Ein Szenario, vor dem Experten schon seit Jahrzehnten warnen, wird immer mehr zur Realität: Das Rentensystem hält der Bevölkerungsstruktur in Deutschland nicht mehr stand. Die Gründe dafür sind vielfältig. Einfach gesagt, finanzieren die aktuell Erwerbstätigen mit ihren Rentenversicherungsbeiträgen die Rentnerinnen und Rentner von heute. Ein großes Problem ist aber, dass es im Vergleich zu den Arbeitnehmern immer mehr Ruheständler gibt, sodass die Beiträge schon jetzt nicht mehr ausreichen, um die Renten zu stemmen. Nun gehen die Babyboomer nach und nach in Rente - viele sogar vorzeitig - und verschärfen das Problem damit noch mehr.
Rentensystem wegen Babyboomern noch mehr unter Druck: Wo liegt das Problem?
Seit vielen Jahren warnen Expertinnen und Experten vor der Zeit, in der die sogenannten Babyboomer in Rente gehen. Babyboomer sind Personen, die in den besonders geburtenstarken Jahrgängen zwischen Mitte der 1950er bis Ende der 1960er Jahre geboren wurden, wie das Demografieportal des Bundes und der Länder mitteilt. Dem ohnehin maroden Rentensystem werden damit Erwerbstätige entzogen und Rentnerinnen und Rentner hinzugefügt. Neue Zahlen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigen zudem, dass viele der Babyboomer-Generation vorzeitig in Rente gehen und damit das System noch mehr unter Druck setzen.
Insgesamt umfassen die Babyboomer laut dem IW eine Personengruppe von rund 19,5 Millionen. 2023 erhielten bereits 4,5 Millionen von ihnen eine gesetzliche Altersrente. Bis 2036 werden die Babyboomer vollständig aus dem Berufsleben ausgeschieden sein. Besonders problematisch ist, dass bis zum 31.12.2023 bereits 900.000 Babyboomer in den Ruhestand gegangen sind, bevor sie das gesetzliche Renteneintrittsalter erreicht hatten. Wenn man die Jahrgänge 1954 bis 1957 betrachtet, die bis einschließlich 2023 ihre Regelaltersgrenze bereits erreicht hatten, steigt die Zahl sogar auf 1,8 Millionen Personen. Pro Jahrgang entspricht das rund 44 Prozent der Personen.
Die Politik weiß um das Problem und versucht unter anderem mit einer schrittweisen Anhebung des Renteneintrittsalters gegenzusteuern. Laut dem IW sei der Versuch allerdings nicht von großem Erfolg gekrönt, denn das durchschnittliche Renteneintrittsalter ist so gut wie konstant geblieben. Der Grund sei, dass die Abschläge, die bei einem vorzeitigen Renteneintritt fällig werden, zu niedrig seien. Statt mehr Anreize für eine längere Erwerbstätigkeit zu schaffen, gebe es nach wie vor großzügige Möglichkeiten für einen frühen Ausstieg aus dem Berufsleben, zum Beispiel die Rente mit 63. „Zur Stabilisierung des Rentensystems sollten Beitragszahler möglichst lange einzahlen“, erklärt IW-Rentenexpertin Ruth Maria Schüler. „Die Bundesregierung muss daher dringend die Frühverrentung stoppen, um die gut ausgebildeten Babyboomer im Arbeitsmarkt zu halten“, sagt IW-Arbeitsmarktexpertin Stefanie Seele.
Die aktuelle schwarz-rote Regierung hat in ihrem Koalitionsvertrag bereits einige Maßnahmen vorgestellt, um Erwerbstätige länger im Berufsleben zu halten. Dazu zählen unter anderem die Rentenaufschubprämie und die Aktivrente.
Immer mehr Rentner, aber immer weniger Beitragszahler: Was bedeutet das für die Zukunft?
2024 wurden etwa 18,9 Millionen Altersrenten gezahlt, wie Co-Vorstandschef der Deutschen Rentenversicherung Bund, Jens Dirk Wohlfeil, der Deutschen Presse-Agentur (dpa) sagte. „Dies ist ein neuer Höchststand.“ Dafür gebe die Rentenversicherung 286 Milliarden Euro aus. Allein aus Beiträgen kann das allerdings nicht finanziert werden. Wie dem vor Kurzem beschlossenen Bundeshaushalt 2025 zu entnehmen ist, soll der Bund 2025 rund 121 Milliarden Euro an die Rentenversicherung zahlen. Einige Milliarden davon werden gebraucht, um die Renten überhaupt ausbezahlen zu können.
Richtung Politik macht Wohlfeil deutlich: „Diese Summe verdeutlicht die Bedeutung einer soliden, verlässlichen und generationengerechten Finanzierung der Rentenversicherung.“ In den nächsten Wochen wollen Union und SPD unter anderem eine künftige Absicherung des Rentenniveaus für die nächsten Jahre beschließen. Eine neue Rentenkommission soll sich zudem Gedanken über die Zukunft des deutschen Rentensystems machen. „Hierbei darf die Politik die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler nicht aus den Augen verlieren, auch um die Akzeptanz des gesamten Systems nicht zu gefährden“, warnt Wohlfeil. Ohne neue Gesetze drohen die Rentenbeiträge laut Rentenversicherungsbericht 2024 bis 2038 von aktuell 18,6 auf 21,4 Prozent zu steigen.
Aktuell bleiben die Beiträge laut Anja Piel, Vorsitzende des Bundesvorstandes der Deutschen Rentenversicherung, bis 2026 stabil. 2027 wird dann eine Beitragserhöhung von 0,2 Prozent erwartet.
Neben den höheren Beiträgen zur Rentenversicherung für Erwerbstätige droht auch ein Absinken des Rentenniveaus. Dieses soll voraussichtlich bis 2028 bei 48 Prozent liegen. Die Bundesregierung will die Regelung zur Haltelinie, mit der verhindert werden soll, dass das Rentenniveau unter 48 Prozent sinkt, bis 2031 verlängern. „Das bedeutet, unabhängig von der Entwicklung der Zahl der Beitragszahler, dass die Renten weiterhin mit der Lohnentwicklung angepasst werden“, erklärt Piel. Diese Kosten sollen dem Koalitionsvertrag zufolge aus Steuermitteln finanziert werden, damit die Beitragszahler nicht zu stark belastet werden. „Wir werden hier sehr genau darauf achten, dass sich der Bund an seine Zusage hält“, sagt Piel.
Fazit: Die aktuelle Bundesregierung sieht das Problem und hat bereits einige Maßnahmen ergriffen, um Seniorinnen und Senioren länger im Erwerbsleben zu halten. Das würde zum einen den Fachkräftemangel reduzieren, zum anderen die Anzahl der Rentnerinnen und Rentner. Allerdings wird es damit wohl nicht getan sein. Das Problem des demografischen Wandels bleibt und um diesem entgegenzuwirken, müssten deutlich mehr ausländische Fachkräfte im deutschen Arbeitsmarkt integriert werden. Da auch dieses Szenario nur schwer umzusetzen ist, muss überlegt werden, ob man sich vom derzeitigen Umlageverfahren verabschiedet und das Rentensystem auf ganz neue Füße stellt. Die nächsten Wochen, Monate und wahrscheinlich Jahre werden zeigen, wie die Bundesregierung auf die sich zuspitzende Situation reagiert.
Übrigens: In der Vergangenheit gab es von politischer Seite mehrere Vorschläge, das Rentensystem zu stabilisieren. Die mittlerweile abgesetzte Ampel-Koalition hatte vorgeschlagen, einen Teil der Rente am Aktienmarkt zu erwirtschaften. Zuletzt wurde wieder darüber diskutiert, ob Beamte künftig auch in die gesetzliche Rentenkasse einzahlen, um die Rente zu retten.