Neben durchaus positiven Effekten wird Cannabis-Konsum auch mit Psychosen in Verbindung gebracht – also teilweise schweren psychischen Störungen. Was steckt dahinter?
Seit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) Mitte April ein neues Eckpunktepapier für eine Cannabis-Legalisierung vorgestellt hat, wurde eher über Schwarzmarkt, Abgabemengen und Altersgrenzen diskutiert. Um mögliche gesundheitliche Folgen ging es bislang wenig; und das, obwohl das Gesundheitsministerium federführend verantwortlich ist.
Eine jüngst veröffentlichte Studie in dessen Auftrag kam nun zu dem Ergebnis, dass eher nicht mit einer Zunahme von Psychosen zu rechnen sei – gleichwohl mit einem leichten Anstieg der Notaufnahmen wegen cannabisbezogener Einschränkungen und gesundheitlichen Folgen bei jüngeren Menschen.
Psychiater warnt vor großen Risiken
„Für uns ist das ein schlimmes Thema“, sagt Prof. Dr. Carlos Schönfeldt-Lecuona, Notfallpsychiater an der Ulmer Universitätsklinik, der zu den Folgen von Cannabis-Konsum forscht. „Eine Entkriminalisierung ist gut, eine Legalisierung aber schlecht. Die Risiken sind groß.“
Was Schönfeldt-Lecuona meint: Es gibt deutliche Zusammenhänge mit psychotischen Krankheitsbildern, gerade junge Erwachsene landeten immer wieder in der Notfallpsychiatrie.
Zwar lässt sich nur schwer nachweisen, ob eine Psychose durch Cannabis-Konsum ausgelöst wurde oder schon vorher da war – zumal Menschen mit entsprechenden Vorerkrankungen eher dazu neigen, Alkohol und Drogen zu gebrauchen. „Menschen mit Psychosen weisen öfter auch einen Cannabis-Konsum auf“, sagt Prof. Dr. Uwe Herwig, der medizinische Direktor des ZfP Reichenau.
Aber alle die ohne Diagnose, die zu solchen Krankheitsbildern neigen, setzen sich vielleicht unwissentlich einem gesteigerten Risiko aus.
„Die Lehrmeinung ist – und auch ich gehe klar davon aus – dass Menschen mit Prädestination für Psychosen beziehungsweise für Schizophrenie sich durch den Konsum von Cannabis eher aus dem Gleichgewicht bringen“, sagt Herwig.
Kommt jemand mit Psychose in die Klinik, wird sofort getestet, ob es sich um eine organische Krankheit handelt oder die Psychose durch Medikamente gekommen ist, berichtet Carlos Schönfeldt-Lecuona. Weil aber nicht immer alle Vorerkrankungen und auch nicht alle eingenommenen Substanzen bekannt sind, lässt sich dabei zuweilen kein eindeutiges Bild zeichnen.
Die Zeit spiele dabei eine wichtige Rolle: „Wenn jemand sechs Monate lang kein Cannabis konsumiert hat, ist es auch nicht der Faktor für die Psychose“, so Schönfeldt-Lecuona. Gerade bei unregelmäßigem Konsum lässt sich aber oft kaum rekonstruieren, wann genau das letzte Mal gekifft wurde.
Vor allem junge Gehirne sind anfällig für Veränderungen
Schönfeldt-Lecuona sieht vor allem den tendenziell steigenden Cannabis-Konsum junger Menschen kritisch. „Deren Gehirne sind brutal anfällig für Veränderungen“, warnt er mit Verweis auf eine entsprechende Studie. Die Folge seien Aufmerksamkeitsprobleme und zunehmende Impulsivität.
Der Psychiater war selbst an einer Studie beteiligt, die einen „massiven Anstieg“ von Cannabis-Psychosen an der Ulmer Uni-Klinik zwischen 2011 und 2019 aufzeigen konnte. Später konnte nachgewiesen werden, dass es sich nicht um eine regionale Besonderheit handelte, wenngleich Uwe Herwig am ZfP Reichenau zuletzt keine signifikante Zunahme der Fallzahlen feststellen konnte.
Als mögliche Ursache sehen die Ulmer Forscher stärkere Züchtungen der Pflanze und synthetische Wirkstoffe, die immer leichter verfügbar seien. Beides Probleme, denen die neuen Legalisierungspläne mit kontrollierter Zucht in Vereinen entgegenwirken würden. Oder?
„Daten aus US-Bundesstaaten mit freiem Cannabis-Zugang zeigen, dass eher stärkere Sorten nachgefragt werden – vor allem bei jungen Menschen, die vielleicht einen stärkeren Kick suchen“, sagt Schönfeldt-Lecuona. Entweder würde also der kontrollierte Markt dem nachkommen oder die Nachfrage sich wieder an den Schwarzmarkt richten, vermutet der Mediziner.
Wissenschaftler fordern mehr Aufklärungsarbeit
Ihm erscheint die Diskussion um die Folgen einer schrittweisen Legalisierung auch zu begrenzt zu verlaufen. Schon die Freigabe medizinischen Cannabis‘ 2017 sei wissenschaftlich nicht richtig begleitet worden. Für andere Medikamente sind aufwendige Zulassungsstudien notwendig, das Cannabis aber ist zulassungsfrei. „Aus medizinischer Sicht ist das kritisch“, so Schönfeldt-Lecuona.
Ein weiteres Problem sieht er in dem Konzept der sogenannten Social Clubs, also den geplanten Anbauvereinen für bis zu 500 Mitglieder, über die dann künftig kontrolliert Cannabis abgegeben werden soll. „Diese Clubs könnten attraktiv auf einsame Menschen wirken. Aber auch kontrollierter Drogenkonsum ist die falsche Antwort auf Einsamkeit.“
Für die Entkriminalisierung von Cannabis spricht ein positiver Imagewandel. Wenn etwa Patienten mit Psychose künftig offener über ihren Konsum sprechen, dürften Behandlung und Erforschung dadurch besser werden. Die Wissenschaftler der Ulmer Studie plädieren für eine intensivere Aufklärungsarbeit in allen Bereichen. Schönfeldt-Lecuona sagt: „Viele profitieren von einem leichteren Zugang zu Cannabis. Psychiater werden aber viel zu tun haben.“