Am Sonntag startet in Saint-Malo in der Bretagne die Route du Rhum. Es ist eine Einhand-Hochseeregatta, die alle vier Jahre über den Atlantik nach Point-à-Pitre auf Guadeloupe in der Karibik führt. 138 Boote, gesteuert von 131 Seglern und sieben Seglerinnen, passieren um 13.02 Uhr – damit die 13-Uhr-TV-Nachrichten in Frankreich das Ereignis direkt übertragen können – die Startlinie.
Die Route du Rhum ist ein Sprint im Nordatlantik, den die schnellsten Boote, die 32 Meter langen und 23 Meter breiten Ultim-Trimarane in sieben Tagen zurücklegen können. Dabei ist auch zum zweiten Mal der Deutsche Boris Herrmann. Er wurde 2018 mit seinem 60-Fuß-Einrumpfboot in seiner Klasse Fünfter. Das Boot, das 2016 gebaut worden war, ist auch jenes, mit dem er 2020/21 als erster Deutscher die Nonstop-Einhand-Weltregatta Vendée Globe ebenfalls als Fünfter abschloss. Dieses Jahr steuert er ein neues Boot über den Atlantik. Boris Herrmann hat es ganz nach seinen Vorstellungen mitkonzipiert, gebaut wurde es in Vannes in Frankreich. Die Route du Rhum ist die erste Einhand-Regatta, die Herrmann mit seiner neuen „Malizia-Seaexplorer“ bestreitet. Innerhalb der Imoca60-Klasse hat Herrmann damit reelle Chancen auf einen Podiumsplatz. Auch Isabelle Joschke, die neben der deutschen auch die französische Staatsangehörigkeit besitzt, darf man zum Kreis der Titelanwärter in der Imoca-Klasse zählen.
138 Teilnehmer und Deutschland kaum vertreten? Das mag verwundern, aber Deutschland bildet kaum eine Ausnahme. Von den 138 Teilnehmern sind 115 Franzosen. In der schnellsten Bootsklasse, den Ultim-Trimaranen, sind ausschließlich Franzosen am Start. Und seit 1978 gab es über alle Klassen hinweg nur drei Sieger, die nicht aus Frankreich kamen, darunter auch die Engländerin Ellen MacArthur.
„In Frankreich gibt es mehr diese Kultur von Heldentaten, bei uns sind sie sachlicher, nicht so romantisch.“ Das sagte Boris Herrmann bereits 2012 gegenüber dem SÜDKURIER beim Start der Vendée Globe. Und Jörg Riechers, der 2010 die Route du Rhum mitsegelte und damals in seiner Klasse Sechster wurde, sagte ebenfalls im SÜDKURIER-Interview: „Irgendwo lieben die Franzosen auch das Abenteuer. Alles, was extrem ist, wo man sich das Genick brechen kann, packen die Franzosen an.“
Riechers sagte aber auch noch etwas anderes: „Über Jahrhunderte hatten die Franzosen gegen die Engländer das Nachsehen auf dem Meer. Dadurch, dass ein Franzose (Eric Tabarly, Anmerkung der Redaktion) die Engländer auf ihrer Domäne, auf See, geschlagen hat, ist er ja auch gleich populär geworden.“
Eric Tabarly also. Er gewann im Jahr 1964 das ebenfalls alle vier Jahre stattfindende Ostar-Rennen von Plymouth in England nach Newport/Rhode Island vor dem Engländer Francis Chichester, dem Gewinner von 1960. In einer von vier US-amerikanischen Jachtclubs organisierten Videokonferenz, die auf YouTube zu verfolgen ist, und an der Denis Horeau, Renndirektor der Vendée Globe von 2004 bis 2016, und der amerikanische zweimalige Vendée-Globe-Segler (2008 und 2016) Rich Wilson teilnahmen, unterstrich Horeau, welche Bedeutung Tabarlys Sieg in der Folge hatte. Es sei auch ein „geopolitischer Sieg“ gewesen, so Horeau.
Frankreichs Staatspräsident von damals, Charles de Gaulle, verlieh Tabarly die Ehrenlegion. Nur 19 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hätten alle Siege über England und die USA Charles de Gaulle zum „glücklichsten Menschen der Welt“ gemacht. Tabarlys Boot mit dem Namen „Pen Duick“ war optimal für den Transatlantik-Regattabetrieb ausgelegt.
Eric Tabarly und Brigitte Bardot
Der attraktive muskulöse Eric Tabarly, den auch Brigitte Bardot beim Segeln einmal begleitet hatte, wurde zum Volkshelden. Er ist es heute immer noch, 25 Jahre nach seinem Unfalltod bei hoher See im Nordatlantik, als er bei einem Manöver seines Steuermanns von Bord geschleudert wurde und ertrank.
Durch Tabarlys Sieg und De Gaulles Ehrung, die frankreichweit für Schlagzeilen sorgte, entdeckten auch Sponsoren die Hochsee-Segler. Das Einhand-Segeln wurde populär und gerade für die Sponsoren wichtiger als das Segeln im Team, auf das die Segelnation England nach wie vor setzte.
In der Folge entstanden in Frankreich professionelle Segel-Trainingscenter wie das schon erwähnte Hochsee-Segelzentrum in Port-La-Forêt, in dem auch der zweifache Vendée-Globe-Sieger Michel Desjoyeaux und andere Spitzensegler trainiert hatten. Das Prinzip dieser Trainingscenter beschreibt Denis Horeau so: „Die Regel für jene, die dort trainieren wollen, ist, dass man seine Erfahrungen teilen muss.“ Das sei einer der Hauptgründe für den Segelerfolg in Frankreich.
Boris Herrmann hat das verstanden. Er ist der einzige Nicht-Franzose, der in Port-la-Forêt trainiert, abgesehen von der Engländerin Samantha Davies, die aber schon seit Langem in Frankreich wohnt und mit dem anderen Vendée-Globe-Segler Romain Attanasio zusammenlebt. Vier der sechs Vendée-Globe-Sieger seit dem Jahr 2000 haben dort trainiert. Die gleiche Bilanz ziehen wir bei der Route du Rhum.
Franzosen dominieren die Szene
Wie Eric Tabarly hat auch Boris Herrmann präsidiale Aufmerksamkeit bekommen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach mit Boris Herrmann nach dessen Ankunft bei der Vendée Globe 2021 und sagte einleitend: „Boris Herrmann hat nicht nur diese härteste Regatta der Welt beendet, er hat sich auch in die Herzen, und ich vermute, nicht nur der Deutschen, hineingesegelt.“
Ist er für die Deutschen nun das geworden, was Eric Tabarly für die Franzosen wurde?
Auf eine entsprechende SÜDKURIER-Frage noch vor dem Start der Vendée Globe vor zwei Jahren, antwortet Boris Herrmann: „Ein Eric Tabarly für Deutschland, das wäre ich gerne. Das wäre die größte Auszeichnung, die Sie mir verleihen könnten.“
Boris Herrmann und die Route du Rhum
- Zur Person: Der in Oldenburg geborene Wahl-Hamburger Boris Herrmann ist der wohl beste deutsche Hochsee-Sportler. Bekannt wurde Herrmann, als er 2019 – selbst seit Jahren engagiert im Kampf gegen die Erderwärmung – die Klimaaktivistin Greta Thunberg in seinem Segelboot zum UN-Klimagipfel in New York über den Atlantik fuhr. Zum Medienstar entwickelte er sich Ende 2020/Anfang 2021, als er als erster Deutscher bei der Vendée Globe, der härtesten Einhand-Regatta der Welt, startete und das internationale Publikum per Videos an seinen Erlebnissen teilhaben ließ. Herrmann hatte beste Chancen auf einen Podestplatz, ehe er nach fast 40 000 km um die Erde wenige Stunden vor der Zieleinfahrt in Les Sables d‘Olonne mit einem Fischtrawler kollidierte und letztendlich Fünfter wurde.
- Die Route du Rhum: Die Segelregatta findet seit 1978 alle vier Jahre zwischen Saint-Malo in der Bretagne und Point-à-Pitre auf Guadeloupe in der Karibik statt. Start ist am 6. November, 13.02 Uhr. Es ist eine Einhand-Regatta: Das heißt, die Segler sind jeweils allein auf ihrem Boot. 2022 starten 138 Boote in sechs Klassen:
Ultim 32/23: Trimaran, 32 Meter lang, 23 Meter breit. Schnellste Bootsklasse. Dieses Jahr sind acht Boote am Start. Sieger von 2018: Francis Joyon in sieben Tagen, 14 Stunden, bisher Rekordhalter auf dieser Strecke.
Imoca 60: Einrumpfboote, 60 Fuß lang (18,28 m), Masthöhe 28 Meter. 37 Boote am Start, u. a. mit Boris Herrmann und Isabelle Joschke. Sieger 2018: Paul Meilhat (zwölf Tage, elf Stunden).
Ocean Fifty: Trimaran, 50 Fuß, (15,23 m). Zehn Boote. Sieger 2018: Armel Tripon (elf Tage, sieben Stunden).
Class 40: Einrumpfboote, 40 Fuß lang (12,18 Meter). 55 Boote am Start. Sieger 2018: Yoann Richomme (16 Tage, drei Stunden).
Rhum Mono: Mischklasse von Einrumpfbooten zwischen 40 und 60 Fuß Länge, zum Teil historische, zum Teil Prototypen, Baujahre: 1967 bis 2011. 16 Boote am Start. Sieger 2018: Sidney Gavignet (16 Tage, elf Stunden).
Rhum Multi: Mischklasse von Catamaran und Trimaran, 64 Fuß lang (19,50 m) oder kürzer. Sieger 2018: Pierre Antoine (15 Tage, eine Stunde). (wal)