Herr Hofreiter, drei Männer wollen die Grünen in die Bundestagswahl führen. Was haben Sie Cem Özdemir und Robert Habeck voraus?
Ich stehe für die ökologischen Kernthemen der Grünen und kann diese mit anderen wichtigen Fragen verbinden: Warum müssen wir raus aus der industriellen Massentierhaltung? Was hat die Art, wie wir Landwirtschaft betreiben, mit den Fluchtursachen zu tun? Hier gibt es einen engen Zusammenhang, so lange wir unsere subventionierten Agrarprodukte in ärmere Länder exportieren und dort die Wirtschaft zerstören. Klar, ich bin vielleicht etwas kantiger als die anderen, aber ich glaube, klare Alternativen brauchen wir gerade in diesen Zeiten
Die Diskussionen über die Steuerpolitik erinnern fatal an den letzten Wahlkampf. Ist das auch diesmal die Botschaft der Grünen: Ehegattensplitting abschaffen, Steuern rauf?
Uns geht es um Gerechtigkeit: Bezahlbarer Wohnraum, ein ausreichendes Angebot an Kita-Plätzen, funktionierende Sozialsysteme, kein Missbrauch mehr von Werkverträgen und Leiharbeit, wie wir ihn unter anderem in Deutschlands Schlachthöfen erleben. Unsere Steuerpläne zielen nicht auf Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen, sondern auf Superreiche, auf Milliardäre und Multimillionäre, die künftig eine Vermögenssteuer bezahlen sollen. Das ist wichtig für den Zusammenhalt der Gesellschaft.
Es kann nicht sein, dass Sie jeden Monat Ihre Steuern bezahlen und dann von der Schule Ihrer Kinder einen Brief bekommen, Sie sollen doch bitte helfen, das Klassenzimmer zu weißeln – und auf der anderen Seite gibt es Menschen, die sich weltweit eine Luxuswohnung nach der anderen zusammenkaufen, ohne irgendwo noch angemessen Steuern zu bezahlen.
Trotzdem haben viele Menschen den Eindruck, als wollten die Grünen wieder mal an der Steuerschraube drehen.
Damit das klar ist: Wir wollen die Leute entlasten etwa durch mehr Geld für die Kinderbetreuung, bezahlbaren Wohnraum oder sichere Renten. Wir wollen Wohlstand für alle. Und nicht nur für die Superreichen. Die sollen sich nicht länger aus der Verantwortung stehlen können. Vor kurzem habe ich mich mit einem Buchhändler unterhalten. Er hat sich bitter darüber beklagt, dass er zwar jeden Monat brav seine Steuern abführt, sein schärfster Konkurrent Amazon aber weder anständige Löhne noch Steuern in Deutschland bezahlt. Wie kann das sein? Wenn wir jetzt darauf pochen, dass transnationale Konzerne wie Amazon, Google oder Starbucks sich nicht mehr vor dem Fiskus drücken können, ist das etwas, was viele Menschen genau so sehen.
Bei den Grünen gibt es heftigen Streit, ob Daimler-Chef Dieter Zetsche beim Parteitag auftreten darf. Ist er für Sie Gegner – oder Partner, zum Beispiel beim Thema Elektroauto?
Im Moment ist die Autoindustrie sich selbst der größte Gegner. Schauen Sie sich die Panik bei VW an, die Angst vor einer verpflichtenden Quote für den Verkauf von Elektroautos in China, schauen Sie sich die Diskussionen über Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in London oder Neu-Delhi an: Überall haben Sie in der Autoindustrie massive Fraktionskämpfe zwischen den Befürworten einer modernen, umweltschonenden Technologie und den Anhängern der alten Technologie. Wir stehen an der Seite der Innovativen. Hier muss die Branche noch viel Geld investieren, auch auf die Gefahr hin, dass die Dividenden vorübergehend etwas dünner werden.
Finden Sie es denn gut, dass der Parteivorstand Zetsche eingeladen hat?
Wir Grüne reden ohnehin täglich mit den Unternehmen. Und seien Sie sicher: Wir lassen uns keine Geschichten von denen erzählen. Ich bin gespannt, wie er sich schlägt.
Sie gelten als Befürworter einer rot-rot-grünen Koalition nach der Bundestagswahl. Verkehrsminister in einem schwarz-grünen Bündnis: Wäre das nichts für Sie?
Eigenständigkeit darf keine Chiffre für Schwarz-Schwarz-Grün sein. Man darf nicht in vorauseilendem Gehorsam Positionen räumen. Weder in die eine noch in die andere Richtung. Es muss klar sein: Wir sind und bleiben eine Partei der linken Mitte. Da warne ich vor einer Rechtsverschiebung. Für mich gilt: Erst ziehen wir selbstbewusst in den Wahlkampf, dann entscheidet der Wähler, dann verhandeln wir vielleicht über eine Koalition und erst danach verteilen wir die Posten. Ja, wir wollen regieren. Aber nicht um jeden Preis.
Entscheidend ist, ob ein echter Politikwechsel möglich ist. Für einen Klimaschutz, der das Klima wirklich schützt, für ein eindeutiges Bekenntnis zur Europäischen Union, für mehr soziale Gerechtigkeit und einen entschiedenen Kampf gegen jede Form von Diskriminierung Und dann haben beide Varianten, über die gerade gesprochen wird, ihre Tücken, Rot-Rot-Grün wie Schwarz-Schwarz-Grün.
Fragen: Rudi Wais, BerlinZu Person und Partei
- Anton Hofreiter, 1970 in München geboren, ist den Grünen bereits als Jugendlicher beigetreten. Seit Oktober 2013 führt er gemeinsam mit Katrin Göring-Eckardt die Grünen-Bundestagsfraktion. Der er, promovierte Biologe gehört dem Bundestag seit 2005 an und zählt zu den Wortführern des linken Parteiflügels. 2011 bis 2013 war er Vorsitzender des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
- Grünen-Bundesparteitag: Die Grünen treffen sich am kommenden Wochenende zu ihrem Bundesparteitag in Münster. Von Freitag bis Sonntag debattieren rund 850 Delegierte über den Kurs der Partei. Unter anderem geht es um Steuerpolitik sowie die Zukunft des Ehegattensplittung und Kindergrundsicherung. Weiter befassen sich die Grünen mit dem Zustand Europas. Zudem behandeln die Delegierten einen Dringlichkeitsantrag zum Thema Syrien. (rw/dpa)