Thomas Tuchel ist für die Bayern ein Coup, findet Sportredakteur Julian Widmann
Völlig zurecht hat der Nagelsmann-Rauswurf beim FC Bayern für Unverständnis bei Fans und Experten gesorgt. Aber mal abgesehen von der Frage, ob die Freistellung des 35-Jährigen nun richtig war oder nicht: Mit Thomas Tuchel haben sich die Münchener den wohl begehrtesten Mann des Trainermarktes geschnappt – ein Coup!
Dem 49-Jährigen wird oftmals vorgeworfen, er sei kein Menschenfänger. Zu seinen Spielern entwickle er keinen Draht, er spreche kaum mit ihnen, sei kalt. Zudem könne er mit Vereinsbossen nicht umgehen, da er sich nicht einordnen wolle. Ja, Thomas Tuchel ist meinungsstark. Ein Coach, der weiß, was er will.
Einer, der eine sehr genaue Vorstellung davon hat, wie seine Mannschaft Fußball spielen soll. Und einer, der seine Spieler bis ins letzte Detail fördert und fordert, um das Maximale herauszuholen. Hätte ein Coach ohne Teamplayer-Gedanken und mangelnder Empathie im vergangenen Jahrzehnt so erfolgreich arbeiten können?
Mit dem FC Chelsea gewann er 2021 die Champions League – ohne echten Stürmer. Favorit waren die Londoner mit ihrem damaligen Kader keinesfalls, verdient war der Triumph aber allemal. Auch und vor allem dank Tuchel! Es verwundert kaum, dass viele Chelsea-Fans immer wieder seine Rückkehr forderten. Seine Entlassung in London bleibt ein Rätsel.
Gleiches gilt für seine Freistellung bei Paris Saint-Germain. Welcher seiner Vorgänger und Nachfolger hatte das Star-Ensemble um Messi, Mbappé und Neymar besser im Griff als er? Keiner. Keiner war am Königsklassen-Titel näher dr
an. Keiner wirkte im Pariser Haifischbecken souveräner. Seine Verdienste in Mainz sind sowieso unumstritten. Und mit Borussia Dortmund wurde er DFB-Pokalsieger und mit 78 Punkten bester Vizemeister der Bundesliga-Geschichte.
Thomas Tuchel bringt zweifelsfrei alles mit, um mit den Voraussetzungen in München eine Ära zu prägen!
Es wird nicht bessser werden, meint Sport-Chef Dirk Salzmann
Thomas Tuchel wird bei den Bayern genauso scheitern wie bei seinen vorherigen Stationen in Dortmund, Chelsea und Paris. Tuchel wurde stets gegangen, wie es in der Fußballersprache heißt, wenn der Club-Vorstand vom ersten Übungsleiter nichts mehr wissen will.
In Dortmund gab es unterschiedliche Meinungen, wie mit dem Folgen des Bus-Attentats vorm Monaco-Spiel umzugehen sei, in Paris kam der 49-Jährige nicht mit dem Sportdirektor klar, bei Chelsea soll es Ärger wegen der Kaderplanung gegeben haben. Der Eindruck mag täuschen, aber Tuchel scheint immer nur dann ein Teamplayer zu sein, wenn alle seiner Meinung folgen.
Vielleicht braucht es in diesem Job ein solches Selbstbewusstsein, vielleicht braucht es eine gewisse Sturheit, aber ein gewisses Maß an Diplomatie muss ein Bayern-Trainer mitbringen. Auf der Ehrentribüne sitzen hier immerhin gleich ein Dutzend Ex-Kicker, die in ihrer Vita ähnliche oder größere Erfolge als Thomas Tuchel stehen haben. Und die reden alle gerne mit – intern, extern, überall. Überhaupt, die Erfolge: Selbst eingefleischte Bayern-Fans hätten vor wenigen Tagen doch noch unterschrieben, dass ein aufgebackenes Croissant die Pariser Startruppe hätte coachen können.
Jetzt heißt es, dass Tuchel gezeigt hat, dass er Weltstars im Griff hat. Das ist genauso glaubwürdig, wie die Lobhudeleien über Nagelsmann, der dann doch gekündigt wurde. Aber das Mia san Mia hat ohnehin schon lange ausgedient an der Isar. Dieses Selbstverständnis, dass man in diesem Club zueinander steht, wurde dabei nicht in den vergangenen Wochen pulverisiert, sondern als Uli Hoeneß vor wenigen Jahren den damaligen Bayern-Spieler Juan Bernat bei einer PK zum Sündenbock für quasi alles machte.
Julian Nagelsmann sollte den Club in die Zukunft führen. Er ist daran gescheitert. Warum sollte es Thomas Tuchel schaffen? Eben! Wenn der Heynckes jünger oder der Flick nicht Bundestrainer wäre, Nagelsmann und Tuchel wären nie ein Thema gewesen.