiner eigenen Hauptstadt? Ja, wo soll ich denn auf Deutsch ein Gericht bestellen können, wenn nicht hier?
Wer Englisch spricht, verweigert Integration
In der Wochenzeitung „Die Zeit“ bat die in Berlin lebende britischstämmige Verlegerin Sharmaine Lovegrove unlängst darum, wenigstens einmal von einer deutschen Speisekarte bestellen zu dürfen. Auf Deutsch. Wie man es hierzulande für selbstverständlich halten sollte. Zwar sei sie des Englischen weiterhin mächtig, und ja, vermutlich merke man ihrer Zweitsprache einen Akzent an. Das werde sich aber nur bessern, wenn sie diese auch mal anwenden darf. „Wer als Deutscher mit uns Englisch spricht, verweigert die Integration.“
Lovegrove vermutet den Holocaust als Grund für dieses verschämte Versteckspiel mit unserer Muttersprache. Doch das stimmt nicht. Denn der Englisch-Wahnsinn grassiert weltweit.
In Griechenland etwa nimmt die legendäre Gastfreundlichkeit inzwischen Ausmaße kollektiver Selbstverleugnung an. Als ein Freund von mir berichtete, er werde sogar als Einheimischer in Athen grundsätzlich erst mal auf Englisch angequatscht, machte ich im Urlaub die Probe aufs Exempel. Meine Sprachkenntnis mag zur Verteidigung einer Doktorarbeit ungenügend sein – für die Taverne reicht sie allemal.
Der Gesprächsverlauf war überall ähnlich ernüchternd: „Lipon“, leite ich meine Bestellung ein. „Archika tha ithela enan kokkino krasi!“ – „First of all you want a red wine!“, korrigiert mich die Bedienung, als sei sie ein Papagei mit eingebautem Übersetzungsprogramm. „Meta tha paro mia choriatiki“ – „Then you take a greek salad“, sagt der Papagei und nickt verständig. „Ligo psomi tha itan oraio“ – „Some bread would be nice“, belehrt mich der Papagei. „Kai ena megalo boukali nero!“ – „A big bottle of water, sure!“ Als alles auf dem Tisch steht, bedanke ich mich, „Efcharisto“. „Bon Appetito“, sagt der Papagei. Offenbar ist seine Nadel versehentlich auf die Italienisch-Platte umgesprungen.
Beim Sprechen ist Schluss
Es ist im Land von Homer, Sophokles und Aristoteles nicht mehr möglich, auf Griechisch zu kommunizieren. Anders als ihre Berliner Kollegen können die Kellner die Sprache ihres Landes zwar immerhin noch verstehen. Beim eigenständigen Sprechen ist aber Schluss.
„Wenn wir euch nicht verstehen, liegt das an uns, nicht an euch“, sagt Sharmaine Lovegrove. Was sie gar nicht ahnt: Die Kellner in Berlin beherrschen die Sprache ja wirklich nicht.