Sira Huwiler-Flamm

Frau Sidhu, Tütensaucen, viel Speck und Butter – so haben unsere Großmütter gekocht. Für viele junge Menschen ist das heute undenkbar: Soja statt Kuhmilch, Dinkel statt Weizen, Olivenöl statt Schweineschmalz. Woran liegt das?

Omas Zeiten, in denen so deftig und mächtig gekocht wurde, waren von den entbehrungsvollen Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt – die Menschen hatten viel nachzuholen! Heute haben wir die Zeit und die Informationsquellen, uns bewusster mit dem Thema Ernährung auseinanderzusetzen. Gesundes Essen ist heute Lebensstil und Luxus, den wir uns gönnen können. Aber auch immer mehr Allergien, wie Laktoseintoleranz, Glutenunverträglichkeiten oder das Reizdarmsyndrom zwingen viele Menschen dazu, sich bewusster zu ernähren.

Ayurveda-Therapeutin Balvinder Sidhu.
Ayurveda-Therapeutin Balvinder Sidhu. | Bild: Kaya Veda

Seit fast 35 Jahren begleiten Sie Menschen durch Ayurveda-Kuren. Was ist Ayurveda genau?

Das ist die indische Naturheilkunde, die auf über 5000 Jahre altem Wissen basiert. Diese Lebensphilosophie heißt übersetzt „Wissen vom langen Leben“ und basiert nicht nur auf Ernährung, sondern umfasst das ganze Leben. Ziel ist es, Körper, Geist und Seele ins Gleichgewicht zu bringen. Der wichtigste Grundsatz: Alles, was wir für Gesundheit, Glück und Erfolg brauchen, ist bereits vorhanden.

Das hört sich eher esoterisch an...

Aber genau so ist es! Das soll heißen: Wenn wir wieder lernen, auf unseren Körper und unsere Bedürfnisse zu hören, können wir gesund, glücklich und erfolgreich bis ins hohe Alter sein. Ob bei der Ernährung oder bei unseren täglichen Aktivitäten, wir sollten ganz individuell das tun, was uns guttut. Zwickt der Bauch nach Rohkost-Salat? Dann ist das vielleicht nicht das Richtige für uns, auch wenn wir es für gesund halten. Manche Menschen brauchen Kohlenhydrate und quälen sich durch trendige Low-Carb-Diäten, andere leben vegan, obwohl speziell ihr Körper tierische Eiweiße und Fette für ein Gleichgewicht braucht. Auf Dauer kann falsche Ernährung krank machen. Abfall- und Giftstoffe blockieren dann den Stoffwechsel.

Können wir uns im Gegenzug also auch gesundessen?

Ja genau, mit Essen können wir tatsächlich Krankheiten heilen. Viele Menschen kommen mit Haarausfall, Total-erschöpfung oder Hautproblemen wie Neurodermitis oder Akne zu mir. Wir schauen dann, welcher der drei Lebensenergie-Typen (Dosha-Typen) in ihnen vorherrscht, die wir im Ayurveda unterscheiden.

Was sind die Dosha-Typen genau und wie findet man heraus, was einem ganz persönlich guttut?

Die Doshas beschreiben die Energien und charakterlichen wie äußeren Merkmale, die in unseren Genen angelegt sind. Menschen mit schmaler, feingliedriger Struktur, die auf Kälte empfindlich reagieren, tendieren wahrscheinlich zu „Vata“ und brauchen warme Mahlzeiten und Getränke sowie süße Lebensmittel für die Nerven. Wer gelbliche Haut, dünne Haare und großen Ehrgeiz in sich hat, tendiert zu „Pitta“ und braucht kühlende Speisen ohne Säure und viel Schlaf. Menschen mit massiger Statur, kräftigen Gelenken und öliger Haut tendieren zu „Kapha“ und brauchen heiße, fett- und salzarme Speisen und Getränke, die leicht bekömmlich sind. Auf unserer Website (www.kaya-veda.de) kann man auch einen Online-Test machen.

Aus der indischen Küche: Kardamom-Kapseln.
Aus der indischen Küche: Kardamom-Kapseln. | Bild: Nataliia Pyzhova - stock.adobe.com

Klingt kompliziert! Kann man auch etwas genereller sagen, was im Ayurveda verboten ist und was echtes Superfood für uns alle ist?

Ich halte nichts von Verboten, wir dürfen den Spaß am Leben und Genuss nie verlieren! Aber es gibt einige indische Kräuter und Gewürze, mit denen wir jedes schnöde Gericht zu echtem Superfood machen können: Ingwer, Kurkuma oder Zimt regen beispielsweise die Verdauung an, stärken das Immunsystem, unterstützen unseren Körper dabei, auch schwere Lebensmittel besser verdauen und verwerten zu können. Selbst eine Tiefkühlpizza ist hin und wieder erlaubt – wenn wir sie mit ballaststoffreichem Gemüse und Kräuterpower aufpeppen!

Ist denn Süßes erlaubt?

Manche Menschen, die viel „Vata“ in sich haben, brauchen den süßen Geschmack sogar, um Stress abzubauen! Schokolade ist natürlich erlaubt – aber in Maßen. Besser sind frische Früchte oder auch leicht erhitzte Fruchtpürees. Ein Trick, der bei meinen Kindern immer klappt: ayurvedische Gewürze wie Zimt und Ingwer in Keksen und Kuchen verbacken!

Gesund und traumhaft im Geschmack: echter Safran.
Gesund und traumhaft im Geschmack: echter Safran. | Bild: constantinos - stock.adobe.com

Welche Gewürze und Kräuter helfen denn konkret bei Haarausfall, Neurodermitis, Diabetes oder Arthrose?

Haar- und Hautprobleme finden ihre Ursache oft im Magen-Darm-Trakt – also kann gut auf Chemie verzichtet werden. Bhringaraj und Schlafbeere unterstützen die Durchblutung der Kopfhaut. Kurkuma, Sesamöl und Aloe vera tun der Haut gut – sowohl von innen als auch von außen! Diabetiker finden in Honig, Sharkara und Dattelsirup gute alternative Süßungsmittel. Und die Gelenke, etwa bei Arthose, werden mit Weihrauchextrakt und Magnesium gestärkt. Süßholzwurzel, Ginseng und Ginkgo helfen bei Erschöpfung und Stress.

Sie sagen: „Genau wie ein Haus braucht auch unser Organismus regelmäßig ein Reinigungsprogramm – der Müll muss rausgebracht werden!“ Was ist damit gemeint?

Entschlackungskuren, ein bis zwei Mal im Jahr, sind ein wichtiger Teil der ayurvedischen Lebensphilosophie. Wichtig: Dabei geht es nicht um Hungern! Drei leichte, warme Mahlzeiten am Tag sind erlaubt, die im Idealfall voller duftender Kräuterkraft und Würzpower sind. Denn: Viele Kräuter kurbeln Stoffwechsel, Verdauungsfeuer und Entgiftung an! Wir müssen die Gifte ausschwitzen und ausscheiden. Trinken Sie zwei bis drei Liter frisch aufgebrühtes Ingwerwasser, gurgeln Sie zur Entschlackung täglich einen Teelöffel Sesamöl und spucken Sie ihn wieder aus – das alles unterstützt die Entgiftung und reinigt.

Auch Meditation gehört zum Ayurveda. Aber nicht jeder kann still sitzen und nichts tun. Gibt es Alternativen?

Ja! Eigentlich ist alles Meditation, was Sie ganz persönlich glücklich macht und Freude entfacht: Ob auspowern beim Joggen, Tee trinken und dabei ein Buch lesen, ein buntes Bild malen oder auf einer Wiese Yogaübungen machen – alles, was der Seele guttut, ist Meditation! Gönnen Sie sich Zeit in der Natur, Wellness im Badezimmer, atmen Sie durch und nehmen Sie sich Zeit für sich!

Elf Gewürze mit Heilkraft

  • Bockshornkleesamen: Hilft bei Leber- und Milzbeschwerden, Husten und Bronchitis. Stärkt die Nerven und wirkt unterstützend bei Stress.
  • Fenchel: Wirkt gegen Blähungen, stärkt das Verdauungssystem und beruhigt die Nerven.
  • Kurkuma: Entgiftet und reinigt den Körper, stärkt das Immunsystem und wirkt appetitanregend.
  • Ingwer: Ist verdauungsfördernd, stimulierend, schleimlösend, entgiftet und stärkt die Abwehr.
  • Kardamom: Stärkt den gesamten Organismus, wirkt schleimlösend und atemreinigend, hilft bei Verdauungsbeschwerden und regt die Galle an.
  • Koriander: Verdauungsfördernd, appetitanregend, krampflösend, stärkend.
  • Kreuzkümmel: Reguliert die Darmflora, reinigt und entgiftet, fördert die Durchblutung, stärkt Leber, Nieren und Gebärmutter.
  • Safran: Reguliert Leber und Milz, kurbelt die Verdauung an.
  • Senfsamen: Appetit- und stoffwechselanregend, wirkt antibakteriell und krampflösend, neutralisiert Giftstoffe in der Nahrung.
  • Sesamöl: Kann als Mundspülung (1 TL) vor dem Zähneputzen, gegurgelt und wieder ausgespuckt, die Mundhygiene stärken, weil sie Bakterien und Schleim bindet.
  • Zimt: Regt Kreislauf, Durchblutung und Verdauung an. (sh)