Herr Epp, wenn man in Krimi-Deutschland eine Ermittler-Rolle bekommt, dann hat man es als Schauspieler geschafft, oder?
Michael Epp: So habe ich das noch gar nicht gesehen. (lacht) Ich bin extrem dankbar für diese Chance. Mein Beruf ist sehr unsicher, als Schauspieler lernt man, sich nie auf einem Erfolg auszuruhen. Man muss hart arbeiten, aber ich bin immer froh, wenn ich arbeiten darf.
Warum wollten Sie diesen den Galicien-Krimi „Die Tote vom Jakobsweg“ machen?
Epp: Es war von Anfang an klar, dass es kein klassischer, perfekt ausgeleuchteter Krimi wird, wie man ihn in Deutschland gewohnt ist, sondern dass das Genre in einem neuen Licht erscheinen sollte. „Die Tote vom Jakobsweg“ hat eine düstere Atmosphäre, das fand ich unheimlich spannend. Es ist wie ein Überraschungsei für Erwachsene, bei dem aber jeder weiß, was für ein Spielzeug drin ist. Das ist auch völlig in Ordnung, denn es funktioniert ja. Für mich gehören der Regisseur Adolfo Kolmerer, er hat zum Beispiel „Oderbruch“ gemacht, und der Kameramann Christian Huck zu den spannendsten Filmemachern in Deutschland – das war ein großer Anreiz für mich, dabei sein zu wollen. Und natürlich die Geschichte und das Setting.
Sie meinen den Jakobsweg?
Epp: Ja. Er hat eine unfassbare Magie und Energie, die man in Santiago de Compostela jeden Tag spürt, wenn man durch die malerischen Gassen geht und die Pilger trifft, die diese Reise meistens aus sehr emotionalen Gründen angetreten haben – um mit einem Kapitel ihres Lebens abzuschließen oder ein neues aufzuschlagen. Manche wollen mehr im Moment sein oder sie laufen für eine verstorbene Person. Man kommt unweigerlich mit den Leuten ins Gespräch und wird ein kleiner Teil ihrer Reise. Dieser Energie kann man sich nicht entziehen, und sie ist auch auf den Film übergegangen. Ich hätte schon ziemlich dumm sein müssen, um da nicht mitmachen zu wollen. (lacht) Und ich bin umso glücklicher, dass es so ein toller Film geworden ist, auf den wir alle stolz sein dürfen. Ich glaube, man sieht dem Film an, dass jeder diesen extra Meter gegangen ist, um das Bestmöglichste rauszuholen.
Haben Sie irgendeinen Bezug zu Spanien?
Epp: Nein, aber zum Jakobsweg, weil den schon ein paar Familienmitglieder gelaufen sind und auch sehr emotional darüber berichtet haben, was es für sie bedeutet hat. Trotzdem muss ich zugeben: Ich habe unterschätzt, was für eine Energie dort tatsächlich herrscht. Das war für mich überwältigend. Die letzte Szene des Films haben wir vor der großen Kathedrale in Santiago de Compostela gedreht. Wir waren gerade mittendrin, als eine Pilgerin kam, auf die Knie gegangen ist und angefangen hat, zu weinen. Ich glaube, es waren glückliche Tränen. Wir haben spontan entschieden, ihr den Raum zu geben, haben eine Pause gemacht und sind alle ein paar Schritte zurückgegangen, um ihr diesen Moment zu geben.
Möchten Sie irgendwann auch den Jakobsweg laufen?
Epp: Auf alle Fälle. Ich habe den Gedanken schon sehr lange. Ich finde es unheimlich schön, das Leben zu entschleunigen, einfach im Moment zu sein und sich auf Begegnungen mit Menschen einzulassen. Dazu kommt: Die Landschaft in Galicien ist traumhaft schön. Während des Drehs sind vor und hinter der Kamera so viele Freundschaften entstanden – wir haben überlegt, ob wir, falls es weitergehen sollte, den Weg nicht mal gemeinsam laufen sollten. Warum auch nicht? Der Wunsch steht bei vielen, die an diesem Film beteiligt waren, einschließlich mir, ganz oben auf der Liste.
Ob eine Reihe daraus wird, ist also nicht sicher?
Epp: Nein. Die Geschichte könnte auf jeden Fall weitergehen. Aber das entscheiden andere, und dabei spielen natürlich viele Komponenten eine Rolle, auf die ich keinen Einfluss habe.
Ihre Ermittler-Kollegen im Film werden von Dirk Borchardt und Mercedes Müller gespielt. Die Figuren sind sehr unterschiedlich, es gibt Spannungen – wie haben Sie sich abseits der Kameras verstanden?
Epp: Wenn man dreht, sind die Kollegen immer eine Art Ersatzfamilie – beim Galicien-Krimi war es besonders schöne Ersatzfamilie. Gerade wir drei haben alle einen sehr ähnlichen Humor, wir haben von Tag eins unheimlich viel gelacht und gerne viel Zeit miteinander verbracht, auch wenn wir nicht gedreht haben.

Haben Sie sich für Ihre Figur, Hauptkommissar David Acosta, von einem TV-Ermittler inspirieren lassen?
Epp: Ich muss zugeben, dass ich wenige deutsche Krimis gesehen habe und mich deshalb nicht so gut auskenne. Aber das war kein Nachteil, weil ich als Schauspieler ja nichts kopieren will, sondern der Rolle meinen eigenen Spin geben möchte.
Was ist das Besondere an Acosta?
Epp: Er ist sehr nüchtern in seiner Arbeit und hat einen einzigartigen Spürsinn. Aber er ist sehr schwer zu lesen. Seine Kollegen wissen nie so genau, was in ihm vorgeht. Ich fand es spannend, dass keine Figur erzählt wird, von der man alles weiß. Bei Acosta kann man nie sicher sein, was er gerade denkt – und dann hat er plötzlich einen Einfall, um den Fall voranzubringen. Er ist eine Figur, in die ich richtig eintauchen konnte. Mit Religion hat er eigentlich wenig zu tun, trotzdem ist er auf der Suche, er will an irgendetwas glauben.
Wie halten Sie‘s mit der Religion?
Epp: Ich bin nicht besonders religiös aufgewachsen, aber wie viele Allensbacher bin ich früher natürlich an Weihnachten in die Kirche gegangen und ich habe auch meine Kommunion bekommen. Vielleicht bin ich in dieser Hinsicht auch ein Suchender …
Acosta ist eher ein mürrischer Typ, oder?
Epp: Ja, aber das hat Gründe. Wenn er ermittelt, ist er in einem Tunnel. Und in diesem Tunnel hat er den Sinn für das einzig Wichtige im Leben verloren, und das ist die Familie. Als er die Beziehung zu seiner Familie reparieren möchte und sich aus Valencia ins ruhige Santiago de Compostela versetzen lässt, wird ihm ein Strich durch die Rechnung gemacht: An seinem ersten Tag, bevor er überhaupt ins Büro kommt, wird er mit einem Mordfall begrüßt wird. In dem Moment fällt er wieder in die alten Strukturen zurück.
Was bedeutet das?
Epp: Er will unbedingt den Fall lösen, aber gleichzeitig will er seine Familie zurückhaben. Daher kommt dieses Mürrische, das Suchende, das Gefühl, nie zufrieden zu sein. Umso schöner ist es natürlich, dass er irgendwann eine Entscheidung trifft und in gewisser Weise seinen Frieden mit der Situation macht. Ich glaube, er wird immer ein Suchender sein, das kann er nicht ablegen. Aber das kann auch etwas Schönes sein, wenn man es akzeptiert, weil man daraus Energie ziehen kann.
Würden Sie denn für Ihre Familie eine Rolle in Hollywood sausen lassen?
Epp: Zum Glück war ich noch nie in der Situation, über so etwas nachdenken zu müssen – die Angebote kamen immer in den richtigen Abständen. (lacht) Vergangenes Jahr war allerdings extrem, das muss ich zugeben. Ich habe erst „Fountain Of Youth“ mit Guy Ritchie gedreht, direkt im Anschluss „The Chronology Of Water“ mit Kristen Stewart und gleich danach den Galicien-Krimi. Meine Frau und ich haben uns eine Zwei-Wochen Regel auferlegt, das heißt, dass ich alle zwei Wochen nach Hause gefahren bin. Man hat am Set gefühlt zwar tausend Leute um sich herum, aber trotzdem unfassbar viele einsame Momente, in denen man seine Familie vermisst. Ich glaube, wir haben den Spagat ganz gut hinbekommen. Aber man muss als Schauspieler auch realistisch sein: Der Beruf kann brutal sein, wenn man lange Zeit nicht oder nur wenig arbeitet. Glücklicherweise durfte ich zuletzt eher mehr arbeiten, aber das bedeutet eben auch, dass man Familie und Freunde nicht mehr so viel sieht.
Sie haben „Die Tote vom Jakobsweg“ als Ihr berufliches Highlight des vergangenen Jahres bezeichnet – trotz der internationalen Projekte. Das müssen Sie erklären!
Epp: Ich weiß, dass ein paar Leute darüber geschmunzelt haben, aber der Film war wirklich ein Highlight für mich, weil die Arbeit einfach so viel Spaß gemacht hat. Und weil echte Freundschaften entstanden sind, was wirklich selten passiert. Man lernt sich am Set schnell kennen, versteht sich gut und verspricht, nach Drehschluss unbedingt in Kontakt zu bleiben – und dann sieht man sich doch erst beim nächsten Projekt wieder, vielleicht ein paar Jahre später. Das ist einfach so und das ist auch völlig in Ordnung. Aber mit den Krimi-Kollegen, vor allem mit denen aus Berlin, treffe ich mich wirklich in regelmäßigen Abständen. Wenn beim Dreh so ehrliche Freundschaften entstehen, dann ist die Arbeit wirklich ein absolutes Vergnügen. Erst recht mit einem so tollen Drehbuch und in einer so schönen Ecke der Erde. Es war einfach eine unfassbar schöne Erfahrung, das sieht man dem Film auch an.
Würden Sie den Beruf des Schauspielers eigentlich wieder ergreifen, wenn Sie noch mal vor der Entscheidung stünden?
Epp: Ja. Ich habe auch nie was anderes gelernt. (lacht) Im Ernst: Ich habe meinen Beruf nie hinterfragt, obwohl er konstant und ein Leben lang mit Höhen und Tiefen verbunden ist. Aber wenn man das erkannt hat, kann man leichter damit umgehen. Meine Familie und mein Freundeskreis sind die Säulen, auf denen ich stehe – deshalb kann ich mich sozusagen wie ein Blatt vom Wind in alle Ecken der Erde treiben lassen und meiner Arbeit nachgehen, weil ich eine gute Basis habe. Und ich kann die Arbeit auch genießen.
Was haben Sie denn zuletzt richtig genossen?
Epp: Beim Dreh zu „Fountain Of Youth“ waren wir in Ägypten und haben zwei Wochen bei den Pyramiden von Gizeh gedreht, eine war mehr oder weniger für uns reserviert. Das sind Erfahrungen, da muss man sich selber zwicken, weil man denkt: Das kann doch nicht sein! Aber es gibt auch Phasen, in denen es mal nicht so gut läuft – die schönen Erfahrungen machen das dann wieder gut. Die eigentliche Arbeit eines Schauspielers findet sowieso dann statt, wenn man nicht dreht.
Wieso das?
Epp: Die einzige Struktur, die man in diesem Beruf hat, hat man bei der Arbeit. Man weiß, wann man wo sein muss und kennt seinen Text. Wenn ich arbeite, ist das für mich wie Urlaub, weil ich eine Struktur habe. Wenn ich zu Hause in Berlin bin, genieße ich natürlich die Zeit mit meiner Frau und meiner Tochter, aber genau dann muss ich Akquise betreiben, mein Netzwerk pflegen und mich auch um mich selber kümmern und mir selber eine Struktur geben. Das kommt mir persönlich immer vor, als wäre es die schwerste Arbeit eines freiberuflichen Schauspielers.
Und welche Arbeit steht als nächstes bei Ihnen an?
Epp: Gerade hatte „The Chronology Of Water“ Premiere in Cannes, da war ich dabei. Jetzt drehe ich in London die zweite Staffel der Action-Serie „Red Eye“.

Wie oft sind Sie noch in der alten Heimat am Bodensee?
Epp: So oft es die Zeit erlaubt, mindestens zweimal im Jahr, wenn es klappt. Und immer im Sommer. Mein Bruder und meine Mama wohnen ja noch dort und natürlich viele Freunde. Der Bodensee ist eine Schönheit, im Sommer, im Herbst, im Winter und im Frühling. Er hat so viele Facetten, daraus ziehe ich viel Energie und ich freue mich immer, wenn ich dort sein kann.
Gibt es im Sommer ein, sagen wir mal, Pflichtprogramm?
Epp: Eis essen bei Schuhmacher in Allensbach ist Pflicht, das ist das beste Eis, das es gibt auf der Welt! Mein Bruder hat ein Boot, damit geht es immer raus aufs Wasser. Es gibt eine Untiefe zwischen Allensbach und Reichenau, da sind wir gerne. Und ich finde es immer wieder spannend, nach Konstanz zu fahren. Mein Bruder hat ja den englischen Antiquitätenladen meiner Mutter übernommen. Ich bin damit aufgewachsen, mit meinen Eltern und meinem Bruder nach England zu fahren, um Möbel zu finden und zu kaufen. Das hatte immer etwas Abenteuerliches, wie eine Schatzsuche. Mit dem Geruch des Ladens verbinde ich so viele Erinnerungen, deswegen ist das für mich nach unserem Zuhause in Allensbach auch immer der erste Ort, an dem ich gerne sein möchte.