Herr Pfarrer, wie werden Sie Ostern feiern?
Noch eingeschränkter als sonst in Corona-Zeiten. Meine Kirche St. Maximilian in München ist gesperrt, weil sie von Asbest durchsetzt ist und das Material erst entsorgt werden muss. Also feiern wir Ostern im öffentlichen Raum. Wir nutzen eine alte Kongresshalle und beschränken uns auf die wesentlichen Dinge. Kürzlich feierten wir den Gottesdienst in einem Saal des Münchner Hofbräuhauses.
Was bedeutet das für Ostern?
Maximale Einfachheit! Es wird kein Heiliges Grab geben, keinen Kirchenschmuck, keine festliche Musik der Orgel.
Wie stark belastet Sie Corona als Seelsorger?
Als Pfarrer in einer Großstadt trifft mich es doppelt. Am vergangenen Sonntag zum Beispiel hätten es 400 oder 500 Leute den Gottesdienst besuchen können. Es durften aber nur 120 Leute in den Raum.
Sagten Sie 500 Menschen? Was machen Sie anders, dass so viele zu Ihnen in den Gottesdienst kommen?
Vielleicht rede ich einfacher. Meine Gemeinde ist kein theologisches Auditorium, über das ich schwierige Gedanken rauschen lasse. Ich sage einfach, was mich bewegt. Die Sonntagslesung bietet dafür immer einfache Texte an. Am vergangenen Sonntag ging es um den Gedanken der Gnade, wie ihn Paulus auffasst.

Das ist einer der schwierigsten Begriffe – die Gnade.
Begonnen habe ich meine Predigt so: Es war eine meiner schlimmsten kindlichen Erinnerungen, dass mein Vater nach einem schlechten Zeugnis sagte: „Gnade dir Gott, dass du das Lernen anfängst.“ Das schüchterte mich damals ein. Heute ist mir klar, dass die Gnade Gottes nicht am Ende steht und schon gar nicht als Drohung daherkommt, sondern am Anfang steht. Sie gilt für gute Schüler und für die faulen Schüler. Diese Gnade erhalte ich ohne vorherige Leistung. Das ist ein befreiender Gedanke. So einfach kann man das erklären.
Eine einfache Predigt scheint gar nicht einfach zu sein. Wie lautet Ihr Tipp für eine gelingende Predigt?
Denkt Gott bitte einfacher. Er ist viel einfacher, als wir meinen.
Warum schaffen es nur wenige Prediger, dass sie einfach sprechen?
Das ist ein wenig wie bei vielen Juristen. Ich hatte jetzt mehrfache Gespräche zur Rentenberatung und habe kein einziges davon verstanden. Dabei bin ich doch nicht dumm, aber ich habe schlichtweg nichts kapiert. Das ist eine Schutzmauer, die Juristen einziehen. Wenn du einen Brief vom Anwalt erhältst, gehst du schon freiwillig in die Knie. Obwohl und weil du ihn nicht verstehst.

Schutzmauern wurden auch in christlichen Gemeinden errichtet…
... ja, die lateinische Sprache diente lange Zeit als Schutzmauer. Sie wirkte als Bollwerk der Macht, das die diejenigen draußen hielt, die diese Sprache nicht beherrschten. Hinter dem Latein vermuteten die Unkundigen etwas Großes, Unberührbares. Es war die große Leistung des II. Vatikanischen Konzils, dass es diese Sprachbarriere abgeräumt hat.
Sie haben ein Buch über die Bibel und deren Tiefenschichten geschrieben. Wie kam es dazu?
Das Buch entstand aus der Vorbereitung meiner vielen Predigten. Bei mir geht das so: Am Montag fange ich mit ersten Ideen an und häufe dann Tag für Tag die Gedanken an. Aus diesen vielen Notizen entsteht der Text. Alle Texte zusammen bilden das Buch. Einfach und tiefgründig sollen die Texte sein. Also keine Zitate, kein Anhäufen von Bibelstellen und Vermerken. Es geht um eine Stelle aus der Bibel, die dann in einfacher Sprache erklärt wird. Das Wort Gottes muss an die frische Luft. Anstrengend können die Diskussionen sein mit traditionalistischen Katholiken, die einem die Zitate wie Hammerschläge um die Ohren hauen. Das ist nicht das Wort Gottes, wie ich es verstehe.
Über die Bibel sind schon viele Werke geschrieben worden. Ist das meiste nicht längst gesagt ?
Nein, das sehe ich nicht so. Ich stehe als Priester nun im vierten Jahrzehnt der Verkündigung. Da gibt es immer neue Einsichten, und diese schreibe ich nieder. Immer wieder blinzelt ein neuer Gedanke in den Alltag hinein, den ich festhalte. Ich darf immer wieder Neues entdecken.
Sie benützen ein eigenartiges Wort in Ihrem Buch. Sie sprechen dort von „Palmsonntagschristen“. Was hat es damit auf sich?
Damit meine ich jene Christen, die nur in guten Zeiten zu ihrer Kirche halten. Wenn es ihrer Kirche dann schlecht geht wie aktuell, dann treten sie schnell aus. Palmsonntagschristen sind Schönwetter-Christen. Aber kann ich so mit meiner Kirche umgehen? Die Kirche ist in Not, ja, aber einfach die Tür zuwerfen? Einen Menschen würde ich auch nicht alleine lassen. Austreten ist zu billig.
Wie bewerten Sie dann die Begeisterung für den Papst, etwa für Rombesucher?
Schauen Sie einmal die vielen an, die seine Mittwochsaudienz in Rom besuchen. Da sind alle begeistert. Aber Kirchenmitgliedschaft bedeutet mehr als bei heiterem römischem Himmel dem Papst zuwinken.
Gehen wir einen Schritt weiter, dann sind wir bei Ostern. Mit der Auferstehung tun sich manche Christen schwer. Sie können das nicht nachvollziehen...
…. ich auch nicht. Das muss ich auch nicht. Mein Rat lautet „Jetzt leben – für später ist gesorgt.“ Ich lebe im Jetzt. Über alles andere muss ich mir keine Gedanken machen. Auferstehung bedeutet, dass ich sofort ein müdes oder totes Leben verlassen darf.
Dann zielt Auferstehung auf die Gegenwart?
Ja. Sie meint, dass ich aus meiner Egozentrik heraustrete. Um nichts anderes geht es. Ich verlasse jede Ich-Bezogenheit.
Dann bedeutet Auferstehung nach Ihrer Meinung nicht die Auferstehung des Fleisches? Nicht die Rekonstruktion eines Menschen in seinem alten Körper?
Wenn ich mit Kranken spreche, werde ich oft gefragt: Glauben Sie, dass ich den oder jenen Verwandten wiedersehe? Diese Frage treibt Sterbende um. Ich werde nie nach der Auferstehung des Fleisches gefragt. Das scheint Menschen, die an der Schwelle des Todes stehen, nicht elementar zu sein. Leibliche Auferstehung bedeutet, dass Beziehungen wiederhergestellt werden. Wenn verwitwete Menschen einem vorausgegangenen geliebten Menschen irgendwann erneut begegnen. Das ist es.
So gesehen ist Ostern nichts, was nach zwei oder drei Tagen vorübergeht?
Ich glaube so lange, bis der Glaube zur Realität wird. Das hört nie auf. Das ist ein dauernder Zustand. In dieser Liebe darf ich bleiben und falle nicht heraus. Jetzt leben, das empfiehlt die Heilige Schrift. Verschiebe nicht alles auf morgen, wähle das Leben!
Darf ich etwas zu Ihrem Privatleben fragen? Sie leben mit einer Frau seit 25 Jahren zusammen – als Priester und Zölibatär.
Ja, seit 25 Jahren bilden wir eine intensive Gemeinschaft. Sie ist mein Lebensmensch. Ich habe sie durch die Erstkommunion ihrer Tochter kennengelernt. Es gibt mir viel Kraft, dass ich geliebt werde. Ich habe meine Geschichte und sie hat ihre. Sie ist Witwe seit einigen Monaten, von ihrem Mann lebte sie schon seit vielen Jahren getrennt. Für mich ist es ein einzigartiges Geschenk, diesen Menschen an meiner Seite zu wissen.
Können Sie das empfehlen? Ein Modell für andere katholische Pfarrer?
Unbedingt. Die verordnete Lebensweise von uns Priestern ist sicherlich ein Grund für den massiven Priestermangel in der katholischen Kirche. Wenn du als Priester ins Seminar eintrittst, bist du wohl behütet, aber nach deiner Weihe stehst du alleine da. Die Vereinsamung ist eine Tatsache und sie tut nicht gut und mir schon gar nicht.
Dann leben Sie in einer Familie der besonderen Art?
Wenn wir eine Zukunft haben wollen, dann vor allem in lebendigen Gemeinschaften. Priestergemeinschaften sind ein Modell. Es kann aber auch eine Familie sein. Ich habe das ja erlebt. Die Familie meines Lebensmenschen habe ich nicht gegründet, aber ich durfte Teil dieser Familie werden. Das war unglaublich wichtig, lebenserhaltend und berufungsfördernd für mich.
Die Schießler-Bibel ist eben erschienen (224 Seiten, 22 Euro, Kösel Verlag). Sie legt zentrale Texte der Bibel kurz und anschaulich aus.