Herr Fischer, wie sollte Deutschland mit IS-Rückkehrern umgehen, die in Syrien gekämpft haben?

So, wie es das Gesetz vorschreibt. Das steht ja auch gar nicht zur Disposition. Wenn Personen in diesen Bürgerkriegen insbesondere in Syrien und für den IS gekämpft haben, haben sie sich mit hoher Wahrscheinlichkeit strafbar gemacht. Gegen sie müssen dann in Deutschland Verfahren eingeleitet werden.

Großbritannien hat die Rückkehr einer jungen Frau blockiert, in dem es ihr die Staatsbürgerschaft aberkannt hat. Geht das so einfach?

Das geht überhaupt nicht einfach. Wenn es sich um deutsche Staatsbürger mit nur einer Staatsbürgerschaft handelt, dann ist es nach Artikel 16(1) des Grundgesetzes verboten, sie zu entziehen. Damit soll die Staatenlosigkeit verhindert werden. Bei Doppelstaatlern kann die deutschen Staatsbürgerschaft entzogen werden, wenn der Betroffene einem bewaffneten Verband eines anderen Staates beigetreten ist. Das ist eine Ausnahme, die hier nicht greift, weil der IS kein Staat, sondern eine Terrororganisation ist. Trotz ihres Namens ist sie genauso wenig Staat wie Boko Haram oder Al Qaida.

Das bisherige Recht verhindert die Aberkennung in Deutschland. Das will die Bundesregierung nun offenbar ändern. Was halten Sie davon? Wie müsste das neue Gesetz idealerweise aussehen?

Das Vorhaben war schon im Koalitionsvertrag vereinbart. Es kann wegen des Verbots in Art. 16 Abs. 1 GG nur solche Personen betreffen, die mehrere Staatsangehörigkeiten haben. Ich halte es nicht für überzeugend. Es ist der ziemlich populistische Versuch, sich ein Problem auf Kosten Dritter vom Hals zu schaffen. Wenn statt wie bisher die Eingliederung in einen Kampf-Verband eines fremden Staats nun die Beteiligung an irgendwelchen "Terrorgruppen" ausreicht und als Motiv ein "Abwenden von Deutschland", ist das ein ungutes Zeichen für das Verschwimmen der Grenzen zwischen Staatsrecht und Strafrecht, Krieg und Strafverfolgung. Weder die Welt noch Deutschland werden dadurch sicherer. IS-Kämpfer einfach auszubürgern, damit sich andere mit ihren Taten und ihrer Gefährlichkeit befassen sollen, ist nicht nur keine Lösung, sondern unverantwortlich. Es sind deutsche Staatsangehörige, die ausgezogen sind, um Verbrechen zu begehen. Einen deutschen Bürger, der im Ausland – vielleicht – einen Mord begangen hat, kann sich der deutsche Staat nicht einfach durch Ausbürgerung vom Hals schaffen.

In 32 der 42 Verdachtsfälle laufen ja noch Ermittlungsverfahren. Wie schwierig sind die Ermittlungen?

Das Auswärtige Amt hat ja eine umfangreiche Liste. Gegen 32 laufen Ermittlungsverfahren, gegen 18 liegt schon Haftbefehl vor. Der deutsche Staat ist kein Amateurverein. Der deutsche Staat hat natürlich Personen vor Ort, die dort schon ermitteln und versuchen, Vorwürfe zu konkretisieren. Die Verdächtigen sind derzeit wohl in Kriegsgefangenenlagern. Wenn sie ausgeliefert werden, dann müsste hier entschieden werden, ob sie in Untersuchungshaft kommen oder nicht. Da gibt es aber keinen Automatismus, sondern ein Ermittlungsrichter muss entscheiden.

Schürte Außenminister Heiko Maas falsche Hoffnungen mit seiner Aussage, die Rückkehrer könnten mehr oder minder automatisch in U-Haft kommen?

Das ist abwegig. Es kann kein Haftgrund sein, dass jemand aus Syrien kommt. So tief gesunken ist Deutschland noch nicht. In Haft kommt nur, gegen wen ein dringender Tatverdacht einer Straftat vorliegt, hier jedenfalls eine Tat der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation. Dazu muss ein so genannter Haftgrund kommen: Flucht- oder Verdunkelungsgefahr liegen hier nahe. Aber die Formulierung, „die dürfen nur rein, wenn sie an der Grenze verhaftet werden“, nimmt alle Prüfungen schon vorweg.

Wieso wird die U-Haft von Maas als Lösung verkauft?

Er tut so, als sei die Sache schon erledigt, wenn jemand in U-Haft genommen wurde. Dabei ist sie keine vorweggenommene Strafe, sondern eine Inhaftierung zur Sicherung des Verfahrens. Ob dann in dem Verfahren Schuld festgestellt wird, unterliegt nicht der Prüfung der Polizei oder der Staatsanwaltschaft, sondern der des Gerichts. Und selbst eine Verurteilung bedeutet ja nicht, dass alle Gefangenen lebenslang in Haft oder Sicherungsverwahrung kommen. Sie bekommen eine Strafe, die den ihnen nachweisbaren Straftaten angemessen ist. Und danach werden sie wieder entlassen. So funktioniert das in einem Rechtsstaat.

Die kurdischen Streitkräfte haben etwa 800 ausländische Gefangene in ihrer Gewalt – und wollen sie auch nicht einfach freilassen. Hat Deutschland da überhaupt eine Handhabe?

Die Auskunft, dass sie die Gefangenen nicht einfach freilassen wollen, war die Reaktion auf die Drohung von US-Präsident Trump, die Dschihadisten freizulassen, wenn die Europäer ihre Staatsbürger nicht zurücknehmen. Die kurdischen Organisationen verlangen schon lange von den europäischen Staaten, dass diese ihre Staatsangehörigen zurückholen. Die kurdischen Streitkräfte haben kein Interesse daran, durchgeknallte deutsche Islamisten jahrelang dort zu verwahren.

Wie ist mit den Kindern der IS-Kämpfer umzugehen? Wann können sie den Eltern entzogen werden oder auch Verwandten vorenthalten werden, wie im Fall von Sarah O.?

Das kann sein. Das liegt nicht ganz fern. Wenn jemand seine Kinder so erzieht, dass sie in der Gesellschaft ausgegrenzt werden, oder mit dem Ziel, die zu Kämpfern für einen Gottesstaats zu machen, dann wird das Kindeswohl gefährdet. Der deutsche Staat ist sehr darauf aus, dass die Jugendämter möglichst frühzeitig und umfassend eingreifen. Das ist auch richtig. Man sollte diesen Kindern nicht die Last der Verbrechen ihrer Eltern auferlegen, und sie davor schützen, in dasselbe Fahrwasser zu geraten.

Wie leicht lassen sich Straftaten in Syrien hierzulande überhaupt nachweisen?

Jeder, der dort gekämpft hat, hat sich der Mitgliedschaft einer Terrororganisation schuldig gemacht. Ob er zusätzlich einzelne Straftaten wie Mord oder Vergewaltigung begangen hat, wird man im einen Fall beweisen können, im anderen nicht. Bei manchen wird es Zeugen geben wie Mitgefangene, oder möglicherweise Opferzeugen. Es ist ja nicht grundsätzlich wesentlich leichter, in Syrien diese Prozesse zu führen und Beweise zu bringen. Bei vielen, die so reden, steckt die Ansicht dahinter, dass die Menschen dann eben in Syrien und ohne handfeste Beweise bestraft werden. Es gibt Leute, die sich dafür aussprechen, dass frühere IS-Streiter einfach massakriert werden sollten. Das sind Positionen, die sich von dem, was da bekämpft werden soll, kaum unterscheiden. Sie sind genauso rechtswidrig wie das, was die Dschihadisten getan haben.

Ist zu befürchten, dass potenzielle Gefährder mangels Beweisen nach ihrer Rückkehr auf freien Fuß kommen?

Das ist im Grundsatz möglich und dann auch zu befürchten. Aber in Deutschland gibt es zu jeder Zeit eine Menge gefährliche Menschen. Wenn man die Patientenakten aller Psychiater durchsuchen würde, würde man auf Hunderttausende stoßen, die potenzielle Gefährder sind. Und es gibt auch viele Menschen, die schon Straftaten begangen haben, nach Haftverbüßung aber wieder frei sind. Die Gesellschaft könnte jede Gefährdung nur um den Preis totalitärer Verhältnisse ausschließen. Natürlich ist ein IS-Kämpfer in besonderer Weise gefährlich. Aber man kann nicht über eine enge Überwachung hinausgehen.

Woran denken Sie da?

Eine unbegrenzte Vorbeugehaft können wir nicht einführen. Da wären wir wieder bei der Einrichtung von Konzentrationslagern, für Menschen, die wir nicht mehr zu den Bürgern rechnen, sondern nur noch als Feinde ansehen, die man vernichten oder unschädlich machen muss, auch wenn sie keine nachweisbaren Taten begangen haben. Das mag für Stammtischgespräche interessant erscheinen, aber ich glaube nicht, dass unsere Gesellschaft das moralisch aushalten würde. Wir müssen letztendlich auch mit gefährlichen Menschen leben. Und angemessene Mittel finden, mit dieser Gefahr umzugehen. Dabei sollte aber jedem bewusst sein, dass man in einem großen freien Staat nicht verhindern kann, dass sich Gefahren hin und wieder auch verwirklichen.

Wie kann eine Deradikalisierung und Rückkehr in die Gesellschaft gelingen?

Es kommt auf den Einzelnen an. Im Grundsatz ist es klar. Wir haben es ja bekanntlich geschafft, eine große Zahl von deutschen Staatsangehörigen, die vor 70 Jahren Europa Menschenrechtsverbrechen und Massaker begangen haben, in die deutsche Nachkriegsgesellschaft zu integrieren. Sie wurden zu guten Bürgern. Abgesehen davon: Menschen ändern sich auch. Wer mit 19 oder 23 durchgeknallt war, kann mit 42 trotzdem ein anständiger Kinderarzt sein.

Fragen: Mirjam Moll