Das schwierigste Thema haben die Grünen gleich an den Anfang gesetzt: Für 23.30 Uhr am Freitagabend ist beim Bundesparteitag in Bonn die Abstimmung über die Themen Atomkraft und Energiepreise angesetzt. Für den „äußersten Notfall“, so heißt es in einem Antrag des Bundesvorstands zur Energieversorgung, „stimmen wir zu, eine konditionierte, zeitlich begrenzte und von der Atomaufsicht strikt überwachte Akw-Einsatzreserve zu schaffen“.

Dass dieser „äußerste Notfall“ eintreten dürfte, ist auch den Grünen klar. Nach dem Plan von Wirtschaftsminister Robert Habeck sollen aber nur die beiden Meiler in Bayern und Baden-Württemberg, Isar 2 und Neckarwestheim 2, bis Frühjahr 2023 betriebsbereit bleiben. Auch wenn das dem Koalitionspartner FDP längst nicht weit genug geht.

„Atomkraft? Nein danke“ dominiert in den Anträgen

Werden sich die 700 Delegierten um ihren Wirtschaftsminister scharen und dessen Linie unterstützen? Etliche Anträge richten sich dagegen, pochen auf den Atomausstieg bis Ende des Jahres. Klar ist: Bei diesem Thema geht es ans Eingemachte, die DNA der Partei. Doch wer mit Grünen-Politikern aus Baden-Württemberg spricht, bekommt trotzdem viel Unterstützung für Habeck zu hören.

Dorothea Wehinger, Grüne.
Dorothea Wehinger, Grüne. | Bild: Grüne BW
„1980 war ich zum ersten Mal bei einer Atomkraft-Nein-Danke-Demo.“
Dorothea Wehinger, Grüne, Landtagsabgeordnete Singen

Für Dorothea Wehinger, Landtagsabgeordnete für den Wahlkreis Singen, war die Auseinandersetzung mit der Atomkraft einst ein Grund, sich den Grünen anzuschließen. „1980 war ich zum ersten Mal bei einer Atomkraft-Nein-Danke-Demo“, erzählt sie. Auch Martin Hahn, Landtagsabgeordneter aus dem Bodenseekreis, ist das Atomunglück von Tschernobyl noch lebhaft in Erinnerung: „1986 hatte ich angefangen mit ökologischer Landwirtschaft. Meine erste Ernte musste ich umfräsen.“ Er verstehe also jeden, der beim Gedanken an eine Laufzeitverlängerung Bauchweh bekomme.

Martin Hahn, Grüne.
Martin Hahn, Grüne. | Bild: Grüne BW
„Das Schlimmste, was uns passieren könnte, wäre ein Blackout in dieser Situation.“
Martin Hahn, Grüne, Landtagsabgeordneter Bodenseekreis

Trotzdem finden beide Habecks Vorschlag richtig. Energiesicherheit geht vor. „Das Schlimmste, was uns passieren könnte, wäre ein Blackout in dieser Situation“, sagt Hahn. Die Atomkraft sei zwar überhaupt keine Lösung, aber in diesem Winter könne sie uns noch helfen. Und darüber hinaus, wie es die FDP fordert? Wehinger ist strikt dagegen, dass die Grünen noch weiter auf den Koalitionspartner zugehen. Vor allem aus einem Grund: „Wenn wir darauf eingehen, bedeutet das einen Rückschritt bei den Erneuerbaren.“ Das aber könne man sich nicht erlauben.

Nese Erikli, Grüne.
Nese Erikli, Grüne. | Bild: Grüne BW
„Würde man hier der Politik der FDP folgen, könnte der nötige Druck für die Energiewende womöglich verloren gehen.“
Nese Erikli, Grüne, Landtagsabgeordnete Konstanz

Die Konstanzer Landtagsabgeordnete Nese Erikli wird in Bonn dabei sein – allerdings nicht als Delegierte. Dabei könnte Habeck sich ihrer Unterstützung sicher sein. „Den vorgeschlagenen Streckbetrieb über den Winter hinaus fortzuführen halte ich für wichtig, da die gegenwärtig vorliegenden Zahlen zur Energieversorgung zeigen, dass ansonsten Stromausfälle drohen könnten“, sagt Erikli, die aus vielen Gesprächen weiß, dass die große Mehrheit der Grünen Basis aus Baden-Württemberg hinter Habeck steht. Sie befürchtet wie Wehinger, dass durch ein Einschwenken auf FDP-Linie der nötige Druck für die Energiewende verloren gehen könnte.

Auch Industrievertreter Russwurm spricht

Gut möglich, dass die FDP mit ihrem Pochen auf längeren Laufzeiten und dem Weiterbetrieb des dritten Akw im Emsland Habeck sogar den Weg ebnet bei seiner eigenen Partei. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, dessen Rede auf 19.50 Uhr angesetzt ist, wird ihm die Unterstützung garantiert nicht versagen, das hat er zuvor schon deutlich gemacht. Von Siegfried Russwurm, Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), der ebenfalls spricht, ist hingegen bekannt, dass er alle drei noch am Netz befindlichen Akw weiterlaufen lassen möchte.

Das könnte Sie auch interessieren

Heiße Debatten dürfte es in Bonn am Freitagabend auch über die Entlastungen bei den Energiepreisen geben. Der Vorschlag der Gas-Kommission, die Kosten für den Monat Dezember zu übernehmen, sorgt bei den Grünen nicht für Begeisterung. Denn damit werden Gutverdiener mit hohen Gasrechnungen besonders entlastet. Anspruch der Grünen ist es, vor allem jene zu entlasten, „die die steigenden Preise finanziell besonders unter Druck setzen“, wie es in einem Vorstandsantrag zu Inflation und Energiepreisen heißt.

Baerbock und Habeck bei Waffenlieferungen unter Druck

Weniger konfliktreich dürfte es am Samstag und Sonntag zugehen. Am Sonnabend steht die Außenpolitik auf dem Plan, auch Außenministerin Annalena Baerbock wird sprechen. Der Ukraine-Krieg führe vor Augen, „wie existentiell eine ausreichende zivile und militärische Wehrhaftigkeit ist“, heißt es in einem Vorstandsantrag. „Deshalb liefern wir Waffen an die Ukraine und wollen das auch weiterhin verstärkt tun, wo nötig auch aus den Beständen der Bundeswehr und der Industrie.“

Die Frage von Waffenlieferungen an die Ukraine dürfte für keine allzu großen Kontroversen sorgen. Aber in einem anderen Punkt zeichnet sich bereits ein handfester Streit ab: Es geht um die Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien. In einem Antrag lehnen mehr als 100 Grüne, darunter prominente Bundestagsabgeordnete, die Entscheidung der Bundesregierung vor dem Hintergrund der Kriegsbeteiligung Saudi-Arabiens im Jemen ab. Auch Jürgen Trittin hat die grüne Unterschrift für die Ausnahme vom Export-Stopp im Vorfeld schon kritisiert.

Luisa Neubauer fordert beim Klima mehr Anstrengungen

Für den dritten Tag ist ein weiteres Kernthema der Grünen angesetzt, das im Zuge von Ukraine-Krieg und Energiekrise eine ganz andere Wende nimmt als von den Grünen gedacht: Statt mit massivem Windkraftausbau auf die Klimaneutralität zuzusteuern, muss Robert Habeck nun Kohlekraftwerke reaktivieren und Katar um Flüssigerdgas (LNG) bitten.

Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer spricht beim Klimastreik zu den Teilnehmern.
Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer spricht beim Klimastreik zu den Teilnehmern. | Bild: Sabrina Szameitat/dpa

Um Deutschland klimaneutral und weniger abhängig von fossiler Energie aus Russland zu machen, solle der Gasverbrauch gedrosselt werden, heißt es in einem Antrag des Bundesvorstands. Zudem sollen die Grünen den Bau von schwimmenden und festen LNG-Terminals sowie den Reservebetrieb von Kohlekraftwerken absegnen. Mal sehen, was Fridays-For-Future-Aktivistin Luisa Neubauer dazu zu sagen hat – sie ist als Rednerin am Sonntagvormittag gesetzt.