Als Trainer ist Julian Nagelsmann kein Fan von individuellen Auszeichnungen wie die zum Spieler des Spiels: „Ich bin froh, dass ich so eine Wahl nicht machen muss. Ich will mich da nicht festlegen“, sagte der Bundestrainer nach dem furiosen 5:1-Auftaktsieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der Heim-Europameisterschaft – angesprochen auf den Gala-Auftritt von Jamal Musiala.

Verständlich. Schließlich sorgte beim nie gefährdeten Erfolg durch Tore von Florian Wirtz (10. Minute), Musiala (19.), Kai Havertz per Foulelfmeter (45.+1) und den Jokern Niclas Füllkrug (68.) und Emre Can (90.+3) das starke Kollektiv für eine große EM-Party in der Münchner Allianz Arena.

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Kapitän Ilkay Gündogan ließ seine Kritiker verstummen, holte einen Strafstoß heraus, leitete das 2:0 überragend ein, legte zudem artistisch zum 4:0 ab. Toni Kroos dirigierte im Mittelfeld gegen überforderte Schotten mit herausragender Passquote, Antonio Rüdiger und Jonathan Tah verteidigten so, dass Torhüter Manuel Neuer einen ruhigen Abend erlebte. Die Dortmunder Joker Füllkrug und Can brauchten gar keine Anlaufzeit, trafen prompt.

Eigentlich fiel kein deutscher Kicker ab. Und doch es ist neben Wirtz, der wie schon beim Testspielsieg gegen Frankreich einen frühen Treffer erzielte, eben Jamal Musiala, der zurecht zum Spieler des Spiels gewählt wurde. Weil er das gewisse Etwas hat, weil er für magische Momente sorgt. So auch beim höchsten Sieg eines Eröffnungsspiels der EM-Geschichte.

Spiel seines Lebens?

Der Münchner bejahte auch ohne langes Nachdenken die Frage, ob er beim EM-Start das Spiel seines Lebens gemacht hatte. „Das kann man schon sagen“, sagte der 21 Jahre alte Offensivmann des FC Bayern. Kein Wunder, denn Musiala war von Beginn an nicht zu stoppen. Seine Ballführung: elegant. Seine Antritte: unwiderstehlich. Seine Finten: nicht zu verteidigen. Zusammengefasst: Weltklasse.

Die schottischen Journalisten auf der Pressetribüne kamen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Als Musiala bei seiner Auswechslung von den Zuschauern im Stadion lautstark gefeiert wurde, klatschten einige sogar mit. „Heim-EM, erstes Spiel, wir wollten gut starten. Ich bin einfach happy, dass wir so viele Tore geschossen haben. Wir können in die nächsten Spiele mit Selbstbewusstsein reingehen“, sagte Musiala.

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Allen voran er selbst. Musiala gilt trotz seines jungen Alters in der Nationalmannschaft schon länger als Hoffnungsträger, in der Vergangenheit wirkte er aber immer wieder glücklos. Gerade beim vergangenen Turnier in Katar, bei dem er aus deutscher Sicht einer der wenigen Lichtblicke war, aber nicht effektiv.

„Bei der WM sind die Bälle nicht reingegangen. Ich bin happy, dass er jetzt reingegangen ist“, sagte er zu seinem Treffer zum 2:0, den er mit Überzeugung erzielte – ein gekonnter Haken und ein wuchtiger Abschluss unter die Latte. „Jamal hat es sehr gut gemacht in allen Bereichen“, lobte ihn der Bundestrainer, der ebenfalls an die fehlende Effizienz von Musiala in Katar erinnerte: „Das hat genagt an ihm.“

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Die Vergangenheit ist jetzt abgestreift – und der Knoten im DFB-Dress endgültig geplatzt? Löst dieser Auftritt Fesseln für den weiteren Turnierverlauf? „Es war ein gutes Zeichen“, sagte Musiala, von ihm und der gesamten Mannschaft. Doch es war eben auch nur ein erster Schritt, gegen einen vollkommen unterlegenen Gegner. Musiala, der sich für die Heim-EM viel vorgenommen hat, wollte daher den Moment auch gar nicht allzu lange genießen: „Wir wollen dasselbe machen am Mittwoch“, kündigte er mit Blick auf das zweite Gruppenspiel in Stuttgart gegen Ungarn um 18 Uhr an.

Ungarn „mit klaren Abläufen“

Nagelsmann erwartet ein deutlich schwierigeres Duell: „Das ist ein eingespielter Haufen. Ungarn hat klare Abläufe, aber auch viele Freigeister wie Dominik Szoboszlai, die schwer zu greifen sind. Trotzdem wollen wir ein ähnliches gutes Spiel machen.“ Dafür braucht es unter anderem eine weitere Topleistung von Musiala. Wie sagte Darmstadts Trainer Thorsten Lieberknecht, als Musiala vor drei Monaten seine Mannschaft im Bundesliga-Duell vor unlösbare Probleme stellte?

„Deutschland und die Nationalmannschaft können sich glücklich schätzen, dass wir so einen Spieler haben. Er wird die Mannschaft mit zur Europameisterschaft führen, wenn sie nicht sogar Europameister wird mit ihm.“ Es gibt wohl kaum einen deutschen Anhänger, der Lieberkecht widersprechen möchte. Auch Julian Nagelsmann nicht, der als Bundestrainer wohl trotzdem kein Fan von individuellen Auszeichnungen wird.