Spinat, Karotten oder Äpfel. Wenn Gemüse und Obst auf dem Teller landen, sind Kinder oftmals wenig begeistert. Viele Eltern greifen daher zu Nahrungsergänzungsmitteln – vor allem, um verpasste Vitamine auszugleichen. Die DONALD-Studie des Dortmunder Forschungsinstituts für Kinderernährung (FKE) kam zu dem Schluss, dass jedes zehnte Kind von seinen Eltern täglich mindestens ein Nahrungsergänzungsmittel erhält. Laut der jüngeren EsKiMo-Studie trifft das auf jedes zwölfte Kind im Alter von sechs bis elf Jahren zu – und auf rund 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen im Alter von zwölf bis 17 Jahren. Doch sind Nahrungsergänzungsmittel für Kinder wirklich nötig? Und können Vitamin-Präparate sogar gefährlich werden? Wir haben uns auf die Suche nach Antworten begeben.
Sind Nahrungsergänzungsmittel für Kinder nötig?
Die DONALD-Studie und die EsKiMo-Studie kamen zu ähnlichen Ergebnissen: Es besteht kein zusätzlicher Bedarf an den Vitaminen, die vorzüglich in Nahrungsergänzungsmitteln vorkommen. Das liege vor allem daran, dass Kinder eine Vielzahl von Lebensmitteln konsumieren, die viele Mineralstoffe und Vitamine enthalten. Ein Beispiel: Frühstücksflocken. Vor allem für die folgenden Vitamine besteht bei Kindern in der Regel kein Mehrbedarf, der durch Nahrungsergänzungsmittel ausgeglichen werden könnte:
Stiftung Warentest testet seit vielen Jahren regelmäßig das Wirken und den Nutzen von Nahrungsergänzungsmitteln. Die Verbraucherorganisation kam bereits 2008 zu einem klaren Fazit: „Auf Nahrungsergänzungsmittel für Kinder können Sie getrost verzichten.“ Ihr Nutzen sei nicht ausreichend belegt. Fünf Jahre später hatte sich diese Einschätzung kaum verändert: „Nahrungsergänzungsmittel für Kinder, die angeblich günstig auf die Gehirnfunktion oder Lernen und Konzentration wirken, können Sie sich sparen. Der Nutzen ist nicht ausreichend belegt“, erklärte Stiftung Warentest.
2025 testete Stiftung Warentest 18 Nahrungsergänzungsmittel, die speziell für Kinder angeboten werden. Unter diesen befanden sich bekannte Mittel wie Centrum, Abtei und Orthomol. Das Ergebnis: Überflüssig seien alle getesteten Nahrungsergänzungsmittel. „17 Produkte haben Mängel, von fünf raten wir stark ab“, ist zudem im Testbericht zu lesen. Der Test legt nahe, dass Nahrungsergänzungsmittel für Kinder nicht nur überflüssig, sondern auch ungesund sein können.
Sind Nahrungsergänzungsmittel für Kinder gefährlich?
Stiftung Warentest erkannte beim jüngsten Test bei 17 von 18 Nahrungsergänzungsmitteln Mängel wie eine zu hohe Dosierung, eine unzulässige Bewerbung und eine Zugabe von Stoffen, die Kinder gar nicht zu sich nehmen sollten. Demnach überschritten 15 Produkte Tagesmengen, die für Kinder empfohlen werden. Von fünf Mitteln rät Stiftung Warentest explizit ab: Das Produkt „Orthomol Junior C plus“ enthalte Kupfer, welches in „Kinderprodukten gar nichts zu suchen“ habe, wie Dr. Holger Brackemann, Bereichsleiter Untersuchungen bei Stiftung Warentest, klarstellte. Demnach könne die Zunahme von Kupfer kurzfristig zu Erbrechen und Bauchschmerzen führen, langfristig zu Leberschäden.
Vier Mittel würden zudem hohe Mengen an Vitamin A enthalten, die sogar Höchstwerte überschreiten würden, die für Erwachsene gelten. Dabei handelt es sich um die folgenden Produkte:
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Doppelherz System Omega-3 Flüssig Family
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Centrum Kids Multi Vitamin Gummies
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Hübner Multivital Kids
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Easyvit Easy Fishoil Multi
Gefährlich sind laut Stiftung Warentest auch Aufmachung und Design der Produkte. Rund die Hälfte der Nahrungsergänzungsmittel könnten mit Süßigkeiten verwechselt werden. Das Orthomol-Produkt ist beispielsweise in der Form von Miniautos gehalten.
Vitamin-Präparate für Kinder: Forderungen von verbindlichen Höchstmengen
Die Verbraucherzentrale kommt in einer Untersuchung zu dem Schluss, dass es rund um Nahrungsergänzungsmittel „diverse Regelungslücken“ gebe. Die Forderung: „Der Gesetzgeber sollte verbindliche Höchstmengen für Nährstoffe in Nahrungsergänzungsmitteln festlegen und dabei die spezifischen Bedürfnisse von Kindern berücksichtigen. Es braucht also eine nach Alter differenzierte Festlegung. Vor dem Hintergrund des Vorsorgeprinzips sind aus Sicht der Verbraucherzentralen bis zu einer solchen verbindlichen Regelung Nahrungsergänzungsmittel für Kinder keine ausreichend sichere Produktgruppe.“
Stiftung Warentest schließt sich der Forderung an. Die Europäische Union (EU) solle Höchstmengen für Mineralstoffe und Vitamine in Nahrungsergänzungsmitteln festlegen und ein entsprechendes Zulassungsverfahren einführen. Laut der Pharmazeutischen Zeitung gelten Nahrungsergänzungsmittel derzeit als Lebensmittel. Für Hersteller bedeutet das, dass sie keine Anzeigepflicht haben, wenn sie derartige Produkte auf den Markt bringen. Aus dem Bericht geht hervor, dass der Umsatz von Herstellern in diesem Segment von 2018 bis Anfang 2024 um 35 Prozent angestiegen ist. Er betrug zuletzt 3,21 Milliarden Euro. Für Brackemann betreiben die Unternehmen ein Geschäft „mit der Sorge der Eltern“.