An der Flucht führte kein Weg mehr vorbei. Der afghanische Offizier Khodadad Ataiy fürchtete seit der Machtübernahme der Taliban im vergangenen Sommer um sein Leben. Einst ließ er sich in Deutschland, unter anderem in Donaueschingen, ausbilden, um in seiner Heimat gegen die Taliban kämpfen zu können und andere Soldaten mit auszubilden. Jetzt ist er selbst der Gejagte. Sein Heimatort Herat wird von den Taliban heimgesucht.

Die Flucht nach Kabul, um von dort mit einem der letzten Flieger der Bundeswehr nach Deutschland zu kommen, endete am Flughafen. Kein Durchkommen, der Flughafen war abgeriegelt, schließlich ging eine Bombe hoch. Ataiy und seine Frau und sein kleiner Sohn verließen Kabul fluchtartig, kehrten zurück nach Herat.

Der 25-jährige Familienvater musste sich Geld leihen, sein Auto verkaufen, um die Familie irgendwie zu ernähren, fand schließlich einen unauffälligen Job in einem Laden. Doch die Taliban begannen nach ihm zu fragen – kurz nachdem er einen Reisepass beantragt hatte und auch bekam.

Khododad Ataiy mit seiner Frau und seinem zweieinhalb Jahre alten Sohn im iranischen Maschhad, auf dem Weg nach Teheran.
Khododad Ataiy mit seiner Frau und seinem zweieinhalb Jahre alten Sohn im iranischen Maschhad, auf dem Weg nach Teheran. | Bild: Khodadad Ataiy

Iran als einziger Ausweg

Der SÜDKURIER hat seine Geschichte seit dem vergangenen Sommer verfolgt und immer wieder über den jungen Mann berichtet, der sein Land nicht aufgegeben hatte. Doch jetzt musste er ihm den Rücken kehren.

In den Tagen vor seiner Flucht hatte er seine Wohnung schon verlassen, war anderswo untergetaucht. „Die Taliban suchen mich“, schrieb er. „Mein Nachbar hat gesagt, sie haben ihm ein Foto von mir gezeigt und gefragt, ob er weiß, wo ich bin“, erzählt der 25-Jährige.

Er erzählt niemandem von seinem Plan, auch der SÜDKURIER hört tagelang nichts mehr von dem jungen Mann. Dann meldet er sich, über WhatsApp: „Ich bin jetzt in Teheran“, schreibt er. Das schier Unmögliche ist gelungen. Dafür musste Ataiy seine letzten Ersparnisse vom verkauften Auto aufwenden, 800 Euro, sagt er, habe er für das Visum für sich und seine Familie bezahlen müssen. Weil er nicht selbst in die Botschaft gehen konnte, einen Mittelsmann bezahlen musste.

Schleuser bringen ihn in den Iran

Mit Schleusern kommt er außer Landes, ein Kleinbus rollt irgendwo beim iranischen Taybat über die Grenze: „Die Leute kennen die, die die Grenze kontrollieren, da kommt man sicher rüber“, erzählt er. Von dort fuhren die drei mit dem Zug bis nach Teheran.

Aufatmen kann Ataiy trotzdem nicht. Sein Bruder lebt in der iranischen Hauptstadt, bei ihm kann Ataiy vorerst unterkommen. Doch das Visum gilt nur für 30 Tage. Eine Verlängerung kostet Geld. Und irgendwann wird es keine Verlängerung mehr geben.

Dann müsste die Familie zurück nach Afghanistan. Mit dem Risiko, den Taliban ins Messer zu laufen. „Ich weiß nicht, was ich machen soll, wenn ich nicht bleiben kann“, sagt er selbst. „Vielleicht muss ich mich hier irgendwo verstecken“, überlegt er.

Khodadad Ataiy mit seiner Frau und seinem Sohn in der Wohnung seines Bruders in einem Außenbezirk von Teheran.
Khodadad Ataiy mit seiner Frau und seinem Sohn in der Wohnung seines Bruders in einem Außenbezirk von Teheran. | Bild: Khodadad Ataiy

Drohende Hungersnot

Eine Rückkehr nach Afghanistan ist ohnehin schwierig. Die Situation der Afghanen verschärft sich mit jedem Tag. Die Inflation steigt und mit ihr die Armut. Ein UN-Bericht geht davon aus, dass schon jetzt die Hälfte der 32 Millionen Afghanen von extremem Hunger bedroht sind.

Es gibt keine Arbeit, Frauen dürfen nicht arbeiten, die Männer müssen sich oft als Tagelöhner verdingen und verdienen umgerechnet Centbeträge. Auch Ataiy hatte zuletzt keine regelmäßige Arbeit mehr. Zuvor verdient er noch etwas mehr als einen Euro pro Tag.

Vor dem Zusammenbruch der Regierung kamen etwa 75 Prozent der Finanzmittel des Landes von außerhalb. Heute sind Währungsfonds eingefroren, externe Hilfsgelder rar geworden, weil niemand die Taliban finanzieren will. Bald könnten 97 Prozent der Bevölkerung Hunger leiden, schätzen die Experten der Vereinten Nationen.

Hoffen auf ein Visum für Deutschland

Die Hoffnung, nach Deutschland zu kommen, hat Ataiy nicht aufgegeben. Er will es bei der deutschen Botschaft in Teheran versuchen. Zwar werden Visa grundsätzlich auch an afghanische Staatsbürger in der iranischen Botschaft vergeben, da es keine Vertretung mehr in Afghanistan gibt. Doch Ataiys Fall dürfte einer Prüfung nicht standhalten.

Auf Anfrage beim Auswärtigen Amt sagt eine Sprecherin, dass seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan mehr als 11.100 Visa erteilt wurden für ehemalige Ortskräfte der Bundeswehr und Mitglieder von Hilfsorganisationen.

Ataiy fällt nicht darunter, obwohl er sich einst in Deutschland zum Offizier ausbilden ließ, unter anderem in Donaueschingen. Dennoch erfüllte er nach Auffassung des Auswärtigen Amts nicht die Kriterien für eine Aufnahme.

Khodadad Ataiy mit seinem Sohn Amirali in einem Außenbezirk von Teheran.
Khodadad Ataiy mit seinem Sohn Amirali in einem Außenbezirk von Teheran. | Bild: Moll, Mirjam

Einen Asylantrag könnte Ataiy erst auf deutschem Boden stellen. Hilfsorganisationen wie das Patenschaftsnetzwerk afghanische Ortskräfte versuchen nach wie vor, gefährdeten Afghanen zu helfen. Das Hilfswerk steht nach eigenen Angaben in guter Verbindung mit der deutschen Botschaft in Teheran. Es könnte eine Chance für Ataiy sein. Man werde den Fall besprechen, sagt der Regionalbeauftragte für den Schwarzwald, Lucas Wehner, dem SÜDKURIER auf Anfrage. Versprechen kann aber auch er nichts.

Die neue Bundesregierung will ein Aufnahmeprogramm für afghanische Staatsbürger schaffen. Man werde sich noch dazu positionieren, heißt es aus dem zuständigen Bundesinnenministerium. Ein Datum gibt es nicht. Ob Ataiy so lange warten kann, ist fraglich.