Schulen wie das Lisesi-Gymnasium sind Stachel im Fleisch des türkischen Präsidenten. Westlich geprägt, weltoffen, den Naturwissenschaften und den Werten der Aufklärung verpflichtet: In den Istanbuler Eliteklassen wird so ziemlich das Gegenteil von dem gelebt und gelehrt, was Recep Tayyip Erdogan sich für die Kinder seines Landes vorstellt. Der Eiferer aus Ankara will eine religiöse Generation heranziehen – und dazu ist ihm offenbar jedes Mittel recht.

Ob die Entscheidung, das Thema Weihnachten aus dem Alltag der deutsch-türkischen Schule zu verbannen, direkt aus der Bildungsbürokratie gekommen ist oder ob ein übereifriger Direktor sein Kollegium in vorauseilendem Gehorsam auf Linie gezwungen hat, spielt dabei noch die geringste Rolle. Es war eine Entscheidung ganz im Geiste Erdogans, der genau weiß, dass die Deutschen ihn mehr brauchen als er sie. Ohne dass das Konsequenzen hätte, kann er Bundestagsabgeordneten die Einreise verweigern oder Journalisten die Akkreditierung, er kann sein Land gleichschalten und die Wiedereinführung der Todesstrafe betreiben – Deutschland schaut zu. Solange Angela Merkels Flüchtlingspolitik im Wesentlichen auf dem Rücknahmeabkommen mit der Türkei gründet, ist Erdogan für die Bundesregierung quasi unantastbar. Sogar von der Armenien-Resolution des Bundestages hat die Kanzlerin sich nachträglich noch distanziert, um den Präsidenten nicht weiter zu verprellen.

Dass die türkische Schulleitung gestern zurückruderte, von einem Weihnachtsverbot trotz einer entsprechenden Mail plötzlich nichts mehr wissen wollte und die deutschen Lehrer mit ihren Schülern nun doch wieder über Weihnachten reden dürfen, macht die Sache nur unwesentlich besser. Ohne die heftigen Proteste hätten sich Erdogans Adlaten kaum eines Besseren besonnen. Proteste, wohlgemerkt, die aus allen Ecken der Republik kamen, nur nicht aus den Reihen der Bundesregierung. Zu mehr als ein paar dürren Worten des Bedauerns wollte das Auswärtige Amt sich am Wochenende nicht durchringen.

Der ungewöhnlich schnell beigelegte Streit um das Weihnachtsverbot ist die berühmte Ausnahme, die die Regel bestätigt. Es ist diese handzahme bis devote Art, die Erdogan immer wieder in die Karten spielt und in seinen Allmachtsfantasien bestärkt. Warum, zum Beispiel, hat die Bundesregierung die deutschen Soldaten nicht aus Incirlik abgezogen, nachdem Erdogan den Abgeordneten des Verteidigungsausschusses den Besuch dort verboten hatte? Und warum hat sie nicht sofort damit gedroht, die Millionenzuschüsse für das Lisesi-Gymnasium zu sperren? Wenn an einer Schule, die sich dem kulturellen Austausch zwischen beiden Ländern verpflichtet fühlt, kein Weihnachtslied mehr gesungen werden darf – steht dann nicht der ganze Austausch infrage? Das Vermitteln deutscher Kultur ist Teil des Abkommens, mit dem sich die Bundesrepublik verpflichtet hat, Lehrer in die Türkei zu schicken und diese auch zu bezahlen. Und was, wenn nicht das Weihnachtsfest, ist das Sinnbild schlechthin unserer christlich-abendländischen Kultur?

Während Erdogan über sein staatliches Religionsamt Hunderte von Moscheen in Deutschland unter Kontrolle hat, scheut die Bundesregierung in der Türkei jeden noch so kleinen Konflikt – aus Angst, womöglich den Flüchtlingspakt zu gefährden. So hätten im deutschen Generalskonsulat in Istanbul schon bei der Absage des traditionellen Weihnachtssingens mit dem Schulchor der Lisesi-Gymnasiums vor mehr als einer Woche alle Alarmglocken schrillen müssen. Nur weil sich nach zwei turbulenten Tagen nun alles in einem erzwungenen vorweihnachtlichen Frieden auflöst, ist das Problem ja noch nicht gelöst. Solange Angela Merkel ihm das Gefühl gibt, auf ihn vor allem komme es an, wird ein Mann wie Erdogan seine Grenzen immer weiter austesten – und sie immer weiter zulasten seiner Partner verschieben.