Als sich am Wahlsonntag um 17 Uhr die Spitzen von CDU und CSU zusammensetzten, um über die Lage zu beraten, war die Stimmung schon nicht gut. Die letzten Umfragen hatten einen Vorgeschmack auf das geliefert, was um 18 Uhr Wahrheit wurde: Die Union ist nach 16 Jahren in den ersten Hochrechnungen nicht mehr die stärkste Partei in Deutschland. CDU und CSU werden die nächsten vier Jahre im Bundestag die Oppositionsbank drücken, wenn es schlecht läuft. Vor allem aber: Die Partei steht vor einer schweren Belastungsprobe, womöglich der schwersten der letzten gut 21 Jahre, als Helmut Kohl über die Spendenaffäre stolperte.
„Was mit Armin Laschet wird? Ich weiß es nicht!“, sagte einer aus der Parteispitze unwirsch, kurz nachdem die Sender die ersten Zahlen veröffentlicht hatten. Offiziell wollte sich zu dieser Frage aus Unionsreihen niemand festlegen. Aber inoffiziell herrschte Ratslosigkeit. Denn um die 25 Prozent für die Union sind einerseits ein historisch schlechter Wert für die Konservativen. Anderseits ist das Ergebnis nicht so schlecht, dass es Laschets sofortigen Rauswurf bedeuten würde. Bei einem Wert um die 20 Prozent, da waren sich bei der Union zuletzt alle sicher, hätte Laschet seinen Posten als CDU-Vorsitzender räumen müssen. Auch Fraktionschef hätte er nie und nimmer werden können. Doch so?
Laschet will Kanzler werden
Laschet deutete die schlechten Zahlen für sich und seine Partei gekonnt in eine Art Sieg um. Als er um 19 Uhr in das bis dahin verdächtig stille Konrad-Adenauer-Haus trat, brandete erstmals Jubel auf. Laschet dankte anständig der neben ihm stehenden Angela Merkel und machte dann deutlich, dass er nicht nur die neue Regierung bilden, sondern sie auch als Kanzler anführen will. „Zu dieser Aufgabe bin ich bereit“, rief er aus und band seinen Intimfeind gleich mit ein: „Dafür werde ich jetzt arbeiten. Gemeinsam mit Markus Söder, gemeinsam mit unserem gesamten Team.“
Kanzler werde der, dem es gelinge, Gegensätze zu befrieden und ein gutes Programm für die nächsten vier Jahre zu entwickeln, sagte der CDU-Chef und hatte damit sicherlich recht. Doch ob es Laschet ist, dem das gelingen wird?
Kann Laschet sich den Fraktionsvorsitz sichern?
Der Spitzenkandidat muss zunächst den Posten des Unions-Fraktionsvorsitzenden für sich beanspruchen. Am Dienstag wird bereits gewählt und der Aachener hat nur wenige Stunden Zeit, die Abgeordneten hinter sich zu versammeln. Der amtierende Fraktionschef Ralph Brinkhaus ist putscherfahren. 2018 setzte er sich überraschend gegen Volker Kauder durch, ein Coup, mit dem kaum jemand gerechnet hatte. Brinkhaus will den Posten behalten, es wird ein harter Kampf. Dass Laschet einen ähnlichen Vertrauensbeweis bekommt wie 2005 Angela Merkel, scheint jedenfalls sehr unwahrscheinlich. Die damalige CDU-Vorsitzende erzielte mit 98,6 Prozent ihr bestes Ergebnis als Fraktionschefin, obwohl die angestrebte Regierungsmehrheit mit der FDP deutlich verfehlt wurde.
Die Union braucht Laschet aber besonders auch aus einem Grund: Der Nordrhein-Westfale ist mit dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner gut befreundet. Beide kennen sich lange, beide schätzen sich. Ein großer Vorteil für die anstehenden Sondierungsgespräche, bei denen die Liberalen offenbar das Zünglein an der Waage sein werden. Über das Verhältnis zur Grünen-Spitzenkandidatin Annalena Baerbock, die bei der Regierungsbildung ebenfalls ein Wort mitzureden hat, ist wenig bekannt. Schlecht soll es aber nicht sein.