Die Faust stoppt kurz über der Tischplatte, die Finger öffnen sich wieder, die unterdrückte Wut macht sich stattdessen in wohlüberlegten Worten Luft. Kegler, die sich von Emotionen leiten lassen, haben meist schon verloren. Diese angelernte Disziplin prägt, auch außerhalb der Bahn, selbst wenn die Frustgefühle noch so mächtig werden. Ärgerlich sei die Situation, sagt Sascha Gonschorek, einfach nur traurig. Er selbst bezeichnet sich als „Kegelgeil“, als süchtig nach einer Sportart, die seit Jahren dahinsiecht, der ein baldiges Ende am Bodensee, Hochrhein und im Schwarzwald droht. Am Tisch wird genickt, dann geht es in die Vollen.
Es ist ein Donnerstagabend in Hilzingen kurz vor Singen. Der Parkplatz des Tropilua-Familienparks ist nur noch spärlich belegt. Kleine Knirpse finden hier wetterunabhängig ein Paradies zum Toben, Eltern im Kinderlärm Ruhe bei Kaffee und Kuchen. Und die Sportkegler haben hier ihr Zuhause. Auf einer Tür, außen neben dem Haupteingang, steht der Schriftzug „SKG 77 Singen“. Drei Treppenabgänge weiter unten ist die Heimat der Sportkegelgemeinschaft. Zumindest noch bis 2020, dann läuft der Pachtvertrag aus, eine Verlängerung lehnt Eigentümer Frank Knebel ab: „Wir benötigen die Räume, damit das Tropilua weiter wachsen kann.“ Etwa 50 Mitglieder aus dem Hegau stehen dann tatsächlich mit Kind und Kegel auf der Straße, ebenso 50 weitere aus Konstanz, die in der Bodensee-Metropole schon vor Jahren ihre Sportstätte verloren haben und seither als Gäste die Bahnen in Hilzingen mitbenutzen dürfen.

Das Bahnensterben, es hat sich längst als eigener Begriff etabliert. Im Schwarzwald traf es vergangenes Jahr die Kegler aus Wolterdingen bei Donaueschingen. Zwar gelang hier der Wechsel auf Bahnen nach Bad Dürrheim, die weiteren Anfahrtswege haben aber bereits für Rückzug der ersten Frauen-Mannschaft gesorgt. Zuvor machte bereits das Kegel-Center in Schwenningen mit zwölf Bahnen dicht. Heute steht auf dem Gelände eine Schreinerei. Und in Dittishausen bei Löffingen ist Ende dieser Saison Schluss, womit einmal mehr eine jahrelange Kegel-Tradition endet.
„Allein im Schwarzwald wurden in den vergangenen drei Jahren sieben Bahnen geschlossen“, erklärt Holger Zurek aus Bad Dürrheim, der Präsident der südbadischen Kegler. Die Mitgliederzahlen für ganz Deutschland belegen den Trend, in den vergangenen Jahren verlor der Verband über die Hälfte seiner Mitglieder. „In Singen gab es früher ein Dutzend Kegel-Clubs, heute sind es noch drei“, weiß auch Karl-Heinz Riedle, Chef der SKG 77. Die ungezählten Hobby-Runden, die früher einmal im Jahr angeblich einer Invasion gleich auf Mallorca einfielen und die Club-Kasse besser als jede Kegelstellung abräumten, sind in dieser Statistik noch gar nicht mit eingerechnet.
Kegeln ist eine uralte Sportart
Kegeln ist alt. Uralt. Grabbeigaben und Zeichnungen lassen vermuten, dass bereits 3500 Jahre vor unserer Zeitrechnung in Ägypten Kegel mithilfe eines Balles umgeworfen wurden. In Mitteleuropa ist das Freizeitvergnügen seit dem Mittelalter beliebt. Obwohl es wie die meisten Spiele als Gotteslästerung galt, wurde Kegeln selbst in Klöstern praktiziert und „Heidentöten“ genannt: die aufgestellten kurzen Holzsäulen symbolisierten heidnische Götter und Dämonen, die von den Mönchen mit Steinen oder Holzkugeln umgeworfen wurden. In den folgenden Jahrhunderten gab es eigene Kegel-Volksfeste, die Spiele unter freiem Himmel wurden schließlich von überdachten Anlagen und Bahnen in geschlossenen Räumen abgelöst, wo Kinder wie der junge Karl May die Kegel einzeln mit den Händen aufstellten – und dabei vielleicht auch von Amerika träumten. Es folgten elektrische Anlagen, bis vor wenigen Jahren gab es noch in fast jedem Dorf eine Wirtschaft mit Kegelbahn. „In Bayern und Württemberg sind viele Clubs auch Eigentümer ihrer Anlagen, bei uns sind die Bahnen dagegen meist in Privatbesitz“, weiß Zurek.
Wann der Niedergang genau begann, ist schwer auszumachen. Die Gründe sind dagegen so vielfältig wie vage und ein Teufelskreis. Je nach Auslegung führten entweder zu wenige Kegler dazu, dass viele Wirte ihre Bahnen verkommen ließen, zumal der zusätzliche Umsatz durch den Getränkekonsum kaum die Betriebskosten deckte. Umgekehrt verging manchem Hobbykegler die Lust auf alte Bahnen und düstere Keller, vor allem seit die in den USA beliebten Bowlingbahnen mit lauter Musik, Lichteffekten und ohne Vereinszwang bei der Jugend in Deutschland populär wurden.
Das klassische Kegeln nur noch eine Altherren-Veranstaltung?
Bruno Vonderach aus Lauchringen kann da kaum widersprechen, schließlich sind die beiden jüngsten Mitglieder seiner Hobbyrunde bereits über 50 Jahre alt. Die restlichen fünf gestandenen Männer sind deutlich älter, der Senior der Gruppe zählt 80 Jahre. Kegeln kann man eben bis ins hohe Alter. Bei den „Sandmännchen“ geht es aber auch weniger um sportliche Meriten, als „um den Plausch“. Jeden Freitag kegelt die Runde seit nun bald 50 Jahren mit viel Ehrgeiz im Gasthof Lauffen in Ettikon, einem Ortsteil von Kadelburg am Hochrhein. „Früher war es schwerer eine freie Bahn zu bekommen. Heute sind die Termine kein Problem mehr.“
Gespielt wird nach eigenen Regeln, die kaum etwas mit denen der Sportkegler zu tun haben. Es geht um Tagessiege und einen Wanderpokal, vor allem aber um Einzahlungen in die Clubkasse. „Seit 1974 haben wir jedes Jahr oder alle zwei Jahre einen Ausflug gemacht“, erzählt Vonderach. 20 Euro sind pro Mitglied im Durchschnitt jeden Freitag fällig. Damit wurden Städtereisen nach Prag, London oder Budapest finanziert, zuletzt führten Kreuzfahrten die Gruppe zu exotischeren Zielen, etwa nach Rio de Janeiro. Wie lange sie noch weiterkegeln wollen? „Schwer zu sagen“, sagt Vonderach. „Das 50-jährige Jubiläum in diesem Jahr machen wir noch voll, danach könnte dann aber auch Schluss sein.“ Man werde ja nicht jünger. Und eine der beiden Bahnen sei auch schon seit Jahren kaputt. Wenn die andere auch noch ausfallen sollte, wäre es das dann ohnehin gewesen.

Sportkegler könnten mit einer oder zwei Bahnen bereits nichts mehr anfangen. Für Wettkämpfe sind sanitäre Einrichtungen mit Duschen und mindestens vier nebeneinander liegende Bahnen vorgeschrieben. Und vieles mehr. „Das Bild vom verrauchten Kegelraum mit zechender Männerrunde gibt es beim Sportkegeln nicht. Hier wird nicht getrunken und nicht geraucht. Hier geht es um Sport“, sagt Nikolaus Maier, der 2. Vorsitzende der SKG Alle Neune Konstanz, während die letzten Kinder im Familienpark über ihm den Heimweg antreten. Es geht um Spitzensport, um genau zu sein. Bonndorfs Frauen-Team spielt in der Bundesliga, die beste Männer-Mannschaft der Region eben in Hilzingen in der 2. Bundesliga Südwest. Mehrstündige Autofahrten zu Auswärtsspielen sind normal, selbst in den unteren Klassen sind die Anreisezeiten enorm. Der Singener Daniel Schmid ist der amtierende Deutsche Meister und holte Rang zwei beim Weltpokal. Mehmet Scholl, ehemaliger Star des FC Bayern und begeisterter Hobby-Kegler, erklärte einst, dass eine Fußball-Partie schon sehr fordernd sei, „Muskelkater habe ich aber eher nach dem Kegeln.“ Holger Zurek weiß, warum: „Bei jedem Wurf muss das Vier- bis Fünffache des eigenen Körpergewichts abgebremst werden.“ Bei 120 Wurf pro Partie eine enorme Belastung.
In Singen und Konstanz hoffen sie noch auf ein Kegelwunder. „Wir stehen in Gesprächen mit der Stadt“, erklärt Karl-Heinz Riedle. Unter dem Hohentwiel gibt es seit Jahren Pläne für den Bau einer neuen Sporthalle. „Vielleicht ließe sich da auch eine Kegelanlage integrieren.“ Ob, wie und wann gebaut wird, ist aber ungewiss. Eine eigene Wettkampfstätte würde den Club etwa 600 000 bis 800 000 Euro kosten – pro Bahn also circa 20 000 Euro, dazu die Kosten für ein entsprechendes Gebäude. Bei einem Monatsbeitrag von 33 Euro pro Mitglied ist das ohne Investoren und Zuschüsse nicht zu stemmen.
Sollten sich also nicht weitere Kegler finden, die wie Gonschorek einfach heiß auf den Sport sind, wird bald Schluss sein. Etwas Hoffnung bleibt, denn abgeräumt wird im Kegeln eben erst, nachdem es in die Vollen ging.
Bowling oder Kegeln?
Beim Kegeln – international wird von Ninepin-Bowling gesprochen – wird auf Alle Neune gezielt, beim Bowling auf zehn Pins. Kegeln ist die ältere Variante, das Bowling entstand durch Europäer, die nach Nordamerika auswanderten, um dort ihr Glück – unter anderem wohl auch beim Kegeln um hohe Wetteinsätze – zu suchen. Wegen dieser Kegelwetten und der damit verbundenen Betrügereien wurde das Spiel mit der Kugel auf die neun Kegel im Land der unbegrenzten Möglichkeiten verboten – etwa 1837 in Connecticut. Kreative Kegler kamen damals auf die Idee, nunmehr auf zehn statt auf neun Kegel zu zielen und diese zehn Kegel nicht mehr in Rautenform, sondern in Form eines Dreiecks aufzustellen.
Aus den Kugeln wurden Bälle mit drei Löchern, aus den Kegeln wurden Pins, aus der beliebten Freizeitbeschäftigung Kegeln wurde Bowling.Die Sportkegel-Regeln
Eine Mannschaft besteht jeweils aus sechs Spielern. Jedem Spieler wird ein Gegner zugewiesen. Zu Beginn der Spiele werden 15 Wurf in die Vollen geworfen, nach jedem Wurf werden also alle neun Kegel wieder aufgestellt. Dann folgt das Abräumen, also 15 Wurf, bei denen alle neun Kegel erst wieder aufgestellt werden, wenn zuvor auch der letzte Kegel abgeräumt wurde. Das kann mehrere Würfe dauern. Danach ist ein Satz beendet, vier Sätze – also 120 Wurf – werden ausgespielt. Ein Satz darf nicht länger als zwölf Minuten dauern. Der Sieger erhält einen Teampunkt. Zwei weitere Punkte gehen an das Team, das insgesamt die meisten Kegel, auch Holz genannt, umwirft, was viele taktische Varianten ermöglicht. Es werden insgesamt acht Mannschaftspunkte vergeben. (sal)
„Kegeln ist einfach gnadenlos ehrlich“
Holger Zurek wohnt in Bad Dürrheim. Er ist seit zwei Jahren der Präsident des Sportkegler- und Bowlingverbands Südbaden. Der 46-jährige Versicherungs-Experte über die Krise seiner Sportart.
Herr Zurek, droht dem Kegel-Sport in der Region das Aus?
Das könnte man so sehen, allerdings gibt es auch gegenläufige Bewegungen, die uns Hoffnung machen. Einzelne Clubs wie der ESV Villingen oder die SKG 77 Singen machen eine tolle Jugendarbeit. Generell betrachtet haben wir da aber noch viel Nachholbedarf.
Warum ist das so?
In den vergangenen 20 Jahren wurde es einfach verpasst, flächendeckend den Nachwuchs zu fördern. Deshalb bekommen wir jetzt die Folgen der Überalterung der Gesellschaft beim Kegeln extrem zu spüren. Diese Sorgen habe aber auch andere Sportarten, sogar der Fußball. Überall auf den Dörfern wurden doch zuletzt Spielgemeinschaften gebildet, weil einzelne Vereine nicht mehr genügend Jugendliche für eigene Teams haben.
Ist Kegeln aus der Zeit gefallen? Einfach nicht mehr cool genug?
Das glaube ich nicht. Wir haben das Problem, dass Kegeln in der Öffentlichkeit zuletzt kaum noch wahrgenommen wurde. Aktuell sind Marketing-Strategien geplant, um das zu ändern, vor allem auch im Rahmen der Weltmeisterschaften, die in diesem Jahr in Dettenheim bei Karlsruhe stattfinden.
Wie wollen Sie junge Sportler zum Kegeln bringen?
Wir wollen die Kinder wieder direkt ansprechen, sie zum Training einladen, etwa über Schulturniere. Das ist ganz spannend zu beobachten: Wenn ein Kind das erste Mal auf einer Bahn steht, wenn die ersten Kegel fallen, dann findet es das sehr cool und geht begeistert nach Hause.
Warum ist Kegeln ein faszinierender Sport?
Das Spielsystem ist unheimlich spannend, fast alle Partien sind bis zum Schluss offen. Das Spiel an sich ist so facettenreich. Ich habe selbst früher in der Bundesliga und für die Nationalmannschaft gespielt, aber niemals Perfektion erreicht. Es geht immer bei Null los, man muss ständig weiterarbeiten, trainieren. Die Stimmung in den Kegelhallen ist toll, der Zusammenhalt und die Atmosphäre in den Clubs sind herausragend. Und dazu kommt, dass Kegeln auch eine Schule fürs Leben ist.
Inwiefern?
Die Kinder lernen Verantwortung zu übernehmen, weil sie Teil einer Mannschaft sind und fünf andere sich auf sie verlassen. Man kann sich nicht verstecken. Kegeln ist gnadenlos ehrlich, am Ende steht ein Ergebnis da und jeder weiß, ob man gut oder schlecht war. Wer sich hier durchsetzt, lernt etwas für das Leben.
Fragen: Dirk Salzmann
Adressen und Ansprechpartner von Clubs in der Region gibt es unter: www.skvs.de