„Ich will nicht sterben“, waren die letzten Worte von Emine Bulut: Vor den Augen ihrer zehnjährigen Tochter ist die 38-jährige Türkin Emine Bulut in einem Schnellimbiss von ihrem Ex-Mann erstochen worden. „Mama, bitte stirb nicht“, schrie das Kind, doch Emine Bulut verblutete innerhalb weniger Minuten. Die Polizei wusste offenbar von den Morddrohungen des Mannes gegen seine ehemalige Gattin, hatte aber nichts unternommen.

Ein Gast filmte die Tat

Der Mord in Kirikkale, eine Autostunde östlich der Hauptstadt Ankara, wäre möglicherweise nur ein weiterer Fall in der traurigen Statistik der Gewalt gegen Frauen in der Türkei geworden, hätte ein Gast in dem Imbiss die Tat nicht mit seinem Handy gefilmt. Die Bilder tauchten knapp eine Woche nach dem Mord vom 18. August im Internet auf und schockten das Land. Der mutmaßliche Täter und auch der filmende Tatzeuge wurden inzwischen festgenommen. Auf Antrag der Opferfamilie verhängte ein Gericht eine Nachrichtensperre, um die Weiterverbreitung des Mord-Videos zu verhindern.

Sie ließ sich vor Jahren scheiden

Emine Bulut hatte sich schon vor Jahren von ihrem gewalttätigen Mann Ferdai Varan scheiden lassen. Am Tag des Mordes habe der 43-jährige Varan seine ehemalige Frau und seine Tochter sehen wollen, berichteten Familienangehörige türkischen Medien.

Bei dem Treffen in einem Café gerieten die ehemaligen Eheleute demnach in einen Streit; Varan drohte, er werde Bulut umbringen. Mutter und Kind gingen sofort zur Polizei, um von Varans Drohung zu berichten, wie der Internet-Fernsehsender Medyascope meldete.

Die Beamten taten aber offenbar nichts, um den Mann ausfindig zu machen

Varan fing seine Frau auf ihrem Rückweg von der Polizei ab und zwang sie, mit ihm in das Schnellrestaurant zu gehen. Dort zog er ein Messer, stach sie in den Hals und flüchtete mit einem Taxi. Dem Fahrer erklärte er seine blutverschmierte Kleidung damit, dass er ein Opfertier geschlachtet habe. Inzwischen sitzt Varan in Untersuchungshaft. Im Verhör der Staatsanwaltschaft nannte er sein Mordmotiv: Seine Ex-Frau habe ihn beleidigt.

Das Video wühlt das ganze Land auf

Obwohl in der Türkei jeden Tag Frauen getötet werden, wühlte das Video das Land auf. Eine Nachrichtensprecherin im Fernsehen brach in Tränen aus, überall in der Türkei protestierten Demonstranten am Wochenende gegen die Frauengewalt, in Fußballstadien gab es Schweigeminuten. Das Familienministerium will dem anstehenden Prozess gegen Varan als Nebenklägerin beitreten, um damit die Position der Regierung gegen die Gewalt an Frauen zu dokumentieren.

220 Frauen sind nach Angaben des Verbandes „Wir stoppen die Verbrechen an Frauen“ seit Anfang des Jahres in der Türkei von Verwandten oder ehemaligen Partnern umgebracht worden. In den vergangenen Jahren zählten die Aktivisten mehr als 400 Morde an Frauen pro Jahr; das sind mehr als doppelt so viele Opfer wie in Deutschland, das eine ähnliche Einwohnerzahl hat.

Die wenigsten Fälle machen überhaupt noch Schlagzeilen. Nur die gesteigerte Aufmerksamkeit nach dem Mord an Emine Bulut bringt das Thema jetzt wieder auf die Tagesordnung. So berichteten türkische Medien kurz nach Buluts Tod, ein Mann im zentralanatolischen Konya habe seine Frau mit 20 Messerstichen ermordet – der mutmaßliche Täter ignorierte einen behördlichen Wohnungsverweis. Als ihn die Polizei nach seiner Festnahme fragte, ob er den Mord bereue, sagte der Mann, es sei um die „Ehre“ gegangen. Da gebe es keine Reue.

Trennung nicht akzeptiert

Im südtürkischen Gaziantep stach ein Mann auf seine Ehefrau in einem Krankenhaus ein, nachdem sie gerade ein Kind zur Welt gebracht hatte: Das Paar lebt seit einem halben Jahr getrennt, doch der Mann wollte dies nicht hinnehmen. Das Opfer kam mit schweren Verletzungen auf die Intensivstation.

Frauenverbände beklagen seit Jahren, das Land habe zwar seine Gesetze modernisiert, unternehme aber nichts gegen patriarchalische und frauenfeindliche Wertevorstellungen, die in vielen Fällen zu der Gewalt führten.

Auch nach dem Mord an Emine Bulut wurde deutlich, wie sehr diese Vorstellungen das Denken von Behördenvertretern bestimmen. So schrieb der Präsident des staatlichen Religionsamtes, Ali Erbas, über den Mord auf Twitter: Leben, Ehre und Rechte der Frauen seien im Islam unantastbar und den Männern anvertraut. Die Reaktion ließ nicht auf sich warten. „Ich bin niemandem anvertraut und habe dieselben Rechte wie ein Mann“, schrieb eine von vielen Frauen als Antwort an Erbas.