Ilkay Gündogan und Leon Goretzka? Joshua Kimmich und Goretzka? Goretzka und Gündogan? Als deutsche Fußball-Fans und Experten noch vor einem halben Jahr über das bestmögliche Doppel-Sechs-Paar für der Heim-Europameisterschaft spekuliert und diskutiert hatten, war es meist eines dieser drei Duos, das favorisiert worden war.

Doch als im Februar Toni Kroos seine Rückkehr in die deutsche Nationalmannschaft bekannt gab, wurden die Karten neu gemischt. Bundestrainer Julian Nagelsmann stellte derweil klar, dass er bei der EM nicht ausschließlich die besten Spieler aufstellen wird, sondern einen Kader formen will, der zusammenpasst – was sich vor allem auch auf das zentrale Mittelfeld bezog, wo es in der Vergangenheit oftmals an Stabilität mangelte.

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Was nach und nach deutlich wurde: Kimmich wird als Rechtsverteidiger agieren, Goretzka spielt in den Planungen von Nagelsmann keine Rolle und Gündogan soll nicht neben Kroos spielen, weil er ein zu ähnlicher Spielertyp ist, sondern weiter vorne.

Weil Kroos direkt gesetzt war, brauchte es noch einen passenden Partner für den 34-Jährigen. Längst steht fest: Robert Andrich ist dieser Mann. Der 29-Jährige ist der Bodyguard, der neben dem Titelsammler von Real Madrid für die Balance und körperliche Präsenz sorgt. „Das ist Robs Spiel, das brauchen wir auch. Wir haben viele Feingeister, da brauchen wir auch welche, die dazwischenpflügen“, sagt der Bundestrainer über seinen Abräumer.

2018 noch bei Wehen Wiesbaden

Stammspieler bei der Heim-EM, der auch im heutigen Achtelfinale gegen Dänemark (21 Uhr/ZDF) wieder eine wichtige Rolle einnehmen wird: Wer hätte das gedacht? Andrich ist schließlich ein Spätzünder. Es ist eine unfassbare Reise, die er bereits jetzt hinter sich hat. Und eine Entwicklung, die seinesgleichen sucht.

Zwischen 2016 und 2018 spielte er noch bei Wehen Wiesbaden, es folgte der Wechsel zum 1. FC Heidenheim, den er nach einer Saison Richtung Union Berlin verließ. Erst am 18. August 2019, als er also schon fast 25 Jahre alt war, gab Andrich bei der 0:4-Niederlage gegen RB Leipzig sein Debüt in der Bundesliga, in Deutschlands höchster Spielklasse.

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Andrich steigerte sich immer mehr, vor dem 2. Spieltag der Spielzeit 2021/22 ging es für den Defensivallrounder zu Bayer Leverkusen, seine erste Station bei einem Spitzenclub. Schnell fand er sich zurecht, sein absoluter Durchbruch folgte dann in der vergangenen Runde: Im November 2023 gab er bei der Niederlage gegen Österreich im Alter von 29 Jahren sein Debüt für die Nationalmannschaft. Mit seinem Club wurde er Deutscher Meister sowie DFB-Pokalsieger, in der Europa League scheiterte die Werkself erst im Finale an Atalanta Bergamo. Was für ein steiler Aufstieg!

Fast das erste Länderspieltor

Auch bei der Heim-EM ist Andrich ein entscheidender Faktor. Der 29-Jährige hält Kroos den Rücken frei, setzt aber auch Akzente. „Ich versuche, der Mannschaft Halt zu geben, wenn es um Ballverluste geht und gewisse Spieler von gegnerischen Mannschaften aus dem Konzept zu bringen, aber auch mit meiner fußballerischen Qualität torgefährlich zu sein“, beschreibt er selbst seine Rolle.

Ein großer Vorteil des Leverkuseners: Seine Flexibilität. Beim 1:1 gegen die Schweiz im letzten Gruppenspiel passte Bundestrainer Julian Nagelsmann aufgrund der Spielweise der Eidgenossen das eigene System an. Andrich agierte im Spielaufbau plötzlich zwischen den Innenverteidigern Jonathan Tah und Antonio Rüdiger. Nichts Neues für ihn, die Rolle im Zentrum einer Fünfer-Kette kennt er aus dem Verein. Und trotzdem tauchte er auch vor dem gegnerischen Strafraum auf, erzielte sogar sein vermeintliches erstes Länderspieltor.

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Sein Treffer aus der Distanz, der die Führung bedeutet hätte, wurde allerdings nach einem VAR-Eingriff aufgrund eines Fouls von Jamal Musiala zurückgenommen. „Es ist brutal ärgerlich. Ich hätte mich über mein erstes EM-Tor riesig gefreut“, sagte Andrich, der einen Nachteil hat bei der EM: Schon im ersten Vorrundenspiel gegen Schottland kassierte der Mittelfeldmann eine Gelbe Karte.

In einem möglichen Viertelfinale, in dem Deutschland bei einem Erfolg gegen die Dänen auf Spanien oder Georgien treffen würde, wäre Andrich bei einer weiteren Verwarnung gesperrt. Zukunftsmusik. Zumal die Verwarnung für Nagelsmann kein Grund ist, Andrich „zu bremsen“. Der Bundestrainer habe diese „Galligkeit und Ekligkeit“ von seinem Abräumer eingefordert. Und die braucht die deutsche Nationalelf freilich auch gegen Dänemark.