Herr Jung, zur Zeit sind Sie ein gefragter Gesprächspartner im Fernsehen. Wie gefallen Ihnen solche Auftritte wie kürzlich bei Anne Will?

Es ist eine Herausforderung, in einem solchen Format komplexe Sachverhalte in kurzen Sequenzen rüberzubringen.

... und sich dabei nicht allzu heftig mit den anderen zu streiten. Kevin Kühnert kann zum Beispiel ziemlich bissig sein, dachte ich beim Schauen der Sendung.

Streitige Debatten gehören zur Demokratie, auch in der Krise. Wir sind zur Zusammenarbeit bereit, aber wo es nötig ist, gibt es auch Kontroversen. Wenn das hart an der Sache ist, bringt es uns weiter.

Im Anschluss an die Sendung, wenn die Kameras wegfahren, wird dann ganz friedlich geplaudert?

Friedlich schon, doch es kann trotzdem kontrovers bleiben. Als Anwalt habe ich aber gelernt: Man kann inhaltlich heftig streiten ohne persönliche Gegnerschaft.

Das war Ihr erster Auftritt bei Anne Will, nicht ihr erster in einer Talkshow. Wird man eigentlich auf solche TV-Auftritte von der Partei vorbereitet? Das ist ja schon etwas anderes als im Bundestag zu reden.

Es gibt da keine spezielle Vorbereitung. Das muss man schon selbst machen.

Kommen wir zur Sache. Die Ampel-Koalition hat gerade den „Doppelwumms“ in Sachen Energiepreise verkündet. Ist damit alles geritzt?

Nein. „Doppelwumms“ ist ja bisher nur eine Überschrift. Preise zu bremsen als Ziel ist richtig. Aber die Umsetzung ist noch völlig unklar. Da werden 200 Milliarden Euro ins Schaufenster gestellt ohne zu erklären wie sich die Summe ergibt. Umgekehrt würde ein Schuh daraus: Erst ein Instrument entwickeln, dann den Finanzbedarf ermitteln.

Die Regierung hat dagegen bislang nicht einmal eine Skizze vorgelegt, wie die Preisbremse funktionieren soll. Aber darauf kommt es doch an: Viele Menschen sind hart betroffen. Sie brauchen dringend Antworten. Genauso die Betriebe, auch in unserer Region trifft es sie in der Breite: Industrie wie Fondium in Singen, kleine Bäckereien und mittelständische Brauereien. Sie alle brauchen Klarheit, was das für sie bedeutet.

Was ist denn Ihr Vorschlag? Wo soll das subventionierte Budget enden?

Wir haben einen Vorschlag der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm aufgegriffen, die nun auch die Regierungskommission leitet: Den Gaspreis auf zwölf Cent pro Kilowattstunde deckeln – aber nicht in vollem Umfang, sondern zu 80 Prozent. Wir hatten ein Preisniveau von etwa sieben Cent vor der Krise, derzeit sind es teilweise deutlich über 30 Cent. Zwölf Cent ist das Preisniveau, das nach der Krise prognostiziert wird.

Drei Dinge sprechen dafür: Es bringt erhebliche Entlastung. Trotzdem bleiben Sparanreize, da nicht in vollem Umfang alles abgefedert wird. Und schließlich endet die staatliche Förderung, wenn dieses Preisniveau tatsächlich erreicht wird und es entsteht keine Dauersubvention.

Ist das mit den 200 Milliarden Euro gedeckt?

Man geht dafür von einem mittleren zweistelligen Milliardenbereich aus. Die 200 Milliarden Euro sollen nach Vorstellung der Regierung auch noch für Strompreisbremse, Stützung von Gasimporteuren und Unterstützung von Unternehmen eingesetzt werden.

Das hieße trotzdem, dass die Preise sich für Verbraucher fast verdoppeln.

Ja leider. Der Staat kann in dieser Krise auch mit hohem Mitteleinsatz nicht alle Auswirkungen auffangen. Entgegen der Botschaft des Bundeskanzlers „Niemand muss sich Sorgen machen“, müssen wir uns leider eben doch sorgen – um die Energiesicherheit, den Klimaschutz und die Energiepreise.

Menschen mit geringen Einkommen können auch eine Verdopplung der Preise nicht tragen. Deshalb müssen stärkere gezielte Hilfen für sie die Preisbremse ergänzen. Bisher sind erhöhte Zuschüsse für mehr Wohngeldempfänger vorgesehen. Das reicht aber nicht. Viele Menschen in ganz normalen Berufen werden auch künftig kein Wohngeld erhalten. Für sie muss mehr getan werden.

Wann können die Bäcker wieder beruhigt ihr Brot backen, weil sie wissen, dass sie von den Energiekosten nicht aufgefressen werden?

Unterstützung ist überfällig, bislang erhalten aber nur wenige Industrieunternehmen Zuschüsse zu den Energiekosten. Auch sie müssen dafür schon fast in der Insolvenz stecken.

Die Förderung muss dringend erleichtert und für Mittelstand und Handwerk geöffnet werden, sonst droht eine Pleitewelle. Robert Habeck hat das nun auch angekündigt, aber es gibt noch nichts Belastbares dazu. Das Problem ist: Das kommt sehr spät. Viele Betriebe können nicht bis Weihnachten warten.

Dass bei der Bund-Länder-Schalte nichts beschlossen wurde, hat Sie das überrascht?

Das hat sich abgezeichnet, weil die Regierung ja mit den Ministerpräsidenten nichts abgestimmt hatte im Vorfeld. Da die Länder mit Milliarden beitragen sollen wäre das aber angezeigt gewesen. Zudem haben auch sie Klarheit über die Preisbremse als Grundlage für das Gesamtgebäude von Stützung und Unterstützung durch Bund und Länder gefordert.

Die Gasspeicher sind inzwischen gut gefüllt. Halten Sie es für realistisch, dass wir trotzdem in eine Mangellage hineinlaufen?

Gefüllte Gasspeicher sind laut Bundesnetzagentur-Chef Klaus Müller noch keine Gewähr, dass wir gut über den Winter kommen. Es drohen weiter Mangellagen, weil wir nicht wissen, wie hart der Winter wird und wie viel Gas aus anderen Ländern als Russland kommt.

Wir haben aber auch ein Strom- und ein Ölproblem. In dieser Situation ist es dringend geboten, alle Möglichkeiten der Energieerzeugung zu nutzen. Das war das Ergebnis des Stresstests und so sehen es auch die Wirtschaftsweisen. Aber bei der Ampel geht das zu langsam. Erst Ende September wurden auf unseren massiven Druck hin die gesetzlichen Deckel für nachhaltige Bioenergie abgeräumt.

Unsere Grundsatzbeschlüsse zu Kernenergie und Kohle bleiben richtig, ich bin gegen einen Ausstieg aus dem Ausstieg. Aber zur Abwendung eines Notstands müssen jetzt befristet in der Krise auch hier alle Potenziale konsequent genutzt werden. Da ist es zu wenig, wenn acht Monate nach dem 24. Februar nur zwei Steinkohlekraftwerke wieder am Netz sind.

Jetzt wird auch die Braunkohle reaktiviert und auch das ist leider notwendig. Aber gleichzeitig soll das dritte noch laufende Kernkraftwerk in Lingen zum Jahresende vom Netz. Klimaschädliche Braunkohle bis 2024, aber ein CO2-neutrales sicheres Kernkraftwerk in drei Monaten abstellen? Das passt nicht zusammen.

Reicht es, Isar 2 und Neckarwestheim im Streckbetrieb weiterlaufen zu lassen bis April? Wenn die Energiekrise noch anhalten dürfte.

Alle Experten befürchten in der Tat zwei harte Winter. Und im nächsten Frühjahr könnten die Speicher sehr leer sein, ohne dass wir sie garantiert füllen können. Können wir eine Energienot dann abwenden? Da gibt es viele Unbekannte. Deshalb sollten die Voraussetzungen geschaffen werden, die Kernkraftwerke auch noch im darauffolgenden Winter betreiben zu können.

Das könnte Sie auch interessieren

Die deutschen Gasspeicher sind gut gefüllt, aber wir müssen Schützenhilfe leisten, wenn es in anderen EU-Ländern an Gas mangelt im Winter, oder?

Wir werden durch diese Krise als Europäer nur gemeinsam kommen. Das gilt generell, aber auch bei der Energie. Deshalb sollten wir auf europäische Solidarität setzen und sie nicht in Frage stellen. Solidarität ist keine Einbahnstraße.

Wir bekommen Gas aus Norwegen, aus den Niederlanden, über Belgien. Auch Frankreich kann uns im Winter mit Gas helfen. Und umgekehrt setzen unsere Partner auch auf uns – die Franzosen etwa beim Strom. Die europäische Gaseinsparverordnung verpflichtet zu gegenseitigem Beistand – und zu Solidaritätsabkommen mit den Nachbarn. Darin werden die Einzelheiten der Nothilfe geregelt. Wir haben nur zwei solcher Verträge – mit Österreich und Dänemark und die sind aus dem letzten Jahr.

In der Krise hat Deutschland noch kein einziges Abkommen geschlossen, nicht einmal mit unseren engsten Freunden in Frankreich. Die Bundesregierung erklärt dazu, die Verhandlungen mit den Partnern seien wenig erfolgsversprechend. Das treibt mich wirklich um: Den blumigen Reden zur Solidarität müssen konkrete Verabredungen folgen.

Das könnte Sie auch interessieren

Es wird enger werden im Winter. Wie stark wird da die europäische Solidarität beansprucht werden? Der Amprion-Chef sagt, wir werden im Winter keinen Strom mehr ins Ausland liefern können.

Das belegt jedenfalls, dass wir jede Art der Stromerzeugung nutzen sollten, auch als unseren Beitrag zu europäischer Solidarität. Bei Knappheit droht immer eine Besinnung auf sich selbst. Dazu darf es aber weder in der Krise kommen noch danach. Nur mit einer europäischen Energieunion können wir Klimaneutralität und Energiesicherheit verbinden.

Wir müssen hier im Land die erneuerbaren Energien massiv ausbauen, trotzdem werden wir aber nicht autark. Wir brauchen Ökostrom-Partnerschaften, grenzüberschreitende Leitungen und ein europäisches Wasserstoffnetz. Oft schafft Europa Fortschritte leider erst in der Krise. Ich hoffe, dass wir unter ihrem Eindruck mit den Partnern energisch voran gehen.

Wie sorgen Sie persönlich vor? Haben Sie die Heizung an?

Wir heizen, aber sparsam. Die Heizung haben wir optimal einstellen lassen und auch sonst haben wir auf Energieeffizienz getrimmt.