Man würde es sich ja anders wünschen, aber Wahlzeiten sind nicht geprägt von edlem Kräftemessen, sondern von harten Nahkämpfen. Spätestens seit dieser Woche dürfte das den Menschen in der Republik wieder deutlich geworden sein. Und dass sich die Ton- und Gangart vor der Bundestagswahl im September noch einmal verschärfen werden, ist sehr wahrscheinlich.
Denn im Gegensatz zu den letzten Bewerbungen ums Kanzleramt, als Angela Merkel mehr oder weniger gesetzt war, gibt es bei dieser Wahl für alle Beteiligten gleichermaßen viel zu gewinnen und zu verlieren. Deshalb gilt das Motto: Jeder gegen jeden.
SPD gegen CDU, CDU gegen Grüne
Eine leise Ahnung davon konnte man diese Woche gewinnen. Mit welcher Leidenschaft beispielsweise die SPD als Regierungspartei einen Minister-Kollegen der CDU anschießt, ist mindestens bemerkenswert, wenn nicht befremdlich. Dass SPD-Chefin Saskia Esken kaum verstellt die Abberufung des Gesundheitsministers Jens Spahn fordert, ist das Signal für das Ende der Gemeinsamkeit auf der Regierungsbank.
Ab sofort ist Kampf – und da gelten andere Regeln als in Zeiten der friedlichen Koexistenz. Kritik wird jedenfalls nicht mehr nur am Kabinettstisch vorgetragen, sondern vor laufenden Kameras. Ob das clever ist, ist eine andere Frage.
SPD gegen CDU, CDU gegen Grüne, alle gegen die AfD, FDP gegen Linke und alle zusammen gegen den wissenschaftlichen Beirat des Wirtschaftsministers. Der hatte sich diese Woche aufgemacht, den Politikverantwortlichen grobe Versäumnisse vorzuwerfen, die – so die Fehler nicht beseitigt würden – zu einem Kollaps des heutigen Rentensystems führen werden.
Lieber neue Rentengeschenke als Reform
In seltener Eintracht fielen führende Politiker reflexartig über die Experten her und attestierten Schwarzmalerei. Dabei haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Politik lediglich vorgerechnet, dass zwei und zwei eben vier sind und nicht fünf. Mit anderen Worten: Wird das Rentensystem nicht reformiert, fließt ab 2050 nicht wie heute gut jeder vierte Euro des Bundes in die Rentenkasse, sondern jeder zweite.
Geld, das an anderer Stelle dann fehlen wird – zum Beispiel bei Klimaschutz oder Bildung. Wie aber der riesigen Wählergruppe von mehr als 21 Millionen Rentnern in Deutschland klarmachen, dass sie den Gürtel enger schnallen muss in den kommenden Jahren? Und dass Arbeitnehmer wohl länger arbeiten werden müssen als nur bis 67?
Es ist eine Versündigung an nachwachsenden Generationen, sich der Reform des Rentensystems zu verweigern und lieber neue Rentengeschenke zu machen. Aber Wahlzeiten sind für Politikstrategen nicht die allerbesten Zeiten, um sich in Geldfragen ehrlich zu machen. Da gibt es viel zu verlieren.
Dass es mit dem Ehrlichmachen manchmal gar nicht so einfach ist, hat auch die grüne Hoffnungsträgerin Annalena Baerbock erfahren müssen. Nach dem Höhenflug, der sie bis zur Kanzlerkanditatur trug, gab es eine harte Landung nach den Unstimmigkeiten in ihrem Lebenslauf und bei ihren Nebeneinkünften.
Letztere hatte sie für die Jahre 2018, 2019 und 2020 nicht vollständig angegeben. Dabei hatte Baerbock stets für eine Verschärfung der Regeln bei Nebeneinkünften von Abgeordneten plädiert – aber es eben bei den eigenen Angelegenheiten nicht so genau genommen. Das war ein böser Stolperer, der ihr bis zum Wahltag nachhängen wird.
Wer einen Fehler findet, sucht weiter
Das Bedrohliche für die Grüne ist der Anfangsverdacht, es mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen und es spornt Dritte an, nach weiteren Verfehlungen zu suchen. Frei nach dem Motto: Wird man einmal fündig, findet man auch mehr. Dass das dann ausgerechnet in dem vor ihr selbst veröffentlichten Lebenslauf der Fall sein würde, ist schwer nachzuvollziehen.
Im besten Fall hat sie ihn selbst gar nicht verfasst, sondern irgendein Mitarbeiter – im schlimmsten Fall aber eben doch sie selbst. In beiden Fällen trägt sie die Verantwortung. Was Annalena Baerbock spürt: Wer vorne steht, bekommt den Sturm als erste ab. Ob sie dieser Wetterlage über mehrere Monate gewachsen ist, wird sich zeigen. Die Wutkampagne nach ihrem Vorschlag, den Benzinpreis deutlich anzuheben zu wollen, war ein Vorgeschmack. Die Anwürfe waren nicht fair und auch nicht differenziert. Aber Wahlkampf ist kein edles Kräftemessen.
Was die Beispiele um Saskia Esken, der Rentendebatte und Annalena Baerbock gemeinsam haben, ist nicht nur die zeitliche Nähe, die den Wahlkampfauftakt markiert. Sie geben vor allem die politische Tonlage vor, die wir Wählerinnen und Wähler erwarten dürfen. Umso mehr wird es darauf ankommen, aus dem Getöse die substanziellen Inhalte, die ernsthaft Aussicht auf Umsetzung haben, herauszufiltern. Das wird ein hartes Stück Arbeit.