Der Corona-Ausbruch unter den Mitarbeitern des Schlachtgroßbetriebs Müller Fleisch in Birkenfeld (Enzkreis) bei Pforzheim scheint unter strengen behördlichen Auflagen gestoppt, ohne dass der Betrieb geschlossen werden musste. Allerdings hat der Enzkreis am Freitag weitergehende strenge Arbeitsschutzverordnungen für den Betrieb und die Beschäftigten erlassen. „Damit setzen wir bereits wichtige Punkte aus dem auf Bundesebene gerade erst beschlossenen Arbeitsschutzprogramm um“, sagte Wolfgang Herz, Vize-Landrat des Enzkreises. Die Bundesregierung sieht sich zum Handeln gezwungen, nachdem die bekannt prekären Arbeitsbedingungen in Teilen der Branche jahrzehntelang stillschweigend toleriert wurden: Anfang der Woche wurde beschlossen, ab dem kommenden Jahr Werkverträge und den Einsatz von Arbeitnehmern über Subunternehmen zu verbieten.
Vorwiegend aus Osteuropa
Dazu hatte der Ausbruch des Virus bei dem Rinderschlachtbetrieb in Birkenfeld und die rasche Verbreitung unter den 1100 Beschäftigten, darunter 725 Beschäftigte mit Werkverträgen von Subunternehmern, mit beigetragen. Der Fall hatte bundesweit ein düsteres Schlaglicht auf die Arbeitsbedingungen und die Wohnumstände der vorwiegend aus Rumänien, Ungarn und Polen stammenden Arbeiter in der Branche geworfen. Die Branche ist auf diese Arbeitskräfte angewiesen, kaum ein deutscher Arbeitnehmer findet sich für die harte Arbeit in den Schlachtbetreiben.
Alle sind sozial- und krankenversichert
Manche der Beschäftigten, wie ein Sprecher von Müller Fleisch berichtet, leben mit ihren Familien dauerhaft in der Region und sehen ihre Zukunft in Deutschland. Sie sind über die Subunternehmer sozial- und krankenversichert und verdienen je nach Qualifikation und Schichten zwischen 1000 und 3000 Euro. Aber viele kommen nur einige Monate zum Arbeiten, oft seit Jahren. Sie leben in dieser Zeit günstig auf engem Raum in Gemeinschafts- und Sammelunterkünften, die von den Subunternehmern angemietet werden. Die Unterkunftstandards unterscheiden sich dabei erheblich.
Sammelunterkunft nicht zwingend schlecht
„Es muss nicht zwingend heißen, dass sie in Sammelunterkünften schlecht untergebracht sind. Und man darf nicht vergessen, dass es für einige auch sehr bequem ist, sich um nichts kümmern zu müssen und mit Menschen zusammenzuwohnen, die ihre Sprache sprechen. Die kommen her, haben eine Unterkunft, Gesellschaft und eine Arbeit, bei der sie für ihre Verhältnisse gut verdienen“, sagt Klaus Mack, Bürgermeister der Gemeinde Bad Wildbad im benachbarten Kreis Calw, wo ebenfalls viele Müller-Beschäftigte unterkommen. „Aber es ist höchste Zeit, dass mal ein genauer Blick auf die Branche geworfen wird“, so Mack.

Dass manche Subunternehmer günstige Immobilien anmieten, die anderweitig kaum vermietbar wären und in denen die gebotenen Hygiene- und Abstandsregeln kaum eingehalten werden können, ist kein Geheimnis. Der erste positiv getestete Arbeiter des Birkenfelder Unternehmens, der sich nach Ostern krank gemeldet und die Lawine ins Rollen gebracht hatte, lebte in einer Sammelunterkunft, mehrere seiner Mitbewohner waren ebenfalls infiziert. Bereits die erste Testreihe hatte über 90 infizierte Beschäftigte ergeben, seitdem stehen Betrieb und Mitarbeiter unter strengen Quarantäneauflagen.
Zwei Quartiere dicht gemacht
Im Zuge der Infektionskette und der Überprüfung der Unterbringung wurde am Mittwoch eine zweite Unterkunft im Enzkreis geschlossen, in der 19 Rumänen in einem Einfamilienhaus lebten. „Wir haben die Nutzung aufgrund der Baurechtswidrigkeit insbesondere beim Brandschutz untersagt und Sofortvollzug verfügt,“ so Vize-Landrat Herz. Der Subunternehmer muss bis Montag eine neue Bleibe für seine Arbeiter gefunden haben. Bereits vor einer Woche hatte der Kreis in einer anderen Gemeinde eine Unterkunft geschlossen; dort waren 30 Menschen betroffen.
Kein neuer Infektionsfall
Unterdessen ist bei Müller Fleisch seit dem 12. Mai unter den Beschäftigten kein neuer Infektionsfall registriert worden. Insgesamt 399 Mitarbeiter, ein Drittel der gesamten Belegschaft, hatten sich mit dem Virus infiziert; 363 von ihnen gelten mittlerweile als geheilt. In der gesamten Region hatten die Müller-Beschäftigten die Infiziertenzahlen nach oben getrieben: Ein Drittel aller Fälle im Stadtkreis Pforzheim, ein Viertel der Infizierten im Enzkreis steht bei dem Schlachtbetrieb in Lohn und Brot. Eine dritte Testreihe unter den Beschäftigten in der kommenden Woche soll darüber entscheiden, ob die seit fünf Wochen geltende Quarantäne-Verfügung für den Betrieb aufgehoben wird.
Das Unternehmen soll zahlen
Die am Freitag erlassene Verordnung nimmt das Unternehmen noch stärker in die Verantwortung für die Mitarbieter. Sie ist das Ergebnis einer Betriebsbesichtigung vom Mittwoch, bei der eine 20-köpfige Behördendelegation sich vor Ort ein Bild von der Umsetzung des vom Unternehmen erarbeiteten Pandemieplans 2.0 machte und Nachbesserungsbedarf feststellte: So muss das Unternehmen die Einhaltung des 1,5-Meter-Abstands und das Tragen normgerechter Mund-Nasenschutzes auf dem gesamten Betriebsgelände garantieren und kontrollieren. Die für kommende Woche geplante dritte Testreihe soll der Betreib zudem selbst durchführen, für positiv Getestete und für Kontaktpersonen Quarantänestationen einrichten – und das alles auch finanzieren. Über die Kostenübernahme der bisherigen Test und Quarantäneunterbringung der Mitarbeiter laufen noch Gespräche zwishcen Behörden und Müller Fleisch – bislang hatte das Unternehmen erklärt, sich daran allenfalls beteiligen zu wollen.

Aber auch für die Unterbringung macht der Kreis das Unternehmen künftig mithaftbar: In den Sammelunterkünften wird vom 31. Juli an für alle Mitarbeiter, auch für Beschäftige von Subunternehmern, ein Einzelschlafraum verlangt, bis zum 22. Juni muss die Zimmerbelegung bereits auf maximal zwei Personen reduziert werden. Zudem gilt ab sofort eine wöchentliche Berichtspflicht der Firma, die eventuelle Verstöße gegen die Auflagen und Gegenmaßnahmen auflisten muss.
Vom Unternehmen selbst war am späten Nachmittag keine Stellungnahme mehr dazu zu erhalten. Die Unternehmensleitung hatte zuvor aber stets ihre Kooperationsbereitschaft signalisiert. „Wir passen unsere Produktionsprozesse ständig an und sind offen für weitere Verbesserungen“, lässt sich Geschäftsführer Martin Müller zitieren. Zuständig für die „Überwachung der Anforderungen an Wohnraum“ seien aber dennoch die jeweiligen Baubehörden und Ordnungsämter.
Der Enzkreis sieht jedenfalls keine „unzumutbare Einschränkung der Geschäftstätigkeit für Müller Fleisch“, sagt Verbraucherschutzdezernent Daniel Sailer. „Die Alternative wäre, den Betrieb komplett einzustellen.“