Hans Suter (Tagblatt) und Benjamin Brumm

Vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 überquerten täglich rund 4000 Deutsche die Grenze, um an ihre Arbeitsplätze in den Thurgauer Industriebetrieben zu gelangen. Zum Vergleich: Konstanz hatte damals etwa 28.000 Einwohner.

Am 31. Juli 1914, ein Tag vor dem Kriegseintritt des Deutschen Reichs, wurde die Grenze zwischen Konstanz und Kreuzlingen geschlossen. Deutschland hatte ein Exportverbot verhängt. Thurgauer Landwirte konnten ihre Milch nicht länger auf den Markt bringen, deutsche Bürger nicht mehr zu ihren Arbeitsplätzen.

Die Grenze rückte ins Bewusstsein der Menschen. Das hatte weitgehende Auswirkungen, wirtschaftlich vor allem für den grenzüberschreitenden Handel am Bodensee – Schweizer orientierten sich Richtung St. Gallen oder Zürich statt Konstanz.

Eindruck aus einer Truppenunterkunft einer Offizierspatrouille der Schweizer Armee im Ersten Weltkrieg.
Eindruck aus einer Truppenunterkunft einer Offizierspatrouille der Schweizer Armee im Ersten Weltkrieg. | Bild: Photpress Archiv

Als in Konstanz Schweizer Kühe weideten

Neben der unmittelbaren Gefahr durch den Krieg, sorgte eine wachsende soziale Not für eine Belastung der Bevölkerung am See. Durch die blockierten Grenzen stiegen die Lebensmittelkosten für die Menschen. Auf beiden Seiten der blockierten Grenzen erhöhten Landwirte die Preise für die wenigen Produkte unverhältnismäßig. Die Stadt Konstanz kaufte deshalb zum Beispiel Kühe aus der Schweiz, um keine teure Thurgauer Milch mehr importieren zu müssen. Das Vieh stand auf städtischen Flächen.

Während die grenznahe Bevölkerung zumindest teilweise von der Nähe zur neutralen Schweiz profitierte, sorgte der Erste Weltkrieg dennoch für einen Bruch. Der enge Kontakt in den Thurgau riss nach 1918 ab, die bis dahin eher unsichtbare Grenze wurde plötzlich Alltag für die Menschen. Vor allem der Wirtschaftsfluss flaute dadurch ab. Eine symbolische Folge: Die Stadt Kreuzlingen, sie hatte bis dahin gar keinen eigenen Zughalt, baute einen eigenen Bahnhof, um Konstanz beziehungsweise deutsches Gebiet zu umgehen.

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Friedrichshafen wird von Bombenangriffen schwer getroffen

Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg war die 30.000-Einwohner-Stadt Friedrichshafen geprägt durch Unternehmen wie Dornier, Maybach, Zeppelin und ihre Zulieferer. Ab 1943 führte diese Ballung kriegsrelevanter Industrie zu teils schweren alliierten Luftangriffe. Dabei wurden nicht nur die Industrie, sondern auch dichtbewohnte Viertel gezielt angegriffen. Am 28. April 1944 verwüstete ein Bombenhagel das Zentrum, 136 Menschen starben, knapp 400 wurden verletzt.

Ein Blick auf die schwer zerstörte Innenstadt von Friedrichshafen nach einem britischen Luftangriff im April 1944.
Ein Blick auf die schwer zerstörte Innenstadt von Friedrichshafen nach einem britischen Luftangriff im April 1944. | Bild: Archiv Südkurier

Anders die Situation auf der gegenüberliegenden Seeseite. Konstanz hatte zwar ebenfalls kriegswichtige Industrie, profitierte aber davon, dass die Schweiz nach einem versehentlichen Angriff auf Schaffhausen und andere Städte ihre Verdunklungspflicht 1944 abschaffte. So blieb auch in Kreuzlingen nachts das Licht aus, Konstanz tat es gleich und wurde weitgehend verschont. Darüber hinaus setzte sich die Schweizer Regierung bei den Alliierten dafür ein, die Stadt nicht anzugreifen.

Die Schweiz war zwar in kriegerischen Auseinandersetzungen neutral, sie internierte aber insgesamt mehr als 100.000 Armeeangehörige, vor allem Franzosen, Polen, Deutsche und Österreicher sowie sowjetische Bürger. Die vielen Lagerinsassen wurden teils in der Landwirtschaft, teils zur Bearbeitung der Böden eingesetzt.

Im Rahmen der schweizerischen Anbauschlacht während des Zweiten Weltkriegs wurden im Jahr 1942 bei Weinfelden polnische Internierte ...
Im Rahmen der schweizerischen Anbauschlacht während des Zweiten Weltkriegs wurden im Jahr 1942 bei Weinfelden polnische Internierte eingesetzt, um Kartoffeln anzubauen. | Bild: Photpress Archiv

Flucht über Kreuzlingen nach Einmarsch der Franzosen

In Sirnach richtete die Handelshochschule St. Gallen eine Hochschule für sie ein. An der Jahreswende 1944/45 kam es beim Grenztor Kreuzlingen unter der Leitung des Roten Kreuzes zum Austausch von 7000 schwer verwundeten Kriegsgefangenen. Die Auswirkungen des französischen Vormarsches entlang der Schweizer Grenze Richtung Osten auf den Kanton Thurgau waren gering. Mit Ausnahme vom Raum Kreuzlingen: Dort versuchten viele Personen vor dem Einmarsch der Franzosen in Konstanz am 26. April 1945 die Flucht in die Schweiz.

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Mit der Gründung der Bundesrepublik 1949 intensivierten sich die deutsch-schweizerischen Beziehungen wieder. Es wurden mehrere Abkommen geschlossen, unter anderem zum Handel, zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit, zum Grenzverkehr oder der Schifffahrt auf Rhein und See. Deutschland wird für die Schweiz ab den 50er-Jahren wieder wichtigster Handelspartner.

Zu politischen oder persönlichen Verstimmungen kommt es dennoch. Etwa, wenn es um den Fluglärm durch den Zürcher Flughafen, das Schweizer Bankengeheminis, Einkaufstourismus oder zuletzt das Nein der Schweiz zu einem EU-Rahmenabkommen geht. An die Rückkehr von Grenzzäunen, die mit dem Beitritt der Schweiz zum Schengen-Raum 2008 verschwanden, war dennoch nicht mehr zu denken – bis März 2020.

Corona sorgt für nie mehr für möglich gehaltenen Grenzzaun

Um das Coronavirus einzudämmen, schlossen Deutschland und die Schweiz die gemeinsamen Grenzen. Kurz darauf stellen erst die deutsche Bundespolizei, wenig später der Schweizer Zivilschutz einen Grenzzaun auf Klein Venedig zwischen Konstanz und Kreuzlingen auf. Dort wo seit dem Schweizer Schengen-Beitritt ein Kunstprojekt die Zäune ersetzte.

Die Anlage wird zum Symbol der Barrieren, die vom Bodensee über den Schwarzwald bis zum Hochrhein errichtet werden – und er zieht neben getrennten Liebespaaren und Familienangehörigen auch Tausende Schaulustige an.

Mitte März steht auf Klein Venedig zwischen Konstanz und Kreuzlingen wieder ein Grenzzaun. Sandra Lenherr aus Tägerwilen und ihre ...
Mitte März steht auf Klein Venedig zwischen Konstanz und Kreuzlingen wieder ein Grenzzaun. Sandra Lenherr aus Tägerwilen und ihre Konstanzer Bekannte treffen sich dennoch. | Bild: Scherrer, Aurelia

Am 15. Mai 2020, zwei Monate später, wurden die Zäune abgebaut. Teile davon werden heute im Haus der Geschichte in Stuttgart für die Nachwelt bewahrt. Das Coronavirus dagegen beschäftigt die Menschen dies- und jenseits der Grenze auch in den darauf folgenden Monaten.

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