Einen Tag vor seinem Tod ist Wolfgang Schäuble noch mit seiner Familie im Hotel Ritter in Durbach zum Mittagessen gewesen. Wie jedes Jahr am ersten Weihnachtsfeiertag. Seit dreißig Jahren ist das Tradition bei den Schäubles. „Das hat ihn schon sehr geschlaucht“, sagt Thomas Strobl am Telefon. Aber Schäuble seien diese Familientreffen sehr wichtig gewesen, er wollte unbedingt dabei sein, erzählt sein Schwiegersohn, der baden-württembergische Innenminister.
Krippenspiel und Familientreffen
Auch das Krippenspiel in der evangelischen Kirche in Offenburg hatte sich Schäuble an Heiligabend mit seiner Frau Ingeborg, seinen vier Kindern und Enkeln nicht nehmen lassen, obwohl er von seiner schweren Krebserkrankung sehr erschöpft war. Es waren die letzten beiden Ausflüge seines Lebens, am zweiten Weihnachtsfeiertag ist der 81-Jährige dann daheim im Beisein seiner Liebsten friedlich eingeschlafen.
1996 wird Strobl Familienmitglied
Der 63-jährige Strobl war zwei Jahre alt, als Schäuble in die CDU eingetreten ist. Erstmals bewusst begegnet sind sich die beiden Mitte der Achtzigerjahre. Strobl ist damals Pressesprecher der Jungen Union Baden-Württemberg und Schäuble unter dem Bundeskanzler Helmut Kohl Chef des Kanzleramts in Bonn. Schäuble verteidigt bei einem Parteitag Kohl gegen Rücktrittsforderungen der jungen CDU-Organisation. Später lernten sich Strobl und Schäuble sehr viel enger kennen, als sie es sich nach ihrer ersten Begegnung hätten vorstellen können: Strobl heiratet 1996 Schäubles Tochter Christine.
Sie ist auch am 12. Oktober 1990 dabei, als ihr Vater in Oppenau bei einer Wahlkampfveranstaltung niedergeschossen wird. Die beiden Kugeln aus dem Revolver eines psychisch kranken Mannes treffen den damaligen Bundesinnenminister am Kiefer und im Rückenmark. Schäuble überlebt, aber ist fortan vom dritten Brustwirbel an abwärts gelähmt.
„Das war ein traumatisches Erlebnis für Schäuble und die ganze Familie“, sagt Strobl. Bis heute ist es ein ständiger Begleiter. Schäuble, gebürtiger Freiburger, sprach nie von einem Attentat, sondern von einem „Unglück“. Noch im Krankenhaus gibt er – im blauen Trainingsanzug – eine Pressekonferenz. Schäuble, der davor gerne Tennis gespielt hat, kämpft sich im Rollstuhl in den Alltag und in die Berufspolitik zurück.

Schäuble, 1972 zum ersten Mal in den Bundestag gewählt, wirkt im politischen Betrieb bisweilen schroff und unnahbar, manche Beobachter beschreiben ihn als verbittert. „Das Gegenteil ist richtig, er war im Privaten und als Politiker ein Optimist“, sagt Strobl. Er sei ein Familienmensch gewesen, liebenswürdig, der aber schon mal mit seinem Intellekt und seinem messerscharfen Verstand Menschen verletzen konnte. Wenn die Familie in Offenburg zusammenkam, sei es sehr lebendig zugegangen. Über alle Themen sei diskutiert worden, leidenschaftlich und laut. Mit Vorliebe über Sport.
Gemeinsam zur Kirche geradelt
Vor Weihnachten hat die Familie Wolfgang Schäuble schließlich aus dem Krankenhaus heimgeholt. Sein Tod kündigte sich an. In diesen Tagen sind Strobl vor allem die gemeinsamen Kirchgänge durch den Kopf gegangen. Die beiden sind die einzigen Protestanten in der Familie. Schäuble war praktizierender Christ. Bei gemeinsamen Urlauben an der Nordsee radelten Schäuble und Strobl allein in die Kirche, beteten und sangen Lieder.
Sie habe sehr vieles verbunden, sagt Strobl. Schäuble sei für ihn ein politischer Ratgeber gewesen, in den großen Linien waren sie einer Meinung. „Das heißt nicht, dass wir nicht auch gestritten hätten.“ Sie hatten ein sehr enges persönliches Verhältnis. Am liebsten trafen sie sich in Berlin zum Bratkartoffelessen. Wolfgang Schäuble werde ihm fehlen, sagt Thomas Strobl. Der Wunsch seines Schwiegervaters war es, in Offenburg begraben zu werden. Einer seiner bekanntesten Zitate lautet: „Isch over.“ Er möge in Frieden ruhen.