Frau Frier, wie groß war Ihr Respekt vor dieser außergewöhnlichen Rolle?
Ein Riesenrespekt war schon da, aber die Freude an der Herausforderung hat ganz klar überwogen: Das Asperger-Syndrom – also der vermeintliche Defekt, mit dem Ella lebt – ist ja das genaue Gegenteil von dem, wie wir sozialisiert sind und wie wir auf unsere Mitmenschen normalerweise reagieren. Ella nimmt ihre Umwelt durch eine ganz eigene Perspektive wahr. Um in Ellas Universum einzutauchen, musste ich also erst mal auf einen Reset-Knopf drücken, meine natürlichen Impulse runterfahren und die Synapsen neu verbinden.
Wo stößt Ella als Asperger-Autistin an ihre sozialen Grenzen?
Ihr Handeln geht nie in einen emotionalen, diffusen Bereich über, sondern bleibt immer auf der rein sachlichen, sehr überschaubaren Ebene. Die Empfindungen ihrer Mitmenschen bleiben für Ella immer eine Fremdsprache. Deshalb ist sie auch nicht in der Lage, Gefühle nachzuempfinden oder Ironie zu erkennen. Das ist alles totale Strapaze für einen Asperger.
Wie schwer war es für Sie als Schauspielerin, die reduzierte Körpersprache quasi auf Knopfdruck umzusetzen?
Ob das nun reduziert oder viel ist, das war mir letztlich egal. Aber es muss in den Körper. Der Körper muss begreifen, was er da zu tun hat. Das muss man üben und sich physisch regelrecht erkämpfen. Wie beim Tennis- oder Klavierspielen: Man muss die Bewegungen so oft wiederholen, bis sie irgendwann wie von selbst ablaufen.
Kannten Sie schon vorher Menschen mit Asperger-Syndrom?
Ja, einen – aber ohne, dass ich es wusste. Seine Ehefrau hat es mir neulich erst erzählt. Und das war gut so. Vorher hatte ich immer gedacht: Warum verhält der sich so merkwürdig? Warum ist der so ätzend? Heute verstehe ich den Grund und sehe den Mann mit anderen Augen. Ich kann nun mein eigenes Verhalten ihm gegenüber ändern, denn er wird sich nicht verändern. Menschen wie er und Ella werden ja nicht geheilt, Asperger ist eine lebenslange Diagnose.
Ellas Eigensinn wirkt ungewollt komisch.
Stimmt. Und genau das hat mir am Drehbuch so gefallen: Komik entsteht ja dort, wo Widersprüche aufeinanderprallen. Echte Komik muss man sich nicht aus den Fingern ziehen oder künstlich erschaffen, die entsteht einfach. Und das funktioniert hier immer dann besonders gut, wenn Ella anderen die Wahrheit vor den Latz knallt. Und ich denke, dass viele Menschen diesen Humor teilen werden, wenn sie den richtigen Knopf auf ihrer Fernbedienung finden (lacht).
Warum dieser Nachsatz?
Wegen des besonderen Sendetermins: Der Sonntagabend-Platz im ZDF – ich finde, das ist der schönste und zugleich schrecklichste Sendeplatz im deutschen Fernsehen. Weil man immer mit dem Tatort konkurriert. Aber gleichzeitig ist das auch eine tolle Chance, weil sich viele Menschen am Sonntagabend vor den Fernseher setzen. Das ist vielleicht der einzige Abend, wo wirklich noch Fernsehen geguckt wird.
Man sieht Sie überwiegend in Komödien. Haben Sie auch schon als Kind gerne Menschen zum Lachen gebracht?
Ich komme aus einer fröhlichen Familie, und ich will gerne einen guten Tag haben. Das heißt, ich gehe lieber lächelnd durchs Leben als miesepetrig. Mir ist die Zeit einfach zu schade, um mich schlecht gelaunt durch den Alltag zu kämpfen. Trotzdem kann man sich mit mir tatsächlich auch stundenlang über ernste Themen unterhalten. Und ich lese auch gerne gute Bücher, in denen kein einziger Witz vorkommen muss. Aber im Alltag brauche ich Humor ganz dringend als Waffe fürs Überleben. Ich wüsste sonst gar nicht, wo ich mich lassen soll.
Steht Ihnen Ihr Image denn bei Rollen-Angeboten manchmal im Weg?
Also, ich würde liebend gerne auch mal Antagonisten spielen, doch die werden mir höchst selten angeboten. Weil ich so waaaahnsinnig sympathisch bin (lacht). Das hat wohl tatsächlich mit meiner Ausstrahlung zu tun. Ich hab’ mir nun mal angewöhnt, mein Leben möglichst positiv zu betrachten. Denn das Leid ist ohnehin da. Trotzdem mag und spiele ich natürlich auch ernste Rollen. Und kann das auch. Denn traurig zu spielen und eine Situation abzubilden, die traurig ist, das ist verhältnismäßig leicht. Also her mit den Gegenspielerinnen, Widersachern und Bösewichten! (lacht)
Sie sind Mutter von Zwillingen – was geben Sie Ihren Kindern als inneren Kompass mit auf den Lebensweg?
Ich glaube, der innere Kompass ist das, was man jeden Tag lebt. Mein Mann und ich schwingen bei unseren Kindern nicht die großen Worte, was im Leben alles wichtig ist. Sondern wir versuchen, ihnen die Kindheit möglichst freudvoll zu gestalten, sie zu begleiten. Wir tun auch nicht so, also ob wir immer wüssten, wie alles geht. Aber sie werden viel geküsst und viel gedrückt.
Klingt nicht nach strenger Erziehung …
Ich kann auch anders! (lacht) Also, ich hab’ keine Dogmen, und ich mache meinen Kindern keine Vorschriften, dass irgendwas unbedingt so sein muss. Da ist öfters schon mal der Schlendrian drin, und die beiden sind auch sehr verwöhnt. Aber sie sind trotzdem sehr gut gelungen.
Zur Person
Annette Frier (44) wurde durch ihre Auftritte in Comedy-Hits wie „Switch“ und „Die Wochenshow“ bekannt. Die Schauspielerin gewann fünf Mal den Deutschen Comedy-Preis (unter anderem für „Danni Lowinski“). Frier ist mit dem Drehbuch-Autor und Regisseur Johannes Wünsche verheiratet, Mutter von Zwillingen und lebt in Köln. Am 8. und 15. April 2018 jeweils um 20.15 Uhr ist sie als Rechtsreferendarin mit Asperger-Syndrom in der neuen ZDF-Reihe „Ella Schön“ zu sehen.