Frau Neumann, Sie sind auch bei der Frauenfußball-EM wieder als Kommentatorin im Einsatz. Wie wichtig ist Ihnen die Vorbereitung auf ein Spiel?

Claudia Neumann: Die Vorbereitung ist echte Fleißarbeit und man macht da viel mehr, als man tatsächlich verwendet. Ich würde aus meiner Erfahrung heraus sagen: Im Schnitt brauche ich während der Livesendung nur zehn bis 20 Prozent von dem, was ich mir in der Vorbereitung erarbeitet habe. Also insofern macht das schon den Hauptteil der Arbeit aus, da decken sich meine Erfahrungen mit denen vieler Kolleginnen und Kollegen. Ich bin schon locker zwei bis drei Tage mit einem Spiel beschäftigt, das ich kommentiere.

Wann wird das vorbereitete Wissen über Taktik und Spieler besonders wichtig?

Neumann: Wenn das Spiel mau ist und auf dem Platz nicht viel passiert. Am häufigsten greift man auf die vorbereiteten Unterlagen zurück, wenn das Match keine Ereignisdichte hat. Wenn man die Spielsituation, wie sie sich darstellt, schon dreimal analysiert hat und es ändert sich auch nicht mehr viel daran. Dann ist man irgendwann in der Wiederholungsschleife und dann ist es gut, zur Unterhaltung der Zuschauenden ein paar Abstecher zum vorbereiteten Material zu nehmen. Das sollte aber nie zu weit weg vom Fußball oder den Spielerinnen führen. Wenn es auf dem Platz dagegen intensiv zugeht, dann sind diese Geschichten nicht relevant.

Wie bereiten Sie sich konkret vor?

Neumann: Ich recherchiere alles, was ich zu den Mannschaften und Spielerinnen bekommen kann. Das war bis vor ein paar Jahren übrigens noch gar nicht so einfach beim Frauenfußball, weil es wenig verlässliche Quellen gab. Wann immer möglich, spreche ich vor einem Spiel aber auch mit Verantwortlichen oder Beteiligten. Allerdings ist das mittlerweile im Frauenfußball auch nicht mehr so einfach wie zu früheren Zeiten. Da konnte man sich im Vorbereitungslager noch völlig ungezwungen mit praktisch jeder Spielerin treffen, um ein paar Takte zu reden. Das funktioniert so nicht mehr, weil die Abläufe professioneller, zeitintensiver geworden sind. Dafür habe ich zwar Verständnis, aber schade ist es trotzdem.

Kommentieren Sie ein Spiel der Frauen anders als eines der Männer?

Neumann: Nein. Das Kommentieren ist klassisches journalistisches Handwerk, und dessen bediene ich mich sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern. Da gibt es keinen Unterschied. Anders verhält es sich bei unterschiedlichen Wettbewerben. Wenn ich beispielsweise ein Männerspiel der Champions League kommentiere, dann weiß ich, da sitzt ein absolutes Fachpublikum vor dem Bildschirm, das sich bestens auskennt. Denen muss man nicht mit allgemeinen Zusammenhängen, Einordnungen kommen. Bei einer Fußball-EM der Frauen sitzen erfahrungsgemäß viele vor dem Fernseher, die sich vielleicht nicht so gut auskennen. Da empfiehlt sich die ein oder andere Erklärung, um ihnen ein gutes Gesamtbild zu liefern. Was manche Experten und Expertinnen dann natürlich verärgert. (lacht) Eine unauflösbare Krux.

Sie werden von Zuschauern zuweilen heftig kritisiert, wenn Sie Spiele kommentieren. Wie gehen Sie damit um?

Neumann: Diese Frage habe ich gefühlt schon hundertmal beantwortet, selten was Neues hinzugefügt. Was ich nicht verändern kann, beschäftigt mich nicht weiter. Ich investiere keinerlei wertvolle Energie in derartige Überlegungen.

In den vergangenen Jahren hat der Frauenfußball ungemein an Popularität gewonnen. Warum ist das so?

Neumann: Erstens hat der Frauenfußball enorm an Qualität gewonnen. Hinsichtlich Tempo, Technik und Taktik hat es rasante Fortschritte gegeben. Die Spitze ist breiter geworden, selbst vermeintlich kleine Nationen spielen mittlerweile stark gegen den Ball und machen es den Großen deutlich schwerer. Spielstarke Teams, allen voran Spanien, haben zudem auch ihr Spiel mit dem Ball extrem verfeinert. Zudem wird der Frauenfußball viel aktiver vermarktet als früher. Wobei sich die Verantwortlichen im Frauenfußball offenbar noch gar nicht darüber im Klaren sind, was letztendlich entstehen soll.

Wie meinen Sie das?

Neumann: Die Frage ist: Soll sich der Fußball der Frauen so entwickeln wie der der Männer oder darf er einen eigenen Weg gehen? Ich persönlich würde mich freuen, wenn es bei den Frauen in eine etwas andere Richtung geht und das Erlebnis familiärer, nahbarer bleibt. Das heißt nicht, dass man sich nicht weiter professionalisiert. Im Gegenteil, es braucht bessere infrastrukturelle Voraussetzungen, um die Qualität in der Bundesliga zu verbessern, den Wettbewerb spannender zu gestalten.

Glauben Sie, dass sich die totale Kommerzialisierung im Frauenfußball überhaupt noch verhindern lässt?

Neumann: Ich glaube schon. Aber man müsste sich auf verantwortlicher Seite erst einmal darauf verständigen, wo es überhaupt hingehen soll, dann könnte man die entsprechenden Pflöcke auch rechtzeitig einschlagen. Es braucht einen Plan und dann vor allem Einigkeit bei Vereinen und Verbänden.

Und wer gewinnt die anstehende EM?

Neumann: Zu den engsten Favoriten gehören Spanien, England und Frankreich. Außerdem traue ich Deutschland den Titel nach den jüngsten Eindrücken durchaus zu. Ich finde die Kader-Zusammenstellung absolut nachvollziehbar, weil ich auch den perspektivischen Ansatz wichtig finde. Deutschland hat Potenzial, braucht aber unbedingt mehr Konstanz und Widerstandsfähigkeit als bei der letzten WM und überwiegend in den Folgemonaten.

Interview: Martin Weber