Im Januar 2023 erklärte der US-Fernsehsender CNN die italienische Insel Alicudi zum schönsten Eiland Europas. Drei Stunden benötigt die Fähre vom sizilianischen Hafen Messina auf die westlichste der Liparischen Inseln. Die nur fünf Quadratkilometer große Insel auf einem erloschenen Vulkan ist in Teilen karg, besticht vor allem durch ihre Ruhe. Autos gibt es hier nicht, nur Maultiere. Doch mit dem Idyll ist es erst einmal vorbei.
Die 100 Bewohner bauen Oliven, Wein und Kapern an, die über die Jahre auch den Appetit anderer Inselbewohner erregten. Auf Alicudi leben rund 600 Wildziegen, sechsmal so viele wie Menschen. Die Tiere wurden wegen ihrer Gefräßigkeit zum Problem und deshalb im Frühjahr zur Adoption freigegeben. Das Interesse ist gewaltig.

Wie Bürgermeister Riccardo Gullo kürzlich mitteilte, haben sich Interessenten aus der ganzen Welt gemeldet. „Züchter aus Sizilien und anderen italienischen Regionen haben ihr Interesse bekundet, aber auch aus den USA, Belgien und Nigeria“, berichtete der Bürgermeister. Ein Interessent habe gar vorgeschlagen, alle 600 Tiere auf einmal mitzunehmen. Der Marktpreis einer Wildziege liegt bei etwa 200 Euro. Die Tiere geschenkt zu bekommen, ist also ein Geschäft.
Doch die von der Region Sizilien koordinierte Vergabe der Tiere sieht maximal 50 Tiere pro Züchter vor. Einzige Bedingung: Die Interessenten müssen die Ziegen selbst auf Alicudi abholen. Ab der kommenden Woche sollen die Tiere von Experten mit Netzen in abgezäunte Areale gedrängt, eingefangen und schließlich einer zweimonatigen Quarantäne unterzogen werden.
„Alicudi ist wirklich in Schwierigkeiten“, sagt Carolina Barnao. Sie ist für Tierschutz in der Gemeinde Lipari zuständig, die nahezu alle Liparischen Inseln umfasst. Zu Beginn des vergangenen Jahres veranlasste die Verwaltung eine Zählung der Wildziegen auf Alicudi, die den Bewohnern der Insel das Leben schwer machen. Die Tiere nagen nicht nur an Bäumen, Pflanzen und Sträuchern, sondern dringen auch in den bewohnten Teil der Insel vor, um dort Gärten und Beete zu plündern.

In Mitleidenschaft gezogen wurden auch schon die berühmten Trockensteinmauern Alicudis, die die Unesco 2018 ins Weltkulturerbe aufnahm. Zudem kommt es immer wieder zu unangenehmen Begegnungen zwischen den bis zu 100 Kilogramm schweren Tieren und Menschen. Die Insel lebt im Sommer vom Tourismus, aber wie lange noch bei so vielen Wildziegen?
Auch Tierschützer haben sich inzwischen zu Wort gemeldet – obwohl der Abschuss einiger Exemplare nur kurz zur Debatte gestanden hatte. „Das hätte ich nicht übers Herz gebracht“, so Bürgermeister Gullo. Dennoch schrieb der Tierschutzverband Aida, bezogen auf die Pläne, die Ziegen von der Insel zu verbannen: „Dieser Massen-Exodus ist inakzeptabel.“ Von einer Misshandlung der Tiere war die Rede. Die Wildziegen müssten sterilisiert werden, andernfalls könnten bald auch andere Inseln dem Beispiel Alicudis folgen.
Denn mit seinem Wildziegen-Problem ist man dort nicht allein. Wie es heißt, breiten sich die Tiere auch auf anderen der Liparischen Inseln rapide aus, etwa auf Filicudi, Vulcano oder Salina. Aber vor allem auf der Vulkan-Insel Stromboli verfolgt man den Versuch der Nachbarn aus Alicudi mit Interesse. Dort sollen 1500 wilde Ziegen und Schafe leben – bei etwas mehr als 400 Einwohnern.