Lieber Dominic,
was soll man da sagen? Erst mal herzlichen Glückwunsch, oder? Den Zauberschüler Harry Potter in einer Serie spielen zu dürfen, das ist aus beruflicher Sicht ja wie ein Sechser im Lotto. Du stehst noch ganz am Anfang deiner Karriere als Schauspieler, weißt aber jetzt schon, dass du dir in den kommenden Jahren keine Sorgen um einen Mangel an Rollenangeboten machen musst – denn du wirst gar keine Zeit haben, an was anderes als Harry Potter hier und Harry Potter da zu denken. Jede Staffel der Serie von HBO und Warner Bros. soll eine werkgetreue Adaption eines der sieben Bücher von Autorin J.K. Rowling sein. Du spielst die Hauptfigur – und wer die Bücher und die Filme kennt, weiß: Harry Potter ist nur in wenigen Szenen nicht dabei.
Wenn die Dreharbeiten in ein paar Jahren beendet sein werden, dürftest du ein gestandener Schauspieler sein und finanziell ausgesorgt haben. Deine Eltern wären schön blöd, wenn sie keine ordentliche Bezahlung ausgehandelt hätten. Daniel Radcliffe, der die Rolle des Nachwuchs-Zauberers in acht Filmen gespielt hat, soll heute über ein Vermögen von annähernd 100 Millionen Pfund verfügen.

Aber ich hoffe doch mal, dass du keinen Gedanken ans Geld verschwendet hast, als du dich – wie 32.000 andere Kinder zwischen neun und elf Jahren – für eine der Hauptrollen beworben hast. Sondern dass du zu denen gehörst, die heimlich davon geträumt haben, dass sie spätestens an ihrem elften Geburtstag einen Brief aus Hogwarts erhalten: „Sehr geehrter Mr. McLaughlin, wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass Sie an der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei aufgenommen sind.“
Ob du per Eulenpost informiert wurdest, dass du die Rolle bekommen hast? Vermutlich nicht – schade eigentlich. Aber so oder so hoffe ich, du hast dir das gut überlegt. Unter öffentlicher Beobachtung erwachsen zu werden, das ist nicht einfach. Und dir steht viel Arbeit bevor. Eine Serienproduktion ist kein Zuckerschlecken – erst recht nicht, wenn weltweit Fans mit großen Erwartungen sitzen.

Erfolgsdruck und Versagensängste haben Daniel Radcliffe zum Alkohol greifen lassen – ich hoffe, dass du niemals etwas Vergleichbares erleben wirst. Aber dein Vorgänger hat auch von der prägenden Zeit als Harry Potter geschwärmt. Dennoch wird es Tage geben, da wird Hogwarts für dich eher Horror als heile Welt sein. Weil du zwar von Gleichaltrigen umgeben bist und so ein Filmset definitiv ein aufregender Ort ist. Aber der normale Teil deiner Kindheit ist vorbei.
Dir werden viele Erfahrungen entgehen, die andere in deinem Alter machen: Unterricht in einer Schule statt am Set, Klassenfahrt statt Werbe-Reise, spontane Verabredungen statt enger Drehplan … Aber hey, nicht jedem Kinderstar droht der Absturz, ich hoffe, deine Familie knüpft dir ein gutes Sicherheitsnetz und du kannst dein Leben leben, auch wenn du bald vermutlich nicht mal Kaugummi am Kiosk kaufen kannst, ohne erkannt zu werden. Solltest du je mit deiner Entscheidung hadern, denk dran: Während du andere Kinder um ihr normales Leben beneidest, beneiden sie dich um deins.