Valentin Persicke blickt resigniert auf Lörrach hinab. Die Schultern sind nach oben gezogen. Die Hände stecken in den Hosentaschen. Jahrzehntelang hat der ehemalige Leiter des Kriminalkommissariats Lörrach gegen Banden in seiner Heimat gekämpft. Und immer wieder kleine Fische aus dem trüben Verbrechersumpf gezogen. Der große Fang gelang ihm nicht. Zwei Jahre nach seiner Pensionierung fasst er zusammen: „Ich habe versagt.“
Landesinnenminister Thomas Strobl wäre da sicher anderer Meinung. Er bezeichnet Clankriminalität in Baden-Württemberg als Randphänomen. Bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts erklärte Strobl, dass eine etwa mit Nordrhein-Westfalen oder Berlin vergleichbare Clanstruktur nicht existiere.
Aussagen wie diese enttäuschen Persicke. „Politiker versuchen, Probleme klein zu reden. Das ist Taktik. Und die geht auf.“ Durch seine 40-jährige Erfahrung als Ermittler im Polizeidienst schaut er sich die Zahlen der Sicherheitsbehörden anders an: Wenige Fälle mit hoher Aufklärungsquote werden dokumentiert. Weil sich organisierte Kriminalität aber weitestgehend im Verborgenen abspielt, bleibe nicht mehr als ein Erfolg auf dem Papier für die Politiker, die sich um innere Sicherheit kümmern. Die Realität sieht anders aus.
Lörrach: Ein Schwerpunkt der Bandenkriminalität
Gerade Lörrach ist, wie Persicke sagt, „prädestiniert“. Nicht nur für Badener oder Schweizer, die es werden wollen. Denn auch kriminelle Banden schätzen das Dreiländereck. Große Bahnhöfe, Flughäfen, Autobahnen. Auf einem Radius von 30 Kilometern tummeln sich eine Million Menschen.
Clans mit perfider Taktik
Hier kreuzen sich Deutschland, Frankreich und die Schweiz. „Aber organisierte Kriminalität kennt keine Grenzen“, sagt Persicke. Denn um nicht erwischt zu werden, haben Banden um Lörrach eine perfide Taktik entwickelt: Sie verkaufen in Deutschland, bunkern die Drogen in Frankreich und lagern das Geld in der Schweiz.
Trotz Abkommen mit der Schweiz: Verbrecher sind der Polizei voraus
Es wird ihnen leicht gemacht. Die Wahrscheinlichkeit, an der Grenze kontrolliert zu werden, ist gering – und die Polizei im Nachteil. Offiziell endet der Zuständigkeitsbereich an der eigenen Grenze. Es gibt zwar bilaterale Abkommen, aber „wir können nicht so schnell reagieren wie die Verbrecher. Meistens sind sie uns einen Schritt voraus“, sagt Persicke.
Kriminelle Banden in Baden-Württemberg
Wenn doch jemand gefasst wird, sind es nicht die Strippenzieher, die sie eigentlich erwischen wollen. Das liegt an der strengen Clan-Hierarchie.
Drogenbosse steuern Abläufe aus dem Heimatland
Die Drogenbosse sitzen in ihren Heimatländern und geben von dort den Ton an. Sie nehmen Kontakt mit den sogenannten Managern auf, die im Ausland stationiert sind. Dort lassen sich Manager nichts zu Schulden kommen, arbeiten im Hintergrund, setzen strategische Befehle um. Auf der nächsten Hierarchiestufe stehen Vorarbeiter. Sie sind dafür verantwortlich, dass die Befehle umgesetzt werden.
Ins Netz der Ermittler geraten nur die sogenannten Läufer. Sie erledigen die Drecksarbeit und bringen die Drogen vom Umschlagplatz zum Verkaufsort. Wenn ein Läufer gefasst wird, schweigt er fast immer. Denn wer das Nest der Clans beschmutzt und der Polizei Informationen zusteckt, bringt seine Familie im Heimatland in Gefahr. Dadurch bleibt der Schaden für die Clans gering. Und Läufer zu ersetzen – das ist ein Kinderspiel.
„Wir haben von Anfang an gewarnt. Aber es hat nichts gebracht“
All das hätte verhindert werden können: Albanische Banden machten sich schon vor dreißig Jahren in Valentin Persickes Heimatstadt breit. „Wir haben von Anfang an gewarnt, dass sich eine Subkultur entwickelt. Aber es hat nichts gebracht“, ärgert sich der Mann mit dem markanten Schnurrbart.
Heute müssen seine Nachfolger diese bittere albanische Suppe auslöffeln, die in Lörrach viel zu lange vor sich hinköchelte. Mittlerweile haben Clanmitglieder deutsche Pässe. Das Geld wurde gewaschen.
Die Polizei erzielte kurzzeitige Erfolge. Nachhaltige Lösungen fehlen
Bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2017 haben Persicke und Kollegen die Machenschaften der Clans aus Osteuropa zwar teilweise in den Griff bekommen. Zerschlagen konnten sie die verkrustete Struktur jedoch nicht. „Ich gehe mit anderen Augen als der Normalbürger durch die Straßen und stelle fest: Eigentlich hat sich gar nichts verändert“, sagt Persicke.
Um organisierte Kriminalität zu bekämpfen, braucht man geschultes Personal und einen langen Atem. Doch die meisten Kollegen beschäftigten sich zu seiner Zeit im Alltag mit Einbruch und Diebstahl. „Das bindet Ressourcen. Kein Platz für aufwendige Ermittlungen“, sagt Persicke. Er fordert eine ständige Einsatzgruppe mit Ermittlern aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz. „Nur so haben wir eine Chance.“
Landesgrenzen werden zum Problem für schnelle Ermittlungen
Doch nicht nur die Staatsgrenzen setzen den Ermittlern zu. Auch der Föderalismus hat seine Tücken. Wer Informationen von anderen Landeskriminalämtern anfordert, hat einen bürokratischen Marathon vor sich. „Wir brauchen ein System, in dem alle Informationen zugänglich gemacht werden.“ Derzeit blockiere der Datenschutz die Ermittlungen der Polizei.
„Die Hauptstadt ist verloren“
In Berlin und einigen Städten im Ruhrgebiet hätten die Clans bereits das Zepter übernommen. „Die Hauptstadt ist verloren“, sagt Persicke. Doch auch das Dreiländereck ist gefährdet. Über die Lage von Heute und die Arbeit seiner Kollegen will sich Persicke kein Urteil erlauben. Aber als er seinen Posten räumte, war die Situation angespannt.
Weil am Rhein ist ein Schwerpunkt für Clans im Dreiländereck
Vor allem in Friedlingen, ein Stadtteil von Weil am Rhein. Wo sich Dönerbuden, Spielhallen und Wettbüros aneinanderreihen. Die Dichte an Luxuskarossen ist hoch. „Als Ermittler verzweifelt man, wenn man das sieht“, schimpft Persicke. Es sei klar, dass sich die Ladenbesitzer diesen Lebensstil nicht mit ihrer normalen Arbeit leisten könnten. „Aber uns sind die Hände gebunden.“
Was Persicke meint, sind die gesetzlichen Hürden. Ermittler müssen beweisen, dass kriminelle Gelder Ferrari, Rolex und Villa finanzieren. „Es wäre aber doch sinnvoll, wenn der Verdächtige belegen müsste, mit welchem Geld er sich das alles gekauft hat, oder?“, fragt Persicke fast verzweifelt.
Was nach seiner langen Karriere bleibt, ist Frust, Wut und etwas Fernweh. „Wenn ich keine Kinder hätte, wäre ich längst weg von hier“, sagt Persicke. Während er über seinen großen Holztisch im Wohnzimmer aus dem Fenster schaut und über Lörrach hinwegblickt, fragt sich der ehemalige Ermittler: „Aber wohin? Despoten entscheiden über unser Schicksal. Die Welt ist aus den Fugen geraten.“