Jörg Schurig, dpa

Bestürzung, Kopfschütteln, ungläubige Gesichter: Vor den Türen des Dresdner Residenzschlosses stehen zahlreiche Besucher vor verschlossenen Türen. Ein Schild am Eingang weist darauf hin, dass das Museum aus „organisatorischen Gründen“ geschlossen bleibt. Die Nachricht dahinter ist ein Schock: Es gab einen spektakulären Kunstraub in Dresdens weltberühmter Schatzkammer – dem Grünen Gewölbe. Drei Juwelengarnituren ließen die unbekannten Diebe mitgehen. Ihr Wert lässt sich finanziell gar nicht beziffern, heißt es.

Das könnte Sie auch interessieren

Als das ganze Ausmaß bekannt wird, stehen manchem Beschäftigten der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) Tränen in den Augen. „Das ist wie in einem schlechten Film. Ich hätte nie gedacht, dass sich so etwas mal erleben muss“, sagt eine Mitarbeiterin. „Ich brauche ihnen nicht zu sagen, wie schockiert wir sind, auch von dieser Brutalität des Einbruchs“, sagt SKD-Generaldirektorin Marion Ackermann.

Nach dem Diebstahl hat die Polizei am Montagabend einen Ausschnitt aus einem Überwachungsvideo veröffentlicht.

Darauf ist zu sehen, wie zwei Einbrecher mit Taschenlampen in das Juwelenzimmer im Residenzschloss kommen. Einer von ihnen, mit Kapuze auf dem Kopf, schlägt mit einer Axt auf die Scheiben der Vitrine ein und versucht, sie aufzubrechen.

Unschätzbarer kulturhistorischer Wert

Es handle sich um einen „unschätzbaren kunsthistorischen und kulturhistorischen Wert“. August der Starke habe sich ja immer im Wettbewerb befunden mit Ludwig dem XIV. Mit solchen Garnituren habe er den Sonnenkönig hinter sich lassen wollen. Die besondere Bedeutung liege darin, dass die Garnituren als Ensembles erhalten blieben. Ackermann spricht von Sachsens Staatsschatz des 18. Jahrhunderts.

Dirk Syndram, Direktor des Grünen Gewölbes, verortet den Wert der geraubten Kunstschätze weit über die Grenzen Sachsens hinaus und spricht von einer Art „kulturellem Welterbe“. Es gebe nirgendwo in einer Sammlung in Europa eine Juwelengarnitur, die in dieser Form, Qualität und Quantität erhalten blieb. In vier Vitrinen waren zehn Garnituren ausgestellt, eine Vitrine mit drei Garnituren wurden ausgeraubt. Zunächst konnten Syndram und Kollegen den Schaden gar nicht in Augenschein nehmen. Erst sollte die Spurensicherung ihre Arbeit machen.

Bohrende Fragen an die Polizei

Ackermann, Syndram und die Spitze der Dresdner Polizei müssen sich bohrenden Fragen stellen. Normalerweise wird über das Sicherheitskonzept eines Museum schon deshalb Stillschweigen bewahrt, damit Kriminelle nicht an Details herankommen. An diesem Tag müssen die SKD dennoch Einzelheiten bekanntgeben. Nach den bisherigen Ermittlungen drangen die Täter über ein vergittertes Fenster mit Sicherheitsglas ein. Die mit Panzerglas geschützte Vitrine hielt den Werkzeugen der Räuber gleichfalls nicht stand.

Zwei Wachleute, die in der Zentrale Dienst haben, beobachten die Täter während der Tat über Monitore. Nach den Vorgaben dürfen sie nicht selbst eingreifen, sondern müssen die Polizei informieren. Die nimmt eine Minute vor 5 Uhr am Morgen den Notruf entgegen. Fünf Minuten später ist der erste Funkstreifenwagen vor Ort, die Täter aber schon auf und davon – offenkundig wieder durch das Fenster.

Die Polizei geht davon aus, dass ein Fluchtfahrzeug bereitstand – oder möglicherweise auch zwei. Das erste, so wird vermutet, findet die Feuerwehr bei einem Tiefgaragenbrand.

Gegen 5.10 Uhr kam es auf der Kötzschenbroder Straße zu einem Tiefgaragenbrand. Als die Berufsfeuerwehr (Wachen Übigau und Albertstadt) ...
Gegen 5.10 Uhr kam es auf der Kötzschenbroder Straße zu einem Tiefgaragenbrand. Als die Berufsfeuerwehr (Wachen Übigau und Albertstadt) und die Freiwillige Feuerwehr Wilschdorf eintrafen, standen 4 PKW in der Tiefgarage in Flammen. | Bild: Sächsische Zeitung

Fest steht, dass es zu diesem Zeitpunkt stockdunkel am Dresdner Schloss war. Da kurz zuvor ein Elektroverteiler nahe des Schlosses brannte, ist das Straßenlicht aus. Die Polizei untersucht, ob es einen Zusammenhang gibt, die Täter womöglich gezielt vorgingen, um auf diese Weise unbemerkt in das Schloss zu kommen.

Und dann ist da noch die Frage, wie viel Insiderwissen die Täter hatten. Im Internetauftritt der SKD gibt es auch einen virtuellen Rundgang durch das Grüne Gewölbe. Dessen Juwelenzimmer gilt als der prachtvollste Raum der Sammlung. Täfelungen, Spiegel, Türbekrönungen mit Kurhut und Königskrone, Pilaster und Marmorfußboden wurden nach historischen Quellen rekonstruiert.

In vier Hightech-Vitrinen liegen verschiedene Kostbarkeiten mit Brillanten, Diamanten, Smaragden, Rubinen und Saphiren – darunter der weltgrößte blaue Stein dieser Art. Im Juwelenzimmer befinden sich auch die „Juwelen der Königin“: Diamanten und Brillanten auf tiefdunkelblauer indischer Rohseide.

Deshalb verwundert es, dass Diebe mit mechanischen Werkzeugen fast ungehindert in die Räume eindringen konnten. „Wir sind auf dem Stand gewesen, das ist das, was man tun kann“, beschreibt Generaldirektorin Ackermann die Sicherheitsvorkehrungen. In allen Museen der Welt sei es so, dass Menschenleben vor allem anderen gehen würden. Deshalb hätten die Wachleute zuerst die Polizei informieren müssen.

Spektakuläre Museumsdiebstähle

  • Berlin, März 2017: Aus dem Bode-Museum auf der Museumsinsel stehlen Einbrecher eine 100 Kilogramm schwere Goldmünze im Wert von 3,75 Millionen Euro. Seit Januar 2019 stehen mehrere Männer vor Gericht. Die Polizei nimmt an, dass die Münze eingeschmolzen wurde.
  • Verona, November 2015: Bewaffnete rauben aus dem Museum Castelvecchio 17 Renaissance- und Barockgemälde im Wert von geschätzt etwa 15 Millionen Euro. Die Bilder etwa von Tintoretto und Peter Paul Rubens tauchen wieder auf. Die Täter müssen bis zu zehn Jahre in Haft.
  • Zürich, Februar 2008: Bewaffnete Männer rauben vier Ölgemälde im Wert von 180 Millionen Schweizer Franken aus der Sammlung Bührle, darunter Werke von Claude Monet und Vincent van Gogh. Vier Jahr später sind alle Bilder wieder da. Die Täter kommen bis zu sieben Jahre in Haft.
  • Oslo, August 2004: Bewaffnete überfallen das Munch-Museum und rauben eine Version des Gemäldes „Der Schrei“ und das Werk „Madonna“. Schätzwert: 90 Millionen Euro. Beide Gemälde tauchen wieder auf, die Diebe müssen für mehrere Jahre ins Gefängnis.
  • Frankfurt, Juli 1994: Diebe überwältigen nachts den Sicherheitsdienst der Kunsthalle Schirn und stehlen drei Bilder von William Turner und Caspar David Friedrich. Versicherungswert: 70 Millionen D-Mark. Jahre später tauchen die Bilder wieder auf. Die Täter kommen bis zu elf Jahre in Haft, die Hintermänner bleiben unbekannt.

Die Prunkstücke des Grünen Gewölbes

  • Der Hofstaat: Der 1701 bis 1708 geschaffene „Hofstaat von Delhi am Geburtstag des Großmoguls Aureng-Zeb“ arrangiert auf einer teils vergoldeten Bühne aus Silber 132 Figuren und 32 Geschenk-Gegenstände in emailliertem Gold: Fürsten, Wesire, Diener, Sklaven, Elefanten, Pferde, Jagdhunde. Verarbeitet wurden unter anderem 4909 Diamanten, 160 Rubine, 164 Smaragde, ein Saphir und 16 Perlen.
    Bild 2: Polizei verpasst Juwelendiebe nur knapp
    Bild: Sebastian Kahnert
  • Das Bad der Diana: Die prächtigste mehrerer mit Edelsteinen besetzter Prunkschalen ist das 1704 geschaffene „Bad der Diana“. Die aus Elfenbein geschnitzte römische Jagdgöttin sitzt am hinteren Ende einer Schale aus Chalzedon, die reich mit Gold, Silber, Diamanten, Perlen und Email verziert ist. Zwei Delphine speien Wasser in die Schale, an deren Rand Toiletteutensilien bereitliegen.
    Bild 3: Polizei verpasst Juwelendiebe nur knapp
    Bild: Museum
  • Der Mohr: Die Statue des „Mohren mit Smaragdstufe“ des Hofgoldschmieds Johann Melchior Dinglinger ist 58 Zentimeter hoch und zeigt einen schwarzen jungen Mann. Um 1723 geschaffen, sollte sie ein mit Smaragdkristallen besetztes Gestein präsentieren, das ein Geschenk des Kaisers war. Smaragdstufe bezeichnet die auf dem Tablett befindliche Erdplatte, in der die Smaragde stecken.
    Bild 4: Polizei verpasst Juwelendiebe nur knapp
    Bild: Matthias Hiekel
  • Goldenes Kaffeezeug: Das 1697 bis 1701 entstandene „Goldene Kaffeezeug“ ist ein pyramidenförmig ansteigender Tafelaufsatz mit Trinkgefäßen aus Gold und in fernöstlicher Ornamentik, die mit Emaille bemalt ist. Das Kaffeezeug ist eine der ersten Chinoiserien der deutschen Kunst und gehört zu den Prunkstücken des barocken Schatzkammermuseums Grünes Gewölbe in Dresden.
    Bild 5: Polizei verpasst Juwelendiebe nur knapp
    Bild: Matthias Hiekel
  • Der Kirschkern: Zu den Berühmtheiten des Grünen Gewölbes gehört außerdem der Kirschkern mit „185 geschnitzten Köpfen“. Es handelt sich dabei um einen Schmuckanhänger aus dem 16. Jahrhundert. Nach neueren Zählungen sind es nur 113 “Angesichter und Köpfe“ von Vertretern des geistlichen und weltlichen Standes, was den Ruhm der Miniaturschnitzerei aber nicht schmälerte.
    Bild 6: Polizei verpasst Juwelendiebe nur knapp
    Bild: Museum