Die Aktion zeigt das Ausmaß der Epidemie, die in Frankreich immer heftiger um sich greift. Am Mittwoch flog das Militär im Auftrag von Staatspräsident Emmanuel Macron persönlich sechs schwer erkrankte Corona-Patienten von Mulhouse nach Toulon am Mittelmeer: Die Krankenhäuser im Elsass haben ihre Belastungsgrenzen erreicht und überschritten. Aus dem nahegelegenen Freiburg kam offenbar kein Hilfsangebot. In Krisenzeiten ist sich jeder selbst der Nächste, scheint es.
100 Neuerkrankungen täglich allein in Moulouse, wo nur 25 Intensivbetten zur Verfügung stehen. Vor der Rettungsaktion hatten Helikopter bereits Patienten nach Nancy und Straßburg gebracht. Nun sind auch dort die Kapazitätsgrenzen erreicht. Und die Zahl der Toten klettert nach oben.
Aktuelle Zahlen gibt es nicht, das Gesundheitsministerium sprach am Donnerstag von knapp 11.000 Infizierten und über 370 Toten. Am Freitagabend gab es noch keine neuen Zahlen. In Frankreich herrscht Ausnahmezustand. Ein Land im Krisenmodus.
Epizentrum Moulouse
Moulouse wurde früh zum Epizentrum der Epidemie in Frankreich. Recherchen der „Zeit“ deuten darauf hin, dass eine Großveranstaltung das Virus schnell in andere Regionen trug. Ausgerechnet eine Glaubensgemeinschaft hatte zum gemeinsamen Beten und Fasten aufgerufen, 2000 Gläubige aus der Schweiz, Belgien, Frankreich und Deutschland folgten dem Ruf – und brachten es mit in ihre Heimatländer. Teilnehmerlisten gibt es nicht, drei Wochen später sind dem Bericht zufolge bereits mehr als 1800 Menschen mit dem Virus infiziert.
Inzwischen ist die Epidemie in der ganzen Region Haut-Rhin so verbreitet, dass offensichtlich gar keine Tests mehr gemacht werden. Das berichtet Pascale Aimé im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Sie hat erlebt, wie ein Bekannter von ihr mit über 40 Grad Fieber zur häuslichen Quarantäne verdammt wurde – Antibiotika und Paracetamol, damit muss es gehen. Seit über einer Woche ginge es ihm nun schon so, erzählt die Elsässerin am Telefon.
Treffen will sie sich mit niemandem mehr. Das Corona-Virus ist omnipräsent in dieser Region. Die Buchhalterin und ihr Partner leben in einem Außenbezirk von Straßburg, seit Anfang der Woche vermeiden sie und ihr Partner jeglichen Kontakt zu anderen. „Wir waschen uns öfter die Hände, halten Abstand“, sagt die 51-Jährige. Denn wer krank ist und wer nicht, ist längst nicht mehr so leicht zu erkennen.
Keine Tests mehr
„Getestet wird nicht mehr. Das bringt jetzt nicht mehr. Wer hohes Fieber hat, hat Covid-19“, folgert Pascale. Das Gesundheitspersonal würde nicht mehr in den Laboren gebraucht, einzudämmen sei ohnehin nichts mehr. Jetzt gehe es darum, Menschen zu retten, die einen schweren Krankheitsverlauf erlitten.
Experten erwarten kommende Woche den Höhepunkt der Epidemie. Pascale wird ihnen nicht trauen. Sie muss warten, bis die Situation sich deutlich verbessert hat. Ihre angeschlagene Gesundheit lässt kein Risiko zu.
Leere Straßen
Die sonst so belebten Straßen in der Straßburger Altstadt sind praktisch leer gefegt. Das Elsass gilt als Risikogebiet und innerhalb Frankreichs als einer der Virusherde schlechthin. Die Zahl der Neuinfektionen klettert stetig. Aktuelle Zahlen sind schwer zu finden, das Department Haut-Rhin hat auf Notbetrieb umgestellt.

Nur wenige Menschen sind noch draußen unterwegs. Pascale selbst verlässt seit mehreren Tagen das Haus nicht mehr. Denn die Angestellte hat gerade eine schwere Krankheit hinter sich: Sie gilt als Risikopatientin.
Die Einkäufe und sonstigen Besorgungen erledigt ihr Partner. Die Französin geht nur noch in den Garten. Ihre Nachsorgeuntersuchungen in der Straßburger Klinik hat sie abgesagt, aus Angst, sich anzustecken. „Aber es breitet sich trotzdem aus“, sagt die Elsässerin. Sie wirkt ruhig, als sie am Telefon berichtet, wie die Lage ist.
Elsass im Ausnahmezustand
Doch seit Mitte der Woche steht das Elsass praktisch komplett still, seit einer Woche ist die Grenze zu Deutschland zu, der übliche Grenzverkehr nach Kehl, wo die Straßburger gerne einkaufen, weil vieles günstiger ist, hat sich zu einem bizarren Verkehrschaos gewandelt. Wer nicht zur Arbeit auf der anderen Seite muss, wird weggeschickt, muss umkehren. „Ein Kollege sagte mir, er hat zwei Stunden zur Arbeit gebraucht.“

Inzwischen arbeitet Pascale im Homeoffice. Die Buchhalterin ist bei einem Sender tätig: Sie hat Glück, dass sie ihre Aufgaben auch von zu Hause aus erledigen kann. Viele Kollegen, die für die Ausstrahlungen zuständig sind, haben keine Wahl. Sie müssen zur Arbeit.
Einkaufen und Joggen erlaubt
Noch dürfen die Menschen einkaufen gehen und sich draußen bewegen – zum Zweck „körperlicher Übungen, in der Nähe der Wohnung, ausschließlich alleine und ohne jegliche Zusammentreffen“, mit dem Hund Gassi gehen.
Die Vorgaben kommen von Paris, die Regierung hat für das ganze Land strikte Maßnahmen beschlossen. Frankreich befindet sich auf Stufe 3 des Infektionsschutzplans.
Polizei kontrolliert scharf
Die Polizei kontrolliert in Straßburgs Straßen, ob jemand wirklich einen Arzttermin hat, zu dem er gerade unterwegs ist. Die Menschen müssen einen Nachweis bei von ihrem Arbeitgeber bei sich tragen, es gibt sie zum Herunterladen im Netz. Doch die Maßnahmen greifen nicht – nicht gut genug. Schon ist die Rede von einer tatsächlichen Ausgangssperre.

Immerhin sei die Situation in den Supermärkten inzwischen wieder etwas entspannter, berichtet Pascale. „Die Menschen hatten eben Panik“, sagt sie. Und horteten Lebensmittel. Langsam bessere sich die Lage.
Appell des Präsidenten
Der Appell des französischen Präsidenten war ja auch gespickt mit patriotischen wie angsteinflößenden Worten. Mehrfach hatte Emmanuel Macron von „Krieg“ gesprochen. Ein Krieg gegen einen unsichtbaren Gegner. Einen, den viele immer noch nicht ernst nehmen. Dabei klettern die Zahlen der Todesopfer weiter, besonders in der Nachbarregion der Ortenau und des Breisgaus.
„Es ist schlimm, die Leute haben es noch nicht begriffen, nach dem Motto: Wir sind ja jung. Aber dieser Virus ist hochansteckend“, warnt Pascale. Sie hat keine Wahl. Ihr Immunsystem ist geschwächt. Sie darf kein Risiko eingehen.
Erste französische Patienten in baden-württembergischen Kliniken
Inzwischen sind erste Patienten aus dem Elsass in baden-württembergische Kliniken eingeliefert worden. Laut Informationen der Badischen Zeitung sollen jeweils drei Kranke in Heidelberg und Ulm, zwei in Freiburg und jeweils einer in Mannheim und in Villingen-Schwenningen beatmet werden. Für die Unterstützung bedankte sich die Präsidentin des Departementrates Haut-Rhin, Brigitte Klinkert, über den Kurznachrichtendienst Twitter bei Ministerpräsident Kretschmann.