Frau Gareis, wenn jemand im Sterben liegt, wie erleben Sie den Umgang mit dem Tod?
Der Umgang und das Gespräch über den Tod sind in unserer Gesellschaft abhanden gekommen. Früher war es auf dem Land ein Ritual, dass die Leute aus dem Dorf ins Haus des Toten kamen und auch die Kinder von ihm Abschied genommen haben. Man zündete eine Kerze an, es wurde gebetet, die Trauernden waren schwarz gekleidet. Wenn heute jemand stirbt, rufen die Menschen hilflos den Bestatter und wissen gar nicht, was sie tun sollen.
Wie bereitet man Kinder darauf vor?
Ich erkläre den Kindern den natürlichen Lebenskreislauf, dass wir geboren werden, durchs Leben gehen und irgendwann sterben. Dass das Leben endlich ist. Und dass sich der Kreis manchmal früher schließt, wenn Eltern oder sogar Kinder sterben. Wichtig ist, dass die Kinder Abschied nehmen können.

Wie kann man dieses Abschiednehmen gestalten?
Wenn wir wissen, dass jemand stirbt, wollen wir oft noch etwas sagen oder fragen. Aber auch die Sterbenden wollen von den Kindern Abschied nehmen. Ich bringe hier Impulse und Ideen, die als Angebot für die Betroffenen gedacht sind. So können sie in einem Buch Erinnerungen für die Kinder aufschreiben oder in einer Schatzkiste kleine Erinnerungsstücke hinterlassen. Gerne biete ich auch einen Staffelstab an, der symbolisch für unser Leben steht, in dem wir unser Bestes geben und den wir weitergeben, wenn wir nicht mehr dran sind mit Laufen: Darauf können die Eltern oder Großeltern die Quintessenz ihres Lebens schreiben.
Wie wichtig ist es, dass die Kinder den Toten noch einmal sehen?
Dieser Abschied am Bett ist wichtig. Gerade kleinere Kinder sollten sehen und begreifen, dass der Opa, die Oma oder die Mutter tot sind und nie wiederkommen werden. Ich schaue vorher immer, dass der Tote gut hergerichtet ist. Wir gestalten dann zusammen mit den Kindern eine schöne Atmosphäre mit Musik, Blumen und Bildern.
Wie trauern Kinder im Gegensatz zu Erwachsenen?
Vor der Pubertät sind Kinder in einem Moment tieftraurig, in dem ihnen alles bewusst wird. Das sind sogenannte Trauerpfützen, also Momente, in denen die Kinder in die Trauer eintauchen. Wenn aber von außen ein Impuls kommt, der sie ans Leben erinnert, sind sie auch ganz schnell wieder draußen – zum Beispiel, wenn an der Tür ein Freund klingelt zum Spielen.
Erwachsene reagieren ganz anders, sind wie erstarrt, weinen viel. Wie viele Tränen, wie viel Traurigkeit können Eltern ihren Kindern zumuten?
Bei Erwachsenen legt sich über alles ein Grauschleier. Doch ich habe noch nie erlebt, dass Kinder zu viel trauern. Irgendwann wollen sie leidfreie Zonen: Sie klinken sich aus dem Familienleben aus oder fangen an, die Eltern zu trösten. In der Familie verändern sich dann vorübergehend die Rollen. Die Kinder übernehmen die Rolle des Trösters – so, wie sie es von ihren Eltern gelernt haben, die sie sonst immer trösten, wenn sie traurig sind. An diesem Mutzusprechen wachsen die Kinder.