Segeln: Die Nachmittagssonne scheint auf das Gelände des Jollenclubs Reichenau. Zwei Mädchen trimmen eine 420er-Jolle, ein kleines Zwei-Mann-Segelboot, für die passende Windstärke, rollen die Segel aus und ziehen sie hoch. Die zwei, das sind die 16-jährige Markelfingerin Amelie Rinn und ihre 15-jährige Teamkollegin Amelie Wehrle von der Reichenau.
Die beiden bereiten das Boot vor fürs Training ihrer Vereinskollegen. Ihr eigenes Boot der selben Klasse ist bereits verladen, denn für sie geht es nach Schwerin. Dort finden in wenigen Tagen die WM- und EM-Ausscheidungen für das kommende Jahr statt. Mit dabei sind die beiden Amelies, die neuen Shooting-Stars im deutschen Segelsport.
Im Oktober ins Nationalteam
Dabei sind sie gerade erst zurück von den Landesjugendmeisterschaften in Überlingen, die sie zum zweiten Mal in Folge gewonnen haben. „Es war gar nicht so schwierig, wir hatten nicht die größte Konkurrenz, außer ein starkes Team aus Stuttgart“, sagt die 15-jährige Amelie Wehrle, die als Steuerfrau das größte Segel der Jolle bedient.
Vizeweltmeister in der 420er-Zweierjolle
Es ist nicht der erste Erfolg der beiden Mädchen: Bei ihrer ersten internationalen Regatta in diesem Jahr wurden sie Vizeweltmeister in der 420er-Zweierjolle, zudem sind sie im Juni in Portugal U17-Europameister geworden – und im Oktober wird vermutlich die Aufnahme ins deutsche Nationalteam folgen.

Die beiden Amelies mischen den internationalen Segelsport auf. Und das, obwohl sie verglichen mit ihrer älteren und auch männlichen Konkurrenz deutlich kleiner und leichter sind – ein Nachteil bei starkem Wind. Warum sind sie trotzdem so erfolgreich? „Die Taktik macht‘s aus, und dass wir zusammenhalten und als Team arbeiten“, erklärt Amelie Wehrle. Ihre Partnerin aus Markelfingen ergänzt: „Wir verstehen uns auf dem Boot blind. Wenn Amelie wenden will, weiß ich das oft schon.“
Einträge in Goldene Bücher
Einträge ins Goldene Buch von Radolfzell und der Reichenau waren die Belohnung. „Das ist etwas Besonderes, nicht jeder darf das“, freut sich Amelie Rinn, die als Vorschoterin das Boot hält und die kleineren Segel bedient. Mit den Erfolgen gerechnet haben sie nicht, als sie vor etwa zwei Jahren begannen, zusammen zu segeln.
Erster gemeinsamer Start in Überlingen
Amelie Wehrle brauchte damals eine neue Partnerin für die Zweierjolle, ihre bisherige hatte Angst bei starkem Wind. „Daher haben wir Amelie angefragt, die ich vom Segeln in anderen Klassen schon kannte“, erklärt sie. Es folgte der erste gemeinsame Start bei der Sonnenfischregatta in Überlingen, dann kamen gemeinsame Trainings, die Landesjugendmeisterschaft und größere Regatten. „Seither läufts“, sagt Amelie Rinn lachend, die wie ihre Teamkollegin schon mit sechs oder sieben Jahren das erste Mal in einem Boot saß.
Bei der Weltmeisterschaft seien sie von unten hochgekommen, als Außenseiterinnen. Sie erinnert sich: „Wir hatten schon Ziele, aber wir wollten vor allem Spaß haben und hätten nicht gedacht, direkt am ersten Tag einen Rennsieg einzufahren.“ Am Ende gab es Silber, als jüngste Teilnehmer. „Das hat uns gepusht, und jetzt sind wir hier“, ergänzt ihre 15-jährige Teamkollegin.
Freiheit auf dem Wasser
„Hier“ bedeutet auf dem Gelände des Jollenclubs Reichenau, wo beide Mitglied sind – meist bedeutet es jedoch auf dem Wasser. „Dort spüre ich Freiheit, vor allem für mich als Vorschoterin, wenn ich am Trapez übers Wasser hänge und nur knapp über die Oberfläche fliege“, beschreibt Amelie Rinn das Besondere am Segeln. Und es sei cool, ergänzt Amelie Wehrle, „dass man auf dem Wasser alleine mit den anderen Booten und dem Trainer ist. Es gibt keine Teamkollegen, keine Zuschauer, die ungewollte Tipps geben. Wir sind auf uns alleine gestellt und können entscheiden, wie wir alles hinbekommen.“
Auch wenn sie gerade mal nicht segeln, sind die beiden sehr aktiv. Amelie Rinn spielt zweimal pro Woche Volleyball, zudem Klavier. In anderthalb Jahren steht das Abitur am Biotechnologischen Gymnasium für sie an. Amelie Wehrle, die noch Leichtathletik macht, strebt in diesem Jahr ihren Realabschluss an.
Wie lässt sich das mit Spitzensport vereinbaren? „Wir trainieren unter der Woche fast gar nicht, meist nur in den Schulferien oder direkt vor großen Regatten“, erklärt die 15-Jährige. Doch wenn eine solche ansteht, bekommen sie auch mal zwei Wochen frei – müssen Stoff und Klausuren dann aber nachholen. „Einfach ist das nicht, aber das geht allen Seglern so“, sagt Amelie Wehle.
Spaß steht im Vordergrund
Nun geht es für die beiden zu den vier Ausscheidungs-Regatten für die WM und EM 2023. Zunächst in Schwerin, dann in Warnemünde. „Nach unseren Erfolgen fahren wir als Mitfavoriten dorthin, wir wollen gewinnen“, so Amelie Rinn. Dazwischen nehmen sie an kleineren Regatten und Trainings teil, im kommenden Sommer geht es vermutlich zur EM, WM und Jugendolympiade – ein jährlicher Kreislauf.
In der 420er-Klasse können die beiden noch fahren, bis sie 18 oder 19 Jahre alt sind. Für größere Klassen wie die 470er-Jolle oder die 49er-FX, die auch olympisch sind, sind die beiden noch zu leicht. Lebt der Olympia-Traum trotzdem? Soweit denken sie nicht voraus. „Wir schauen nur auf die nächste Herausforderung. Uns geht es vor allem um den Spaß, wir gehen an alles ohne Druck heran“, sagen die beiden Amelies.