Sehr geehrte Frau Klöckner,
herzlichen Glückwunsch zum Amt der Bundestagspräsidentin! Gut, dass hier wenigstens eine Frau das Sagen hat in diesem doch sehr männlichen Bundestag. Die Aufgabe, gut 600 Parlamentarier zu bändigen, war noch nie einfach – in dieser Legislaturperiode dürfte sie noch herausfordernder werden. Die AfD, die schon bislang viel dafür getan hat, andere Abgeordnete abzuwerten und den Parlamentarismus insgesamt schlecht zu machen, dürfte kein bisschen leiser werden mit ihrer größeren Fraktion.
Aber das packen Sie schon! Dass Sie schlagfertig sind, haben Sie zuletzt bei Ihrem Auftritt als Beklagte des Stockacher Narrengerichts eindrücklich bewiesen. Der Männerbund der Narrenrichter bekam von der ehemaligen Weinkönigin ordentlich eingeschenkt. Es roch nach Weiberaufstand in der Stockacher Jahnhalle!
Nun also sind Sie quasi in der Rolle der Narrenrichterin, womit aber keinesfalls gemeint ist, dass im Plenum Narren sitzen würden. Schön wär‘s! Das Treiben mag bisweilen närrische Züge annehmen, aber ausgelassen fröhlich wird es leider nur selten.
Immerhin: Sie machen die Ansagen, erteilen das Wort und können es entziehen. Dabei schadet eine Prise Humor nie, wie wir aus vergangenen Auseinandersetzungen mit dem Bundestagspräsidium wissen. Ihre CDU-Amtsvorgänger Wolfgang Schäuble und Nobert Lammert bewiesen oft ein feines Gespür dafür, wie viel sie von ihrer Macht ausspielen sollten.
Versöhnlich und menschlich
Bei Ihrer ersten Rede haben Sie durchblicken lassen, wie Sie die Geschäfte zu führen gedenken: versöhnlich im Ton und menschlich. Gradmesser für das, was am Rednerpult geäußert werden darf, soll der Anstand sein. Wie der zu definieren ist, ist freilich Ansichtssache.
Die Grünen im Bundestag wünschen sich da schon längst strengere Regeln und höhere Geldstrafen für Missverhalten. Wie Sie es damit halten werden, lassen Sie bislang im Vagen, stellten sich in Ihrer Rede aber eher gegen die Verengung des zulässigen Diskurses: „Nicht jede Meinung, die ich selbst nicht teile, kommt dem Extremismus gleich. Demokratie ist im besten Sinne Zumutung.“
Den Zwischenrufern aus der AfD, die hinter der Nicht-Wahl ihres Kandidaten für den Posten des Bundestagsvize gleich eine Mauschelei des „Kartells“ vermuteten, wiesen Sie dennoch sachlich darauf hin, dass ein Mehrheitsbeschluss ein ganz normaler demokratischer Vorgang ist.
Die Stockacher haben Durst
Ob das einen Lernprozess bewirkt, darf bezweifelt werden. Aber nur so kann es gehen. Der schmale Grat zwischen Meinungsfreiheit und Beleidigung muss wohl jeden Tag aufs Neue ausgelotet werden. Das Amt der Bundestagspräsidentin ist in diesen Zeiten alles andere als ein gemütlicher Ehrenposten. Das Ansehen der Demokratie zu bewahren keine leichte Aufgabe. Ich wünsche Ihnen dafür ein glückliches Händchen!
Wenn es mit der Disziplin im Parlament so gar nicht klappen will, empfehle ich drastische Weinstrafen. Die Stockacher können ein paar Eimer mehr immer vertragen.