Robert Peters und Stefan Schelp

Irgendwann, wahrscheinlich schon bald, machen sie einen Film daraus. Der Titel könnte dann lauten: „Aufstieg und Fall des Schweinebarons“. Oder „Wie der Schnitzelkönig sein Reich verlor“. Hauptsache reißerisch. Hauptsache Rampenlicht. Denn das hat Clemens Tönnies selbst ja auch zeit seines Lebens an der Spitze von Europas größtem Fleischkonzern gesucht.

Der Betrieb in Rheda-Wiedenbrück steht still – und damit auch der im Allgäu. Bild: firo
Der Betrieb in Rheda-Wiedenbrück steht still – und damit auch der im Allgäu. Bild: firo | Bild: firo Fußball

Clemens Tönnies fühlt sich wohl, wenn alle Aufmerksamkeit auf ihm ruht. Bei den einschlägigen Festen im Kreis Gütersloh hat er in der Vergangenheit zu später Stunde gern die Bühne geentert. Hat Schlager geschmettert. Wie zu seinem 60. Geburtstag, als der Schalke-Boss jede Menge Prominenz geladen hatte, darunter Schlager-Star Helene Fischer. Klar, dass Tönnies auch mit ihr ein Duett gesungen hat.

Die größten Schweineschlachtbetriebe in Deutschland.
Die größten Schweineschlachtbetriebe in Deutschland. | Bild: Bernhardt, Alexander

Wer im nächsten Jahr zu Tönnies‘ Geburtstag kommt, ist schwer zu sagen. Ebenso, ob der Patriarch bis dahin überhaupt wieder in Feierlaune sein dürfte. In diesen Corona-Tagen, in denen sein Unternehmen nicht aus den Negativ-Schlagzeilen kommt, kann man sich das kaum vorstellen. Auch wenn 2021 ein besonderes Jahr wird. Tönnies wird dann 65, sein Schlachter-Imperium ein halbes Jahrhundert alt.

30.000 Schweine werden pro Tag geschlachtet

In der Firmenbroschüre von Tönnies feiern sie die Erfolgsgeschichte schon jetzt. Die Legende will, dass diese Geschichte in der Altstadt von Rheda beginnt. „Hier schlachtete der Metzger Klemens Tönnies sieben bis acht Schweine pro Woche“, heißt es. Aus der Metzgerei wurde ein Schlachtbetrieb. Heute werden im „modernsten Schlachthof Europas“ pro Tag etwa 30.000 Schweine geschlachtet. Weltweit sind es im Jahr 20 Millionen. Aus dem Unternehmen ist ein Konzern mit 16.500 Mitarbeitern und mehr als sieben Milliarden Euro Umsatz geworden. Und nun der Corona-Hotspot in Deutschland.

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Für den Aufstieg vom kleinen Familienbetrieb zum Marktführer ist zum großen Teil der Sohn des Metzgers verantwortlich, den seine Eltern zur besseren Unterscheidung Clemens mit C nannten.

Der verheerender Eindruck bleibt

In diesen Tagen schlägt dem Konzernchef Wut entgegen, teils auch blanker Hass. Erboste Eltern demonstrieren, seit Schulen und Kitas im Kreis Gütersloh nach dem Corona-Ausbruch geschlossen wurden. „Tönnies macht Profit – unsere Kinder bezahlen den Preis“, heißt es. Oder: „Können Sie noch ruhig schlafen, Herr Tönnies?“ Zuvor machte ein Video aus der Konzern-Kantine die Runde. Darin zu sehen: Menschen, die dicht an dicht beieinandersitzen. Keine Spur von Sicherheitsabstand. Wann das Video aufgenommen wurde, ist unklar. Was bleibt, ist der Eindruck – und der ist verheerend.

Demonstranten vor dem Betriebsgelände der Fleischfabrik Tönnies.
Demonstranten vor dem Betriebsgelände der Fleischfabrik Tönnies. | Bild: Friso Gentsch, dpa

Die Bundeswehr musste vergangene Woche Spezialisten nach Rheda-Wiedenbrück schicken, weil die Behörden vor Ort die tausenden Corona-Tests nicht mehr durchführen konnten. Nach jüngsten Zahlen wurden 1553 Personen, die unmittelbar in dem Schlachtbetrieb tätig sind, positiv auf das Virus getestet.

Die temporäre Schließung merkt man bis ins Allgäu

So viele Dolmetscher wie möglich wurden in die Mehrfamilienhäuser geschickt, in denen die Werkvertragsarbeiter von Tönnies untergebracht sind – die meisten Rumänen, Bulgaren, Polen. Das Tönnies-Stammwerk bleibt für zwei Wochen geschlossen. Und das hat Auswirkungen bis ins Allgäu. In Kempten betreibt Tönnies seit 2011 einen Standort – die ehemalige Allgäu Fleisch GmbH – mit 60 Mitarbeitern. Auch dort steht der Betrieb still. Nicht, weil Mitarbeiter positiv auf das Coronavirus getestet worden wären, sondern weil die Produktionskette unterbrochen ist. Denn die Rinder, die in Kempten geschlachtet werden, werden erst im 600 Kilometer entfernten Stammwerk in Ostwestfalen in Einzelteile zerlegt und weiterverarbeitet. Auch so eine Logik dieser Fleischindustrie, die in diesen Tagen in der Kritik steht.

Betriebsgelände der Firma Tönnies in Rheda-Wiedenbrück, die aufgrund eines Corona-Ausbruchs ihre Produktion stilllegen musste.
Betriebsgelände der Firma Tönnies in Rheda-Wiedenbrück, die aufgrund eines Corona-Ausbruchs ihre Produktion stilllegen musste. | Bild: David Inderlied, dpa

Und Clemens Tönnies? Gibt sich inmitten der Corona-Krise zerknirscht. „Es geht jetzt nicht ums Unternehmen, es geht um die Menschen und um den Kreis“, wird er in einer Mitteilung der Firmengruppe zitiert. Er sagt aber noch etwas, das tief in sein Selbstbild schauen lässt: „Die Unternehmensführung hat gemeinsam mit dem Kreis Gütersloh die vorübergehende Stilllegung des Betriebs beschlossen.“ Die Botschaft dahinter: Wenn ich nicht will, wird hier gar nichts geschlossen.

Vertrauen der Behörden in Tönnies ist verspielt

Bei den Behörden vor Ort klingt das ganz anders. Beim Landkreis Gütersloh heißt es, man habe sich Zugriff zu den Personalakten der Firma Tönnies verschaffen müssen, um an die Adressen der Mitarbeiter zu kommen. Von einer Razzia ist die Rede. Thomas Kuhlbusch, Leiter des Krisenstabes, sagt es ganz deutlich: „Das Vertrauen, das wir in die Firma Tönnies setzen, ist gleich null.“

Soldaten der Bundeswehr stehen auf dem Betriebsgelände der Firma Tönnies und bereiten sich auf eine größere Testaktion vor. Mehr als ...
Soldaten der Bundeswehr stehen auf dem Betriebsgelände der Firma Tönnies und bereiten sich auf eine größere Testaktion vor. Mehr als 1500 Menschen, die unmittelbar in der Fleischfabrik tätig sind, haben sich mit Covid-19 infiziert. Die Bundeswehr hilft bei einer Corona-Reihenuntersuchungen und der Kontaktpersonennachverfolgung. | Bild: Deeke/Bundeswehr/dpa

Nun muss man wissen: Clemens Tönnies hat sich aus den berühmten kleinen Verhältnissen in die Position des bedeutenden Arbeitgebers gearbeitet, an dem vorbei zumindest im Kreis Gütersloh niemand Entscheidungen zu treffen wagt. Wer so weit nach oben gekommen ist, der erträgt die ebenfalls so viel zitierte Augenhöhe von Gesprächs- oder Geschäftspartnern nur schwer. In Tönnies wohnt ganz tief die Überzeugung, dass er auf jede Frage stets schon die beste Antwort hat. Korrigiert wird er in dieser Ansicht nicht.

„Mächtig“ ist Tönnies zweiter Vorname

So hat er sein Fleisch-Imperium bisher geführt. Und so führt er ganz nebenbei den Fußballklub Schalke 04. Dort ist er als Vorsitzender des Aufsichtsrates eigentlich nicht fürs operative Geschäft zuständig, ohne seine Zustimmung aber geht nichts bei Königsblau. Die Vereinspolitik bestimmt er im über Jahre eingeübten Doppelpass mit der Bild-Zeitung. Das Blatt war es auch, das seine Funktion im Klub als Erstes mit dem Zusatz „der mächtige“ Aufsichtsratsvorsitzende versah. Das haben andere dankbar aufgenommen. „Mächtig“ ist so etwas wie der zweite Vorname von Clemens Tönnies geworden. Den Klub führt er wie ein Patriarch, damit ist er der Letzte seiner Art, seit Uli Hoeneß, ein anderer Metzgerssohn, bei Bayern München abgetreten ist.

Bei Schalke 04 führt der Aufsichtsratvorsitzende ebenfalls gerne das Wort.
Bei Schalke 04 führt der Aufsichtsratvorsitzende ebenfalls gerne das Wort. | Bild: firo Sportphoto/Ralf Ibing

Tönnies gibt sich gern leutselig, als Vorsitzender des Schützenvereins, als Fan unter Fans in der Kurve der Schalker Arena, mit Bier und Wodka beim Besuch auf den Gasfeldern des Schalker Geschäftspartners Gazprom in Sibirien, als Kumpeltyp zum Anfassen, als Gastgeber einer schon legendären Saunarunde in seinem Haus in Rheda-Wiedenbrück. Unter den Gästen sind stets ein paar Großmetzger und sehr häufig der ehemalige Fußball-Manager Heribert Bruchhagen.

Rassistische Äußerungen vor breitem Publikum

Es geht sicher zünftig zu in dieser Männerrunde. Und nichts von dem, was besprochen wird, gerät nach draußen. Das ist vielleicht auch besser so. Denn vor einem Jahr offenbarte Tönnies in viel größerer, dennoch aber vertrauter Runde sehr bedenkliche Ansichten. Vor Unternehmern in Paderborn erklärte er in lapidarem Tonfall sein Modell zur Bewältigung der Klimakrise auf dem Erdball. Man möge, sagte Tönnies, in Afrika jedes Jahr 20 Kraftwerke hinstellen, „dann hören die auf, die Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn‘s dunkel ist, wenn wir die nämlich elektrifizieren, Kinder zu produzieren“. Es soll sogar verlegenen Beifall gegeben haben. Wenn der Tönnies ein Witzchen reißt, dann wird eben gelacht.

Die Bemerkung von Paderborn war rassistisch, daran gibt es keinen Zweifel. Das muss nicht heißen, dass Tönnies ein Rassist ist. Aber er hätte wissen können, wessen Beifall er sich damit abholt. Entschuldigt hat er sich dafür nicht etwa bei Afrikanern, denen er im Stil des Kolonialherren gute Ratschläge gab, sondern bei den Schalke-Mitgliedern.

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Im Verein trat pflichtbewusst der Ehrenrat zusammen, weil Rassismus ausdrücklich im Gegensatz zu den Vereinswerten steht. Und der entsprach gehorsam der Empfehlung, die Tönnies selbst ausgesprochen hatte: Für drei Monate ließ er sein Amt ruhen. Die Affäre hat seine Position also offensichtlich nicht erschüttert. Schalke braucht ihn, nicht nur wegen seiner guten Verbindungen zur Boulevardpresse, sondern auch, weil er in der Vergangenheit immer mal wieder mit Geld ausgeholfen hat.

Streit in der eigenen Familie um Firmenanteile

Im eigenen Unternehmen aber gibt es seit Jahren heftigen Gegenwind. Dazu muss man eine andere Geschichte kennen, die Clemens Tönnies gern erzählt. Die, wonach ihm sein Bruder Bernd auf dem Sterbebett das Versprechen abgenommen haben soll, sich um das Unternehmen und die gemeinsame große Fußball-Liebe Schalke 04 zu kümmern. Clemens handelte, ergatterte – wie auch immer – zehn Prozent der Firmenanteile von Bernds Söhnen Robert und Clemens Tönnies Junior. Der Streit brach aus, als die Neffen sich anschickten, ihr berufliches Leben in die Hand zu nehmen. Prozess reihte sich an Prozess, Verletzung an Verletzung.

Clemens Tönnies (3. von links) ist ganz nebenbei auch Aufsichtsratsvorsitzender des FC Schalke 04. Obwohl er nicht im operativen ...
Clemens Tönnies (3. von links) ist ganz nebenbei auch Aufsichtsratsvorsitzender des FC Schalke 04. Obwohl er nicht im operativen Geschäft des Vereins wirkt, geht trotzdem ohne seine Zustimmung nichts bei den Königsblauen. | Bild: Martin Meissner/AP-Pool/dpa

Immer wieder versuchte Robert Tönnies, 42, dem die andere Hälfte der Holding gehört, seinen Onkel aus dem Konzern zu drängen. Er will die fünf Prozent der Firmenanteile zurück, die er einst dem Onkel schenkte. Dann wäre er im Besitz der Mehrheit. Die Corona-Misere von Rheda-Wiedenbrück ist für ihn ein neuer, manche sagen willkommener Anlass zur Attacke. Die letzte folgte vergangenen Freitag – mit einem persönlichen Brief an den Onkel, der ohne Höflichkeitsformel beginnt und mit einer Rücktrittsforderung endet. Stattdessen solle Clemens‚ Sohn Max Tönnies die Geschäftsführung übernehmen.

Kampflos aufgeben will er nicht

Nicht ausgeschlossen, dass es tatsächlich so weit kommt. Kampflos aufgeben aber will Clemens Tönnies nicht. Am Samstag trat er gemeinsam mit dem Landrat vor die Presse. Er entschuldigte sich, betonte, alles tun zu wollen, um den Corona-Ausbruch einzudämmen. „Ich stehe in der Verantwortung.“ Und: „So werden wir nicht weitermachen. Wir werden diese Branche verändern.“ Angeschlagen wirkte Tönnies, gerade hat er einen Krankenhaus-Aufenthalt hinter sich. Seine Krebserkrankung liegt erst wenige Jahre zurück.

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Gut möglich, dass Clemens Tönnies umdenken muss. Zu groß ist die Kritik am System, an der fleischverarbeitenden Industrie, ihren fragwürdigen Arbeitsbedingungen und dem Preiskampf im Lebensmittelhandel, der zulasten der Beschäftigten, der Landwirte und der Tiere geht. Der Patriarch muss aufräumen – einmal mehr. Wie sein Fleisch-Imperium danach aussehen wird, was davon übrig bleibt, wenn die Corona-Krise überwunden sein sollte, ist noch nicht absehbar.

Stoff genug aber, um daraus einen Film zu machen, wäre es allemal.