Ganz so einfach, bekennt Narrenrichter Jürgen Koterzyna, war es dieses Jahr nicht, einen Beklagten nach Stockach zu locken. Die Großkopfeten der Bundespolitik hatten im vorgezogenen Wahlkampf und so kurz nach der Wahl anderes im Kopf als die Fasnacht.
Julia Klöckner, die er an diesen Morgen den Stockachern präsentieren will, sei aber keinesfalls eine Notlösung, sagt er dem SÜDKURIER. „Sie ist einfach die Beste“ – und närrisch sei sie von Haus aus. Das werde man nachher merken.
11 Uhr und noch kein Glas Wein!
Tatsächlich ist der ehemaligen Weinkönigin, Ex-Landwirtschaftsministerin, amtierenden CDU-Schatzmeisterin und wirtschaftspolitischen Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion die närrische Bühne nicht fremd. Das ist gleich zu spüren, als sie den Bürgersaal in Stockach betritt und sich zur Herrenriege auf der Bühne gesellt.

Die 52-Jährige erweist sich bei der Vorstellung im Bürgerhaus Adler Post als durchaus schlagfertig. In Rheinland-Pfalz als Winzertochter „mit der Flasche großgeworden“ beklagt sie sich auf der Bühne erstmal über schlechte Bewirtung durch die Gerichtsbarkeit: „Ich hatte noch kein Glas Wein und es ist nach elf Uhr!“
Einen echten Tiefschlag erntet das Gericht, als Klöckner dann schon ein Glas Wein in der Hand hält: „Ich kümmer‘ mich ja gern um Seniorenpolitik, aber...“, sagt sie und wendet sich der Schar der mehrheitlich ergrauten Gerichtsnarren zu.
Noch vor der Grenzkontrolle in U-Haft genommen
Weil der letztjährige Beklagte Karl Lauterbach (SPD) erst mit Verspätung anreiste, wollte man bei Julia Klöckner auf Nummer sicher gehen. „Wir haben sie schon gestern anreisen lassen“, berichtet Koterzyna. Am Flughafen Zürich habe man sie eingesammelt und „noch bevor sie bei der Grenzkontrolle das Wort Asyl aussprechen konnte“ in Untersuchungshaft genommen, sagt der Narrenrichter mit einem Seitenhieb auf die Asylpläne der CDU.

Mit der politischen Entwicklung kann dieser nur zufrieden sein. Hat man doch nach der Bundestagswahl demnächst vermutlich einen ehemaligen Beklagten im Kanzleramt sitzen und mit dem Konstanzer CDU-Bundestagsabgeordneten Andreas Jung einen Laufnarren weit oben im Machtapparat der Union.
Wie üblich hatte der gebürtige Stockacher, seit 2005 Laufnarr, seine politischen Kontakte spielen lassen bei der Kontaktanbahnung zu Beklagten. Klöckner hat ihr Berliner Büro praktischerweise gegenüber von Jung. „Ich habe sie unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hierher gelockt“, gibt Jung zu.
Was Friedrich Merz ihr riet
An diesem Tag spielt die Musik der Hans-Kuony-Kapelle eindeutig im Hegau. Die Hauptstadt ist dennoch nie ganz fern. Schon in der CDU-Präsidiumssitzung am Montag war das Hochamt der schwäbisch-alemannischen Fasnacht offenbar ein Thema. CDU-Vorsitzender Friedrich Merz, selbst ehemaliger Beklagter und vermutlich der nächste Bundeskanzler, gab Klöckner Tipps. „Julia, trink vorher was, geh nicht nüchtern auf die Bühne. Augenhöhe ist wichtig“, habe er ihr gesagt, wird Klöckner am Abend verraten.

2019 löste die letzte geladene CDU-Politikerin, Annegret Kramp-Karrenbauer, einen kleinen Skandal aus, als sie sich über Toiletten fürs dritte Geschlecht spottete. Ob die ehemalige Weinkönigin sich auch einen Fauxpas erlauben würde? Im Bürgerhaus und später sieht es nicht danach aus.
Die Bad Kreuznacherin gibt sich von Anfang an kämpferisch und stichelt gegen das rein männliche Narrengericht. Bei ihr zuhause werde an dem Tag ja Weiberfasnacht gefeiert. „Da haben die Frauen die Macht!“ Hier jedoch sieht sie sich einem „Methusalem-Komplott“ gegenüber.
Da muss der Narrenrichter schlucken
Narrenrichter Koterzyna, der zuvor schon von der Stockacher Bürgermeisterin Susen Katter ein Shampoo gegen Haarausfall geschenkt bekommen hat, wirkt getroffen. Er droht, die Beleidigung gleich mit einem standrechtlichen Verfahren zu ahnden, aber das wäre dann doch zu schade um die für die abendliche Gerichtsverhandlung einstudierten Texte.
Was genau man der CDU-Politikerin dabei vorwerfen wird, wird erst am Abend verraten. Der Tatvorwurf lautet unter anderem „feministische Machtgeilheit in Tateinheit mit scheinheiliger Hochstapelei“. Beleg soll sein, dass sie in den Bundestag einst über die Landesliste einzog, diesmal holte sie allerdings das Direktmandat. Tatsächlich hat Klöckner sich auch für eine Frauenquote in ihrer Partei stark gemacht.

Viel geändert scheint dies noch nicht zu haben. Ein von CSU-Chef Markus Söder veröffentlichtes Foto über die Unionsberatungen nach dem Sieg bei der Bundestagswahl – eine reine Herrenrunde – sorgt gerade für Diskussionen über die fehlende Beteiligung von Frauen. Und laut Statistik sind im neu gewählten Bundestag von den 630 Abgeordneten gerade mal 204 Frauen. Bei den CDU-Abgeordneten liegt der Frauenanteil bei 22,6 Prozent. Hier hat Klöckner also noch eine Menge zu tun.
Jede Menge Männer auf der Bühne
Auch beim Blick auf die Bühne im Bürgerhaus wird frau schnell klar: Hier würde eine Frauenquote in der Tat ebenfalls nicht schaden. Neben 21 Gerichtsnarren und diversen Figuren und Gliederungsführern befinden sich darauf – neben der Beklagten – gerade mal zwei Frauen. Die aber wollen an dieser Zusammensetzung nach eigenem Bekunden gar nichts ändern.
Die Leiterin der Altstockacherinnen Lea Ossola, seit ihrem zweiten Lebensjahr dabei und seit drei Jahren Leiterin, sagt dem SÜDKURIER dazu: „Welche Frau will so was anziehen?“, meint sie mit Blick auf das Kostüm der Gerichtsnarren. „Wir Stockacherinnen sind so clever und geben den Herren vermeintlich über Fasnacht die Macht. Die wissen genau, dass eigentlich wir das Sagen haben.“ Obermarketenderin Petra Meier-Hänert sieht das nicht anders: „Eine Frauenquote beim Narrengericht – das wäre ja wie eine Männerquote bei den Marketenderinnen.“ Nein danke!
Klöckner ruft den Frauen im Publikum derweil zu, dass sie auf ihre Unterstützung zähle. Dass sie das Narrengericht von einer Frauenquote für ihre altehrwürdige Institution begeistern kann, glaubt sie allerdings selbst nicht, wie sie dem SÜDKURIER zwischendurch anvertraut. „Aber ich habe vor, das Volk aufzuwiegeln.“
Bloß „rhetorischen Schaumwein“ produziert?
Das macht sie dann am Abend auch wahr. Neben der feministischen Machtgeilheit wirft Ankläger Michael Nadig Klöckner durchaus wortgewandt auch noch Körperverletzung und Tierquälerei (als Landwirtschaftsministerin) sowie Traumtänzerei und politische Parodontitis für leere politische Versprechungen vor. Anstatt „mutig gegen Mutti“ aufzutreten habe sie bloß viel „rhetorischen Schaumwein“ produziert.

Doch der Ankläger hat die Rechnung offenbar ohne die Beklagte gemacht. Die versteht sich selbst besser zu verteidigen als dies der Fürsprech Christoph Stetter vermag. Die Vorwürfe seien an den „Haaren herbeigezogen, die der Ankläger nicht mehr hat“, meint sie an das „grobschlächtige, äh -günstige“ Narrengericht gerichtet. Dem Narrengericht wirft sie am Tag der Weiberfasnacht einen eklatanten Reformstau vor: „0,0 Prozent Frauen! Irgendwas stimmt doch bei Euch nicht.“
Nie gibt es lauteren Applaus
Trotzdem sei sie gerne hergekommen. „Ich gehe ja sonst auch gern ins Museum.“ Klöckner sichert sich die Unterstützung des weiblichen Publikums im Saal. Nach der Reihe fragt sie die Marketenderinnen, die Altstockacherinnen und die Hans-Kuony-Kapelle, ob sie diese angestaubten Richter denn gewählt hätten. Nein, nein und nochmals nein. Nie gibt es lauteren Applaus an diesem Abend.
Ein Eimer und noch einer
Das Narrengericht erweist sich nur in Teilen als gnädig. Nach reiflicher Überlegung wird die Beklagte nur im ersten Anklagepunkt (feministische Machtgeilheit) schuldig gesprochen. Sie muss einen Eimer Wein (60 Liter) Strafe zahlen, plus einen Eimer, den das Gericht als Geschenk erwartet.
Die Weiber-Revolution bleibt aus, das Narrengericht wird wohl auch zum Jubiläumsjahr keine Frauen aufnehmen. Aber immerhin wird die Beklagte zur närrischen Weinkönigin ernannt, beim Stadtfest soll sie mithelfen. Das kommt schon fast einer Auszeichnung als Laufnarr gleich, die sie als Frau nicht bekommen kann nach den Statuten.