Es ist noch nicht lange her, da hätte Stefanie Meth an Tagen wie diesen auch in der Mittagszeit hektisch telefoniert. Heute sitzt sie auf den Treppenstufen vor ihrem eigenen Laden in der Sonne und nimmt sich Zeit. Meth führt seit fast fünf Jahren einen Unverpackt-Laden in der Karlsruher Weststadt. Und zwar so, wie sie das für richtig hält. Mit Elan und Ehrgeiz.
Aber auch mit Muße und Zeit für Dinge, die vorher zu kurz kamen: Mit einer Kundin, aus deren Tasche allerlei Flaschen und Gläser mit den Einkäufen aus „Tante M“ ragen, verabredet sie sich auf einen Kaffee, einem „Ach hallo, Jenny!“ folgt ein freudiges Winken in Richtung eines Radfahrers. Auch in Städten mit mehr als 300.000 Einwohnern hat man zuweilen den Eindruck, dass jeder jeden kennt. Meth gehört zu den Menschen, die das schätzen.
Viele Läden sind wieder verschwunden
„Sie wollen also über die Krise der Unverpackt-Läden schreiben?“, fragt sie. Und erwischt den Reporter damit auf dem falschen Fuß. Denn genau den Eindruck wollte er ja eigentlich vermeiden bei seiner bewusst allgemein gehaltenen Gesprächsanfrage. Doch es nützt ja nichts, drumherum zu reden.
Unverpackt-Läden, wie sie vor vier, fünf Jahren aus dem Boden schossen, sind nun mal in der Krise: Von den rund 350 Läden in Deutschland schlossen 2021 erst 13, 2022 waren es dann über 50. Auch für 2023 spricht der Bundesverband Unverpackt e.V. vage von „vielen Schließungen“. In der Schweiz, wo 2017 in Zürich, Bern und Basel die ersten Läden eröffneten, sieht es ähnlich trist aus. Von den rund 60 Läden, die es 2022 gab, ist ein Fünftel wieder verschwunden.
Mittagstisch mit Zutaten aus dem Sortiment
Auch Meth hatte zwischenzeitlich drei Läden in Karlsruhe, nur das Stammhaus ist übriggeblieben. Das „Hüllenlos“ im nahen Ettlingen und das „Unverpackt am Brahmsplatz“ in Baden-Baden haben ebenfalls seit ein paar Wochen geschlossen. Noch weiter südlich, in Offenburg, gibt es indes positive Signale. Das „Einmachglas“ hat nach der Insolvenz neue Eigentümer. Es gibt jetzt Frühstück hier, einen erstaunlich günstigen Mittagstisch mit frischen Salaten, Seitan-Gyros und Suppen – alles mit Zutaten aus dem eigenen Sortiment. An einem sonnigen Samstag sind draußen alle Tische besetzt, während drinnen Mehl und Nüsse in Gläsern ausgewogen werden.

Chrissie Holzmann, die in München das „Servus Resi“ betreibt und bei Unverpackt e.V. die Presseanfragen beantwortet, betont dann auch, dass es nach dem Krisenjahr 2022 nun flächendeckend wieder Erfolgsgeschichten gebe: „In Hamburg hat eine Ladnerin ihre vierte Filiale eröffnet und im Allgäuer Raum fährt eine Kollegin mittlerweile mit einem zweiten Unverpackt-Truck mehr als doppelt so viele Standorte wie noch 2022 an.“
Entschleunigung gibt es gratis dazu
Auch in der „Tante M“ (das M steht für Emma) stimmt an diesem Freitag der Umsatz, alle paar Minuten kommen Kunden. Manche kaufen nur ein paar Nudeln oder Haferflocken, die Bestseller im Sortiment, andere lassen Beträge zwischen 80 und 100 Euro im Laden.
Der Standort ist gut gewählt: Die Weststadt ist der Prenzlauer Berg der Fächerstadt – und das nicht nur, was die Zahl der zugezogenen Schwaben anbetrifft. 39 Prozent Erststimmen hat die grüne Bundestagsabgeordnete Zoë Meyer hier abgeräumt, auf dem Wochenmarkt am Gutenbergplatz kauft mancher Gemüse und Käse zu Preisen ein, mit denen Familien in ärmeren Stadtteilen zwei Wochen lang auskämen.
„Wir sind ein Tante-Emma-Laden, eine Begegnungsstätte, an der man auch Müsli kaufen kann.“Stefanie Meth, Inhaberin eines Unverpackt-Ladens in Karlsruhe
Meth weiß den Standort zu schätzen – privat wie beruflich: „Hier leben Menschen, die bereit sind, auf dem Markt anzustehen und die diese Entschleunigung genießen.“ Überhaupt, die Entschleunigung, die sei das, was jeder Kunde gratis dazubekäme, wenn er sich Linsen oder Flüssigseife abfüllt: „Wir sind ein Tante-Emma-Laden, eine Begegnungsstätte, an der man auch Müsli kaufen kann“, sagt Meth mit ansteckendem Lachen.
„Hier werden auch Kompostwürmer und Sauerteig gehandelt, von Kunde zu Kunde beim Gespräch im Laden.“ Für Spontankäufer hält Meth Gratis-Gläser bereit, Spenden, die im Laden ausgespült worden sind. Sie weiß, dass viele Interessierte Schwellenangst haben, weil sie glauben, ohne mitgebrachtes Gefäß nicht bedient werden zu können.
Meth, die früher jeden Tag nach Heilbronn gependelt ist, schätzt die Ruhe hier, das freundliche Grundrauschen in den hellen Räumen. Schließlich sind sie das Gegenmodell zu ihrem früheren Job. In dem hat sie gutes Geld verdient, aber irgendwann war da das Gefühl, ein falsches Leben zu führen.
Als sie auf der A6 mal wieder im Stau stand, kumulierten die Fragen, die sie sich nicht erst seit der Geburt ihrer Tochter gestellt hatte: „Wie bewege ich mich fort? Was gebe ich meinem Säugling zu essen? Und was mache ich hier eigentlich?“ So kam eines zum anderen. „Und da es da, wo ich wohne, keinen Unverpackt-Laden gab, musste ich eben einen gründen.“
Bis zum Ukraine-Krieg lief es gut
Die „Tante M“ lief auch lange gut – bis zum russischen Überfall auf die Ukraine. Wie man für Meths Geschmack zuletzt überhaupt ein bisschen zu oft an den Umsatzzahlen ablesen konnte, was gerade auf der politischen Bühne passierte. Wobei: Corona erwies sich als weniger schlimm denn befürchtet.
Die Leute hatten Angst vor den Supermärkten, sie hatten Zeit. Und Lust auf ein Schwätzchen. Und die Zeit hatten sie hier. „Auch für Leute, die damals sehr einsam waren.“ Gedankt haben es Meth nicht alle. Seit die Menschen wieder in den Büros sind, soll es auf dem Nachhauseweg schnell gehen. Und der schnellste Weg ist der zum Supermarkt.
Der andere Faktor schlägt noch mehr ins Kontor: Der Krieg, die Sanktionen, die große Zäsur, die schon so viele Mittelständler die Existenz gekostet hat: „Die Leute müssen sparen.“ Meth will das nicht kommentieren, der erhobene Zeigefinger ist nicht ihrer.
Aber klar, privat setzt sie beim Sparen andere Prioritäten. Früher hat sie sich oft teure Kleider gekauft, das tut sie jetzt nicht mehr. Und auch das eigene Auto ist weg. „Meine Prioritäten haben sich verschoben. Mir ist wichtig, was ich zu mir nehme. Mir gruselt vor dem Mikroplastik, das ich zu mir nehme, wenn ich einen Fisch esse.“
Zwölf Millionen Tonnen Plastikmüll
Und wirklich ist es tragisch, dass zuletzt so viele Unverpackt-Läden schließen müssen. Wo es doch die ökologische Lage gebieten würde, dass täglich neue eröffnen. Bis zu zwölf Millionen Tonnen Plastikmüll landen Jahr für Jahr in den Weltmeeren, die Bilder von erstickten Meeresschildkröten und Wal-Mägen, in denen ganze Müllhalden lagern, sind bekannt.
Auch deshalb sind angeblich drei Viertel der Menschen dafür, Einwegplastik ganz zu verbieten. Das könnte die Politik auch tun. Wird sie aber nicht. Und die meisten werden weiter alle paar Tage Säcke von Plastikmüll in die Wertstofftonne stopfen. Recycelt wird davon nur ein Bruchteil, der Löwenanteil wird exportiert oder „thermisch verwertet“. Also: verbrannt.
Ein Hoffnungszeichen
Von all dem will sich Meth nicht entmutigen lassen. Sie freut sich, dass ihr Personal treu ist, auch wenn sie derzeit nur den Mindestlohn zahlen kann. „Gerade viele junge Menschen arbeiten hier, weil sie das System verändern wollen.“ Ein Hoffnungszeichen. Und nicht das einzige.
Kürzlich hat eine Freundin berichtet, wie sie eine Kundin – ganz freundlich – beim Discounter gefragt hat, warum sie die Bananen auf dem Weg zur Waage noch in eine Plastiktüte wickle. Die ältere Dame habe kurz nachgedacht. Und dann gelächelt: „Stimmt, die sind ja schon verpackt.“