Als Lucas Höler Dienstagnacht gegen 23 Uhr aus der Kabine kommt, wirkt er nicht wie der große Freiburger Held, der eine knappe halbe Stunde zuvor mit seinem Elfmetertor in der letzten Minute der Nachspielzeit den FC Bayern München aus dem DFB-Pokal gekegelt hat. Glücklich, aber völlig erschöpft tritt der 28-Jährige vor die Presse.

Der Stürmer des SC Freiburg hat kein Konfetti in den Haaren, riecht nicht nach Bier oder Schampus, noch nicht einmal die roten Kickschuhe hat er ausgezogen. Partystimmung? Von wegen. „Wer heute noch feiern kann, der hat nicht alles gegeben“, sagt er mit müden Augen. „Wir sind richtig kaputt.“

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„#gewinnerbleibt“ steht auf einem Werbebanner neben dem Siegtorschützen in der Interviewzone. Nach dem 2:1 (1:1)-Triumph in der Allianz Arena, dem ersten Freiburger Sieg überhaupt in München, ist das Unvorstellbare passiert. Die Breisgauer dürfen weiter vom Pokaltriumph träumen, der Rekordgewinner mit 20 Titeln ist raus. „Ich bin megahappy und megastolz. Wir haben so lange darauf hingearbeitet, hier mal zu gewinnen“, sagt Nicolas Höfler, der sein Team nach dem Rückstand durch Dayot Upamecanos Kopfballtor (19.) mit einem fulminanten Distanzschuss zum 1:1 (27.) zurück ins Spiel gebracht hatte. „Ein Weltklassetor“, so Kapitän Christian Günter. „In München gegen die Bayern ein Tor zu schießen und dann auch noch aus der Distanz, für mich natürlich überragend“, sagt Höfler.

Lauter Jubel in den Katakomben

Noch lange nach der Partie warten viele der Freiburger Fans unter den 75 000 Zuschauern geduldig auf ihre Könige der Nacht. Wann immer einer der Gästespieler die Frage-Antwort-Runde beendet und die Tür sich öffnet, hallt lauter Jubel bis in die Katakomben.

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Die Münchner Führungsspieler wie Joshua Kimmich dagegen stellen die Mentalitätsfrage. „Man hat bei uns das Gefühl, dass es ein Tick zu wenig ist. Ein Tick zu wenig Leidenschaft, ein bisschen zu wenig Emotion“, sagt der Nationalspieler. „Es scheint uns nicht unbedingt zu motivieren, wenn wir Titel verspielen.“ Sein neuer Trainer Thomas Tuchel, der wegen „gefährdeter Saisonziele“ auf Julian Nagelsmann folgte, spricht von einem „sehr bitteren Abend“, an dem sein Team dominant auftritt, aber nur zu wenigen zwingenden Chancen kommt.

SC Freiburg geht ohne Druck in nächstes Duell

Die Freiburger dagegen gehen ohne Druck in die Partie. „Wir hatten einen richtig guten Plan, haben uns nicht aus der Ruhe bringen lassen, als das blöde Standardtor kam“, sagt Höler, der als Angreifer den ersten Freiburger Verteidiger gibt. Auch als die Bayern in der zweiten Hälfte „wie beim Handball“, so SC-Trainer Streich, den Gästestrafraum belagern.

„Wenn du hier was holen willst, brauchst du auch das nötige Glück in den entscheidenden Situationen“, sagt Matthias Ginter, der nun mit drei verschiedenen Vereinen – Borussia Dortmund, Borussia Mönchengladbach und eben Freiburg – den großen FC Bayern im Pokal besiegt hat. „Wir haben immer wieder mal mit dem letzten Schritt einen Ball geblockt oder einen Zweikampf gewonnen. Das war für uns überlebenswichtig“, fährt Ginter fort. Wie wenige Sekunden vor der Halbzeitpause, als er selbst in höchster Not gegen Thomas Müller klärt.

Brutale Enttäuschung in München

Der Münchner spricht danach von „brutaler Enttäuschung. Man steht jetzt da mit diesem Scherbenhaufen und weiß, für dieses Jahr ist es wieder vorbei im DFB-Pokal. Das kratzt natürlich am Ehrgefühl“, erklärt der 33-Jährige eine Woche vor dem Champions-League-Duell mit Manchester City und wenige Tage vor dem nächsten Aufeinandertreffen mit den Freiburgern.

Für Christian Streich wird dann im heimischen Europa-Park-Stadion die Frage sein, „ob wir das kräftemäßig noch mal hinbekommen. Wenn wir ein gutes Spiel zeigen, dann bin ich zufrieden. Du kannst nicht immer gewinnen gegen die Bayern.“ Bei Lucas Hölers Siegtor hat der Freiburger Trainer sogar „gehofft, dass er keinen Krampf bekommt, so viel wie er gelaufen ist“.

Höler bleibt vom Punkt cool

Nachdem Höfler Jamal Musiala den Ball an den ausgestreckten Arm geschossen hat, verkrampft Höler vom Elfmeterpunkt jedoch nicht. Im Gegenteil: Er bleibt cool. „Ich habe einfach gedacht: Mach dich nicht verrückt, kurzen Anlauf, knallste ihn oben links rein.“ Gesagt, getan. Der Rest sind Freiburger Glücksgefühle – auch wenn die nicht alle gleich ausleben.

Christian Streich etwa steht ganz ruhig, mit verschränkten Armen da. „Ich habe schon gejubelt, ich habe nur nicht die Hände hochgerissen“, sagt der 57-Jährige. „Ich habe mich schon gefreut.“ Wahrscheinlich ist er an diesem historischen Abend auch einfach richtig kaputt wie sein Siegtorschütze Höler. Schließlich ist der Freiburger Coach dafür bekannt, immer alles zu geben.