Um es vorwegzunehmen: In der bald 70-jährigen Geschichte der Bundeswehr hat es nie einen Zeitraum gegeben, in dem Generäle und Politik mit dem Zustand der Streitkräfte rundum glücklich sein konnten. So wie es auf der Welt keine perfekte Armee gab und gibt, so ist auch die Bundeswehr eine Armee mit Stärken und Schwächen.
Eine Krise folgte auf die andere
Ohne kleine und größere Krisen war sie praktisch nie. Ihre Aufbauphase dauerte mehr als zehn Jahre. Erst dann konnte die Nato mit dem deutschen Beitrag halbwegs zufrieden sein. Dazu kamen Rüstungsaffären wie jene um den Starfighter sowie der Dauerstreit um Innere Führung und „Staatsbürger in Uniform“, was manchem kriegsgedienten Generalstäbler zu weit ging. Vorzeitige Abschiede oder Rauswürfe durch den Minister waren die Folge.

Geplagt wurde die Truppe damals vom Mangel an Unteroffizieren und Feldwebeln und der Renitenz von Wehrpflichtigen, in die der Widerspruchsgeist der 68er gefahren war. In den 70ern stellte sich eine nur noch bedingt wehrwillige Gesellschaft die Frage, wozu die Bundeswehr angesichts tausender Atomwaffen im Kalten Krieg noch nützlich sei.
Der Spott im Offizierskasino
Verteidigungsminister brauchten schon damals einen guten Kompass. Derweil wandelten Offiziere Artikel 87a des Grundgesetzes so ab: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Beschäftigung der Wehrverwaltung auf.“
Das Sprüchlein macht noch heute die Runde. Der nun ins Amt berufene Boris Pistorius muss darauf reagieren. Es ist nicht damit getan, die beschädigte Chemie zwischen Verteidigungsminister und Generalität durch warme Worte und viele Mitfahrten im Panzer zu reparieren. Es geht nicht nur um Wertschätzung, sondern um eine Überprüfung aller Strukturen, die den Soldaten – und vor allem den Offizieren – im Berufsalltag Steine in den Weg legen.
Zu viel Speck angesetzt?
Wer als Journalist in die Streitkräfte hineinhört, kann gar nicht so schnell mitschreiben, wie Begriffe fallen, die die Soldaten in der Bürokratiefalle festnageln: „Soldatenarbeitszeitverordnung“, „Militärische Gleichstellungsbeauftragte“, „Telearbeit in der Zentralen Dienstvorschrift“ oder „Kernarbeitszeit“, um nur einen Eindruck zu geben. Da stellt sich die Frage: Dient die Bundeswehr Deutschland, wie es in ihrer Werbung heißt, oder hat sie als Wohlfühlarmee zu viel Speck angesetzt?
Man sollte denken, der Umbau der Bundeswehr von der 500.000-Mann-Streitmacht zur Schrumpf-Truppe aus 183.000 Spezialisten habe die Armee von Büroschikanen entschlackt.
Generäle wurden abgemeldet
Das Gegenteil ist der Fall. Ein Gewirr von Gremien, Sonderstäben und Doppelstrukturen lähmt die Bundeswehr auf ihrem Leistungsmarsch zurück zur Landesverteidigung mit einer Ausrüstung, die den Aufgaben entspricht.
Lange ist es her, dass Generäle im Ministerium als erste nach ihrer Meinung gefragt wurden. Bewährte Säulen der Planung, wie der Führungsstab der Streitkräfte, der Beratung, wie der Stab des Generalinspekteurs beim Minister, und der vom Reformer Helmut Schmidt eingeführte politische Planungsstab fielen ersatzlos weg.
Wer macht eigentlich was und weshalb?
Zurück blieb eine Monsterbehörde, in der immer mehr Zivilisten mitreden und ängstlich über ihre Kompetenzen wachen. Wer hier für was zuständig ist, wissen selbst die Kommandeure nicht mehr genau.
Boris Pistorius braucht nicht nur neue Milliarden. Er muss die Tarnnetze von ineffizienten Bürokratien reißen, Gepäckerleichterung anordnen und alle Kräfte so bündeln, dass Deutschland seine prallen Zusagen an die Nato einhalten kann.
Mehr als 200.000 Soldaten werden gebraucht
Das heißt: In zwei Jahren 30.000 Soldaten kaltstartfähig ins Feld schicken zu können. Dazu müsste die Bundeswehr auf mehr als 200.000 Soldaten anwachsen, doch sie tritt auf der Stelle. Schon jetzt ist es schwer, die Abgänge zu ersetzen.
Gibt es auch etwas Positives? Durchaus. 17.000 deutsche Soldaten sind voll ausgestattet für die Wacht an der Nato-Ostflanke verfügbar, die Qualität der Waffen ist insgesamt auf hohem Niveau. Nicht ohne Grund ist es vor allem deutsche Technik, auf die die Ukraine so große Hoffnungen setzt.