1. Fasnacht ist primitiv. Dieses Urteil hört man immer wieder, und es wird durch stete Wiederholung nicht besser. Freilich gibt es Zeitgenossen, die die Fasnacht zur Selbstabfüllung und zu sexuellen Übergriffen benutzen. Doch haben sie nicht die Oberhoheit über das Fest – sie sind allenfalls Mitläufer. Das eigentliche Suchtpotenzial dieser Tage liegt in der Fantasie, die in diesen Tagen entfesselt wird. Zu keinem anderen Anlass wird so eifrig gemalt, genäht, geschraubt. Fasnacht löst einen Kreativitätsschub aus, der im Jahr seinesgleichen sucht. Eigentlich schade.
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  2. Die Fasnacht ist sehr alt. Für die meisten Ortschaften trifft das nachweislich nicht zu. In vielen, vor allem kleineren Orten wurden Zünfte nach dem 2. Weltkrieg aus der Taufe gehoben. Kostüm und Larven orientieren sich dann meistens nach lokalen Sagen oder einem Sprichwort. Anders sieht es in den Städten in Baden-Württemberg aus, vor allem in den Reichsstädten. Für Überlingen oder Rottweil ist die Fasnacht seit dem Mittelalter belegt. Beliebt waren auch Fasnachtsspiele in kirchlicher Regie. In Villingen gründete sich die Zunft wohl im 16. Jahrhundert. Studenten aus Freiburg hatten Masken in die Stadt gebracht. Die heutigen Larven mit barockem Glattgesicht sind jünger, sie stammen aus dem 18. Jahrhundert.
    Straßenfasnacht vom Feinsten: eine Lumpenkapelle in Rheinfelden.
    Straßenfasnacht vom Feinsten: eine Lumpenkapelle in Rheinfelden. | Bild: Erwin Wehinger
  3. Narren treiben den Winter aus. Diese Behauptung hält sich als hartnäckigste aller Falschmeldungen – abgesehen davon, dass es die kernigen Winter nicht mehr gibt, die man austreiben müsste. Das Märchen von der archaischen germanischen Tradition, die in der Fasnacht weiterlebe, klingt wildromantisch. Falsch bleibt es dennoch. In die Welt gesetzt wurde das Winter-Märchen von NS-Volkskundlern. Wider besseres Wissen führten sie das Maskentreiben auf nicht vorhandene heidnische Wurzeln zurück, um den christlichen Bezug zu verwischen. Dabei sagt das Wort schon alles: Fasnacht ist die Nacht vor Beginn der Fastenzeit.
    Villinger Narren ziehen im Jahr 2018 durch die schneebedeckte Stadt.
    Villinger Narren ziehen im Jahr 2018 durch die schneebedeckte Stadt. | Bild: Sigwart, Roland
  4. An Fasnacht sind alle gleich. Das hört man immer wieder und wird auch von manchem so praktiziert – mit großem und kleinem Du für alle. Dabei ist die Sache mit der Gleichheit eine schöne Illusion. Tatsächlich werden soziale und andere Unterschiede gepflegt und mit anderen Mitteln fortgeschrieben. Bei Narrenkonzerten und in der Saalfasnacht werden die Honoratioren solide gehätschelt und der Rangfolge nach erwähnt. Wie immer eigentlich. Vom satirischen Umsturz der Verhältnisse ist also wenig zu spüren. Heimliches Motto: Sei lustig, aber bleibe im Rahmen!
  5. Fasnacht ist rein katholisch. Im Grundsatz stimmt das bis heute – aber mit markanten Ausnahmen. Richtig ist, dass die Reformatoren um Martin Luther den Mummenschanz mit Erfolg verboten haben. Bis heute sind die Hochburgen der Fasnacht deshalb katholisch geprägt – von Rottweil über Donaueschingen bis Überlingen. Nach dem Krieg zogen auch evangelische Gemeinden nach und stellten Umzüge am Rosenmontag zusammen. Und: Der Basler Morgenstraich als eines der größten Maskentreffen im Südwesten hat eine streng reformierte Stadt zum Schauplatz. Um sich von „den Katholischen“ abzuheben, findet der Morgenstraich immer eine Woche nach der süddeutschen Fasnacht statt.
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