Die Wolken hängen tief über dem Luftwaffenstützpunkt Andrews außerhalb Washingtons, als Donald und Melania Trump ihren letzten offiziellen Flug in der Präsidentenmaschine „Air Force One“ in Richtung Florida antreten. Menschenmassen hatte sich Trump, der so gerne in der Menge badet, zum Abschied gewünscht und jeden der geladenen Gäste gebeten, bis zu fünf weitere Personen mitzubringen.

Melania und Donald Trump sind derweil in Florida angekommen.
Melania und Donald Trump sind derweil in Florida angekommen. | Bild: Alex Edelman

Doch wenn sich Ungnade an den wenigen Dutzend Köpfen abzählen lässt, dann bleibt nur der Schluss: Mit der öffentlichen Liebe für Trump hapert es an diesem so bedeutenden Tag. Die Trump-Kinder sind natürlich gekommen und müssen wie die Journalisten jene Pop-Songs von Gloria Estefan und den „Village People“ über sich ergehen lassen, die wie bei jedem seiner Kampagnenauftritte aus den Lautsprechern dröhnen. Im Hintergrund gibt es 21 Salutschüsse.

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Und dann spricht Trump von „vier unglaublichen Jahren“, in denen man so viel erreicht habe. „Wir haben so hart gearbeitet“, sagt er. Und warnt, bei einer für ihn seltenen Erinnerung an die über 400 000 Pandemie-Opfer im Land, vor dem „China-Virus“. Auch Melania Trump, ganz in schwarz, dankt ein letztes Mal den wenigen Unterstützern.

Ein Machtwechsel, wie man ihn nie erlebt hat

Beim kurzen zehnminütigen Hubschrauberflug nach Andrews hatte Trump von oben ein Washington sehen können, wie es die Menschen der Stadt bei einem Präsidenten-Machtwechsel so noch nie erlebt hatten. Straßensperren überall, schwer bewaffnete Nationalgardisten und ein abgeschirmtes Kapitol, das seine Anhänger vor zwei Wochen erstürmt hatten. Trump, der als erster Präsident in 150 Jahren der Amtseinführung seines Nachfolgers fernbleibt, bricht zumindest mit einer Tradition nicht. Er hinterlässt Biden einen handgeschriebenen Brief auf dem „Oval Office“-Schreibtisch, über dessen Inhalt Trump-Berater zunächst nichts enthüllten.

Fahnen statt Menschen füllen corona-bedingt die National Mall.
Fahnen statt Menschen füllen corona-bedingt die National Mall. | Bild: Alex Brandon

Richard Nixon formulierte 1974 bei seinem erzwungenen Abschied nach dem „Watergate“-Skandal: Das Interesse der Nation müsse immer über dem Interesse von Personen kommen. Ähnliche Worte der Selbstreflexion hat man von Trump in den letzten Tagen im Amt nie gehört.

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„Wir werden zurückkehren“

Und auch jetzt spricht er sie nicht. Die letzte Chance lässt er dazu in Andrews aus. Er wünscht der neuen Regierung alles Gute, ohne den Namen Joe Biden auch nur ein einziges Mal fallen zu lassen. „Wir werden in irgendeiner Form zurückkehren“, sagt er vor dem Besteigen der „Air Force One“. Doch die Chance, dass die Trumps jemals wieder ins Weiße Haus als Präsidentenpaar einziehen, halten Beobachter angesichts des so chaotischen Endes der Amtszeit für verschwindend gering.

Jennifer Lopez singt „This Land Is Your Land“ und „America the Beautiful“.
Jennifer Lopez singt „This Land Is Your Land“ und „America the Beautiful“. | Bild: Carol Guzy

In der Nacht hat er noch jede Menge Freunde und frühere Helfer wie seinen Ex-Wahlkampfchef Steve Bannon begnadigt. Doch die Begnadigungen dürften bald Schnee von gestern sein. Die Augen richten sich nun nach vorn – auf Joe Biden. „Gratulation an meinen Freund! Das ist deine Zeit!“ schreibt gestern Barack Obama auf Twitter an seinen ehemaligen Vize.

Mit Joe Biden wird an diesem Mittwoch der 46. Präsident der USA vereidigt. Was von früheren Zeremonien in Erinnerung blieb:

Auch Obama und Gattin Michelle sind zur Vereidigung von Biden und dessen Vize Kamala Harris gekommen, die als erste Vizepräsidentin der USA und dazu noch als Farbige Geschichte schreibt. Die Obamas sitzen, vermummt wie alle Ehrengäste, neben George W. Bush, Laura Bush sowie Bill und Hillary Clinton auf der Ehrentribüne hinter schusssicherem Glas.

Ex-Präsident Barack Obama und seine Frau Michelle treffen ein.
Ex-Präsident Barack Obama und seine Frau Michelle treffen ein. | Bild: Rob Carr

Es ist bei leichtem Schneefall eine surreal wirkende Zeremonie der verhüllten Gesichter, des Abstands und der Ellenbogen- und Ghetto-Fäuste. Und der Mann, der Donald Trump partout nicht mehr sehen wollte, ist ebenfalls anwesend: Mike Pence, dessen Bindeglied zu Joe Biden auch die langjährige Mitgliedschaft der beiden im Senat ist. Etwas Star-Power darf ebenfalls nicht fehlen: Lady Gaga singt, im ausschweifenden roten Ball-Rock, die Nationalhymne. Und nach der Vereidigung von Kamala Harris schlägt die Stunde für Jennifer Lopez, die das beliebte Volkslied „This Land is Your Land“ und die 111 Jahre alte Hymne „America the Beautiful“ vorträgt.

Biden begrüßt Lady Gaga in wallendem roten Rock. Ihr wurde Ehre zuteil, die Nationalhymne zu singen.
Biden begrüßt Lady Gaga in wallendem roten Rock. Ihr wurde Ehre zuteil, die Nationalhymne zu singen. | Bild: Susan Walsh

Die Sonne bricht schließlich durch, als Joe Biden auf der Familienbibel den Amtseid ablegt. Um 11.48 Uhr ist der 78-Jährige an seinem Lebensziel angekommen – und der 46. Präsident der USA. „Das ist der Tag Amerikas, das ist der Tag der Demokratie,“ sagt er. Man habe erneut gelernt, wie wertvoll und zerbrechlich Demokratie sei. Als Gewalt kürzlich das Kapitol erschüttert habe, sei man als Nation zusammen gekommen. Ausdrücklich dankt Biden dann Bush und Pence, den anwesenden Vertretern der anderen Seite.

Nur wenige Zuschauer hat die Zeremonie auf der Westseite des Kapitols.
Nur wenige Zuschauer hat die Zeremonie auf der Westseite des Kapitols. | Bild: TASOS KATOPODIS

Es ist ein Ölzweig, den der neue Präsident an die Republikaner reicht. Denn er braucht sie für das, was Biden als Aufgabe der „Heilung“ und „Reparatur“ bezeichnet. Nicht nur für die Pandemie-Bekämpfung und deren Folgen, sondern – wie es Biden sagt – auch für die Konfrontation von Rassismus und Extremismus im Land. „Einheit“ strebe er an, betont er. Das klinge zwar wie eine „lächerliche Phantasie“ angesichts der Realitäten und dem Mangel an Wahrheit im Land. Doch es sei erreichbar. Denn ohne Einheit könne es, und das ist einer seiner Kernsätze, keinen Frieden und kein Ende der Krisen geben.

Seine größte Herausforderung

Dann wiederholt Biden sein Versprechen aus dem Wahlkampf, das seine größte Herausforderung sein dürfte: „Ich will ein Präsident für alle Amerikaner sein.“ Und am Ende hat der frischgebackene Präsident dann noch eine Nachricht für den Rest der Welt, die man auch in Berlin gerne hören wird: Man werde als Vorbild führen und wieder ein starker wie vertrauensvoller Partner sein.