Wenn man sich der Welt entziehen möchte, ist Schloss Balmoral im Norden Schottlands sicherlich nicht der schlechteste Ort dafür. Gelegen inmitten von Wäldern und umgeben von hohen Bergen, ist es geradezu ein verwunschener Ort. Das Gebäude erinnert mit seinen Erkern und Türmen an eine lange vergangene Zeit, als man sich durch dicke Mauern und breite Gräben noch vor unerwünschten Besuchern schützen konnte.

Das ganze Königshaus hat sich verschanzt

Der britische Prinz Andrew scheint genau dieses Ziel zu verfolgen. Er hält sich seit Wochen auf dem königlichen Anwesen auf. Und das, obwohl seine älteste Tochter Beatrice am Wochenende in einem Londoner Krankenhaus ein Kind zur Welt gebracht hat. Beobachter vermuten, dass der 61-Jährige das Schloss deshalb nicht verlässt, weil er sich einer Zivilklage durch Virginia Giuffre entziehen will. Die 38-jährige Amerikanerin wirft ihm vor, sie als Minderjährige misshandelt zu haben, drei Mal auf den Anwesen des mittlerweile verstorbenen Sexualstraftäters Jeffrey Epstein – in London, New York und auf den Jungfern-Inseln. Sie verlangt nun Schadenersatz. Der Prinz weist bislang alle Vorwürfe zurück.

Virginia Roberts Giuffre will Gerechtigkeit. Dreimal sei sie zu Sex mit Prinz Andrew gezwungen worden, sagt sie.
Virginia Roberts Giuffre will Gerechtigkeit. Dreimal sei sie zu Sex mit Prinz Andrew gezwungen worden, sagt sie. | Bild: Bebeto Matthews/AP/dpa

Tatsächlich scheint es so, als habe sich nicht nur Andrew, sondern das ganze Könighaus verschanzt, um die Klage abzuwehren. Denn alle Versuche, die Benachrichtigung des US-amerikanischen Gerichts an den Prinzen zu überbringen, scheiterten – bis jetzt. Im August hatte ein beauftragter Bote sogar versucht, die Dokumente an der Pforte des „Windsor Great Park“ abzugeben – vergebens. Erst einen Tag später erklärte sich ein Polizist bei einem erneuten Besuch des Boten bereit, den Umschlag an die zuständige Rechtabteilung weiterzuleiten.

David Boies, Guiffres‘ Anwalt, ging daraufhin davon aus, dass die Dokumente den Prinzen nun erreicht hätten. Doch er wurde Mitte September eines Besseren belehrt, berichtet die BBC. Denn Andrew Brettler, Prinz Andrews Anwalt in den USA, behauptete, dass der Herzog von York von nichts wisse und überdies ein britisches Gericht damit betraut werden solle, ihn über die Klage zu informieren. David Boies schickte den Brief nun stattdessen an besagten Anwalt in den USA – per E-Mail und FedEx.

Ignorieren, anfechten, gestehen oder einigen

Laut Amber Melville-Brown von der Anwaltskanzlei Withers hat der Prinz ab dem Zeitpunkt der Zustellung der Klage vier Möglichkeiten. „Keine davon ist besonders attraktiv“, sagt sie. Er könne die Vorwürfe ignorieren, sie anfechten, gestehen oder versuchen, sich mit Virginia Giuffre zu einigen. Ob er sich dem New Yorker Gericht stellt, sei ihm überlassen, erklärt Nick Goldstone von der Kanzlei Ince. Tut er das jedoch nicht, kann es passieren, dass der Fall in seiner Abwesenheit verhandelt wird. Und dann kann sich Andrew nicht gegen die Vorwürfe verteidigen.

Beobachter des Prinzen kritisieren schon seit einer Weile die Katz-und-Maus-Strategie seiner Anwälte. Sie finden, dass diese den Klägern in die Hände gespielt habe. Die Tageszeitung „Telegraph“ berichtet von regelmäßigen Krisensitzungen auf Schloss Balmoral. Die Befürchtung: „Eine Mauer des Schweigens“ könne der Monarchie schaden. Eine Erfahrung, die das Königshaus schon häufiger machen musste.

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Dass es schief gehen kann, sich öffentlich zu äußern, hat Prinz Andrew jedoch im Jahr 2019 spektakulär bewiesen. Damals stellte er sich den Fragen der BBC-Journalistin Emily Maitlis. Was als Befreiungsschlag gedacht war, endete in einem Desaster. Er verlor kein Wort der Reue über die Freundschaft mit dem verurteilen Sexualstraftäter Jeffrey Epstein, der mittlerweile verstorben ist. Schlimmer noch: Auch an die Begegnung mit der damals 17-jährigen Giuffre, damals Roberts, könne er sich nicht erinnern, behauptete er. Und das, obwohl ein Foto existiert, auf dem er sie umarmt.

Prinz Andrew mit der damals minderjährigen Virginia Roberts (Mitte). Rechts ist Ghislaine Maxwell zu sehen, wegen der „Anwerbung ...
Prinz Andrew mit der damals minderjährigen Virginia Roberts (Mitte). Rechts ist Ghislaine Maxwell zu sehen, wegen der „Anwerbung minderjähriger Mädchen für Sex“ angeklagt ist. | Bild: US Second Circuit Court

Giuffre erneuerte zwei Wochen später ihre Vorwürfe gegen den Prinzen, ebenfalls in einem Interview mit der BBC. „Es dauerte nicht sehr lange, die ganze Prozedur. Es war ekelhaft“, sagte sie damals. Um dann unter Schluchzen zu resümieren: „Ich konnte einfach nicht verstehen, wie mächtige Menschen auf der höchsten Ebene der Regierung das zulassen konnten.“

Offenbar hält nur noch die Queen zu ihm

Ob die Vorwürfe der 38-Jährigen der Wahrheit entsprechen, darüber muss ein Gericht entscheiden. Innerhalb des Könighauses hat die Freundschaft zwischen Prinz Andrew und Jeffrey Epstein jedoch schon vor einiger Zeit Konsequenzen nach sich gezogen. Der Herzog von York legte auf Druck der Royals, vor allem aber durch Charles, alle öffentlichen Ämter nieder. Die Queen scheint jedoch weiter zu ihm zu halten. Sie leistet sie ihrem zweitältesten Sohn aktuell Gesellschaft auf Schloss Balmoral.