Eigentlich ist das Ergebnis der Volksabstimmung in der Schweiz ein Grund zum Aufatmen. Der Schweizer Brexit, wie ihn manche nannten, ist abgewendet: Eine deutliche Mehrheit der Schweizer hat sich gegen die Begrenzung der Zuwanderung aus der EU entschieden. Ein Ja hätte den Zugang zum Binnenmarkt und damit auch den Handel mit der Grenzregion in Baden-Württemberg deutlich erschwert.

Doch nun kommt ein neues altes Problem wieder auf den Tisch: das noch nicht unterzeichnete Rahmenabkommen mit der EU, das das die bisherigen Einzelverträge bündeln, ein Schiedsverfahren für Streitigkeiten etablieren und eine schnelle Anpassung Schweizer Rechts an EU-Änderungen der Binnenmarkt-Regeln sicherstellen soll.

Die EU vermittelte bereits ihre Erwartungshaltung, dass der Vertrag nun bald unterzeichnet werden solle. Die deutsche EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verkündete, sie erwarte, dass man nun „zügig vorankommen kann“ mit dem Abkommen. Die schweizerische Justizministerin Karin Keller-Sutter sagte nach der Abstimmung, der Bundesrat werde die Position der Schweiz bezüglich der offenen Fragen zum Rahmenabkommen „in den nächsten Wochen“ festlegen. Doch die EU machte schon vor der Abstimmung klar: Die Verhandlungen wurden bereits 2018 abgeschlossen. Sie will kein neues Fass aufmachen.

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Der CDU-Europaabgeordnete Andreas Schwab glaubt jedenfalls nicht an eine baldige Unterzeichnung in Bern: „Das Problem ist, dass in der Schweizer Regierung niemand den Mut hat, die Sache durchzuziehen“, fürchtet er. Die Schweizer Volkspartei (SVP) war es, die die Volksabstimmung initiiert hatte. Doch auch nach der Ablehnung des Volks stellt sich die Partei weiter gegen engere Beziehungen mit der EU. Wer sich dafür ausspreche, riskiere „Ärger mit der SVP“, sagt Schwab. Tatsächlich haben aber fast alle Parteien Vorbehalte zu dem Rahmenabkommen.

Andreas Schwab, Europaabgeordneter der CDU für Baden-Württemberg beim Redaktionsbesuch im SÜDKURIER Medienhaus.
Andreas Schwab, Europaabgeordneter der CDU für Baden-Württemberg beim Redaktionsbesuch im SÜDKURIER Medienhaus. | Bild: Wetschera, Wiebke

Woran es hapert

Drei offene Fragen sind es, die die Schweizer zwicken: Zum einen fürchten sie Einschränkungen bei den staatlichen Beihilfen, die vor allem den Kantonsbanken helfen, weil staatliche Beihilfen nach EU-Recht nicht erlaubt sind – sie könnten den Wettbewerb im Binnenmarkt verzerren. Doch Ausnahmen sind grundsätzlich möglich. In der EU überwacht die Kommission diese Dinge, in der Schweiz soll eine Schweizer Behörde diese Funktion übernehmen – kein EU-Organ.

Fähnchen der EU und der Schweiz stehen im Nationalratssaal. Die Schweizer Regierung will das von der Europäischen Union verlangte ...
Fähnchen der EU und der Schweiz stehen im Nationalratssaal. Die Schweizer Regierung will das von der Europäischen Union verlangte Rahmenabkommen über die bilateralen Beziehungen vorerst nicht unterzeichnen. Daran hat sich auch nach der jüngsten Volksabstimmung nichts geändert. | Bild: Michael Stahl

Streitpunkt bleibt auch der Lohnschutz, um den die Schweiz bangt. Die Befürchtung: Die Löhne könnten auf EU-Niveau absinken. Um das zu verhindern, müssen sich EU-Firmen mit acht Tagen Vorlaufzeit anmelden, bevor sie in der Schweiz einen Auftrag ausführen dürfen. Die EU sieht das als Diskriminierung und fordert eine Verkürzung der Frist. In einigen Branchen wäre sie weiter möglich, allerdings verkürzt.

Schließlich will die Schweiz die sogenannte Unionsbürgerrichtlinie verhindern: Dabei ist sie im Rahmenabkommen gar nicht erwähnt. Sie würde EU-Bürgern in der Schweiz mehr Sozialleistungen sichern, sollte sie von der Schweiz übernommen werden müssen. Vergangenes Jahr bezogen etwa zwei Prozent der in der Schweiz lebenden EU-Bürger Sozialleistungen.

Schwierige Situation

„Die Situation ist nicht ganz einfach“, lautet auch die Einschätzung der Rechtswissenschaftlerin Astrid Epiney an der Universität Fribourg. Sie sagt dem SÜDKURIER: „Die innenpolitische Situation in der Schweiz ist sehr schwierig, da sich breite Kreise gegen zentrale Aspekte des Abkommens aussprechen.“

Astrid Epiney ist Rechtswissenschaftlerin an der Uni Fribourg in der Schweiz.
Astrid Epiney ist Rechtswissenschaftlerin an der Uni Fribourg in der Schweiz. | Bild: privat

Dabei steht für die Schweiz viel auf dem Spiel. Die sogenannte Börsenäquivalenz hat die EU bereits aberkannt. Zudem will die Schweiz beim Strommarkt in der EU mitmischen. Doch neue Marktzugänge will die Gemeinschaft den Eidgenossen nicht gewähren, solange die Rahmenbedingungen nicht geklärt sind.

Rechtswissenschaftlerin Epiney fürchtet sogar, dass die Schweiz weitere Einschränkungen in Kauf nehmen muss, wenn der Vertrag nicht bald vorankommt: Sollten sich die EU und die Schweiz nicht in absehbarer Zeit einigen, sei zu erwarten, dass die Union neben der Börsenäquivalenz auch andere Bereiche wie die Forschungszusammenarbeit oder die Gleichwertigkeit des Schweizerischen Datenschutzes (die sogenannte Datenschutzäquivalenz) ablehne.

Epiney betont in einem Interview indes: „Wenn man sich die Bestimmungen des Vertrages nüchtern anschaut, dann ist er eben gar nicht so schlecht. Viele Interessen der Schweiz kommen im Vertrag zum Ausdruck.“ Sie hält die Unterzeichnung des Rahmensabkommens für vertretbar, betont aber: „Der Ball ist jetzt beim Bundesrat. Er müsste sagen, wie die Dinge weitergehen.“ Das politische Tauziehen geht also vorerst weiter.

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