Haben wir da etwas verpasst? Bei der Landtagswahl am 14. März kassierte Baden-Württembergs CDU ihr schlechtestes Ergebnis seit Bestehen des Bundeslandes. Und doch tut die Parteispitze so, als hätte sie einen Sieg eingefahren. Der Koalitionsvertrag mit den Grünen ist ausgehandelt, die CDU bleibt in der Regierung. Trotz massiver Stimmenverluste sind ihr fünf Ministerposten sicher – so wie bisher auch. Es sind weitgehend die alten Gesichter, die an Winfried Kretschmanns Kabinettstisch Platz nehmen werden. Selbst Wolfgang Reinhart ist dabei, bisher Fraktionschef, künftig wohl Justizminister. Seinen Dienstwagen kann der 65-Jährige behalten. Die unausgesprochene Botschaft: Weiter so!

Die CDU-Führung sollte sich daher nicht wundern, wenn es in der Partei brodelt. Die Ministerliste steht zwar noch nicht fest, aber schon jetzt ist klar, dass die grün-schwarze Koalition mit einem Geburtsfehler startet. Die Grünen tauschen die meisten Minister aus, obwohl sie erneut zulegten. Die CDU hingegen verteilt Jobgarantien an Politiker, die zum dritten Mal in Folge eine Wahl vergeigt haben. Kretschmann spielt das Spiel mit und genehmigt trotz leerer Kassen einen zusätzlichen Ministerposten, weil Grün-Schwarz für ihn bequemer ist als jede andere Konstellation. Der Eindruck nach außen ist fatal: Hier geht es weniger um die Verantwortung für das Land, sondern um den Koalitionsfrieden, vor allem aber um den Machterhalt innerhalb der CDU.

Warum Strobl nicht mehr weiterkommt

Eine andere Frage ist, wie weit die CDU-Spitze um Thomas Strobl damit kommt. Das interne Störfeuer vor dem Parteitag, der heute den Koalitionsvertrag absegnen soll, lässt Ärger ahnen. Um die Unzufriedenen in den eigenen Reihen bei Laune zu halten, bietet der Landesvorsitzende mit Armin Laschet und Friedrich Merz prominente Gäste auf. Dabei richtet sich die Frage nach der Erneuerung vor allem an ihn: Strobl, inzwischen 61, bleibt aller Voraussicht nach Innenminister, stellvertretender Ministerpräsident und Landesvorsitzender, obwohl er in seiner Heimatstadt Heilbronn nicht einmal ein Direktmandat erringen konnte. Ein Trümmermann, dessen eigenes Haus in Schutt und Asche liegt, soll den Scherbenhaufen wegräumen?

So oder so steckt Strobl tief im Dilemma. Das einzige, das die CDU in ihrem freien Fall auffangen kann, ist eine Koalition mit den Grünen. Verhandlungsführer Strobl behält seinen Job, weil er für Grün-Schwarz steht und mit Kretschmann so gut kann wie sonst keiner in der CDU. Dafür muss er allerdings andere Altgediente mitnehmen, allen voran Wolfgang Reinhart, Peter Hauk und Nicole Hoffmeister-Kraut. Lediglich Guido Wolf muss weichen, obwohl er seinen Wahlkreis verteidigt hat. Ob er wirklich versuchte, Strobl in den Rücken zu fallen und die Gespräche mit den Grünen zu hintertreiben, wird sich weisen. Die Intrigen und Ränkespiele um den Tuttlinger geben jedenfalls eine düstere Ahnung, wie spitz die Dolche sind, mit denen der Machtkampf hinter den Kulissen ausgetragen wird.

So kann die Erneuerung nicht gelingen

Eine Erneuerung, wie der neue Fraktionschef Manuel Hagel sie am Wahlabend ankündigte, kann unter diesen Umständen kaum gelingen. Seit zehn Jahren spricht die CDU-Spitze von einem Neustart, seit zehn Jahren wird jede Gelegenheit dazu verpasst. Auch jetzt wird ein 33-jähriger Nachrücker nicht ausreichen, um glaubwürdig einen Aufbruch zu neuen Ufern zu signalisieren. Die neue Landtagsfraktion ist zwar etwas jünger als die alte, zudem sitzen dort künftig elf Frauen statt zehn. Doch die Gesellschaft in all ihren Facetten spiegelt sich in der CDU schon lange nicht mehr. Selbst Strobl räumt ein, dass seine Partei das Lebensgefühl der Menschen nicht mehr trifft.

Wofür steht die CDU eigentlich?

Erschwerend kommt hinzu, dass die baden-württembergische CDU nicht mit Spitzenpersonal gesegnet ist, das den Grünen ausreichend Paroli bieten kann. Jüngere Kräfte, die wie Andreas Jung oder Thorsten Frei das Zeug dazu hätten, suchen ihre politische Zukunft lieber in Berlin als im Minenfeld Stuttgart. Hoffnungsträger Hagel wiederum ist vorerst mit der Moderation zwischen den Flügeln seiner Fraktion ausgelastet. Bei der Frage, was die CDU inhaltlich ausmacht und wofür sie steht, müssen andere mit einspringen. Der Koalitionsvertrag gibt hierzu keinerlei Fingerzeig. Von der Pflicht zu Solaranlagen auf Neubauten bis zum Hundeführerschein: Lauter Punkte, die offenkundig mit grüner Tinte geschrieben wurden.

Viel Zeit hat die CDU nicht mehr, denn schon rückt der Bundestagswahlkampf näher. Macht die CDU so weiter, schafft sie die Grundlage für weitere Wahlniederlagen, und im Südwesten verfestigt sich die grüne Dominanz, selbst wenn Kretschmann einmal abgetreten sein wird. Und Strobl? Diesen Parteitag kann er vielleicht überstehen. Weitere Wahlschlappen nicht.