Auf einmal wird es laut im Foyer der Alleensporthalle in Schwenningen. Rund 50 Kinder fangen an zu schreien. „Qualle, Qualle, Qualle“, rufen sie im Chor. Alexander Hagel, Jugendleiter der DJK Villingen, bringt Ordnung in die aufgeregte Kinder-Gruppe und versucht, eine Schlange zu bilden. Eigentlich läuft gerade ein Hallenturnier der E-Junioren. Aber gerade will niemand von den Kindern Fußball spielen. Sie warten auf ihr Vorbild Qualle. Er wird gleich Autogramme verteilen. Aber wer ist eigentlich Qualle? Und warum freuen sich die Kinder, als wäre gerade Lionel Messi persönlich anwesend?
Wer ist Qualle?
Qualle heißt eigentlich Pascal Martin, ist 22 Jahre alt, kommt aus der Nähe von Bielefeld, ist Schiedsrichter und ein Star im Internet. Warum Qualle? In der Schule war sein Spitzname Pasquale, daraus leitete sich der Name Qualle ab. Auf der Videoplattform TikTok folgen Qualle fast eine Million Menschen. Der Inhalt der Videos? Sein Leben als Schiedsrichter.
Seine Videos zeigen ihn auf dem Platz, ausgestattet mit einem Ansteckmikrofon und in besonderen Spielszenen. Streit unter Spielern, aufgebrachte Trainer, strittige Fouls. Qualle nimmt seine Fans hautnah mit. Am Ende der Videos oft die Frage: „Wie hättet ihr entschieden?“ Und damit begeistert er ein Millionenpublikum. Nicht nur für seine Videos, sondern auch für das Amt des Schiedsrichters.
„Ich kenne ihn durch meinen Sohn“
Mittlerweile kann man Qualle als Schiedsrichter buchen. Auch an diesem Tag wurde Qualle gebucht, von Christian German von der DJK Villingen. „Ich kenne ihn nur durch meinen Sohn“, erzählt der E-Jugend-Trainer aus dem Schwarzwald. Qualle selbst gibt sich bodenständig. „Es ist immer noch krass, wenn ich höre, dass Kinder meine Videos schauen“, so der 22-Jährige. Als er in der Kabine ankommt, liegen Kuchen, Brötchen und Getränke bereit. Ein Empfang, wie ihn wohl nicht jeder Schiedsrichter bei einem E-Junioren-Turnier bekommt.
Gleich muss Qualle aber in die Halle. Bevor er das Turnier anpfeift, gibt er einen Workshop. 37 Kinder im Alter zwischen acht und elf Jahren haben sich angemeldet, um ihm zuzuhören, wie er aus seinem Schiedsrichterleben erzählt. Qualle ist entspannt, macht Späße mit seiner Begleitung: seiner Managerin Vlorjana, und seinem Kameramann Nick. Vergangenes Jahr seien es um die 300 Workshops gewesen.
Seit neun Jahren pfeift der 22-Jährige schon. Und es war nicht immer einfach. „Jeder Schiri steht heute in der Kritik, weil viele Leute nicht wissen, wie hart dieser Job ist“, erklärt Qualle dem SÜDKURIER. Auch wenn er Werbung für Schiedsrichter macht – beschönigen will er nichts. „Ich spiegle wider, was die Realität ist. Ich zeige auch schwierige Szenen in meinen Videos.“
Mit 15 bekam er eine Faust ins Gesicht
Gegen das, was er aber schon erlebt hat, wirken die Szenen in seinen Videos eher harmlos. „Mit 15 Jahren hatte ich eines meiner schlimmsten Spiele. Da habe ich eine Faust ins Gesicht bekommen, das war ein riesengroßer Skandal damals, weil ich danach ein halbes Jahr lang nicht gepfiffen habe.“ Das will er mit seiner Arbeit anderen ersparen. „Mir tut jeder 12- oder 13-Jährige leid, der sich Beleidigungen anhören muss, obwohl er nur ein Spiel pfeifen will.“
Als er die Halle betritt, wird es laut. Kinder kreischen und rufen. Als er das Mikrofon in die Hand nimmt, wird klar: Qualle weiß vor allem, wie man mit Kindern spricht. „Ich kommuniziere mit den Kindern auf Jugendsprache. Ich bin für die Kinder auf Augenhöhe und ich bin selbst im Kopf noch sehr viel Kind“, erklärt Qualle. Sein Verdienst ist nicht nur, dass er Kinder für das Schiedsrichterdasein begeistert. Er setzt sich auch für Respekt auf dem Platz ein.

Zu Beginn des Workshops fragt Qualle: „Wer von euch war schon mal auf den Schiri sauer?“ Fast alle Anwesenden, auch Eltern, heben den Arm. „Wer hat einen Schiedsrichter beleidigt?“ Wieder gehen viele Arme hoch. Selbst bei der Frage, wer schon mal einen Schiedsrichter geschlagen habe, strecken Vereinzelte. „Wichtig ist, dass ihr Beleidigungen für euch behaltet“, sagt Pascal Martin. Anschließend stellt er mit den Kindern Situationen nach. Eine Schubserei zwischen zwei Spielern. Ein weiteres Kind soll dazwischen gehen und schlichten. Er will zeigen, wie schwer es für Unparteiische auf dem Platz ist.
Eltern sind das größte Problem im Jugendfußball
Den wohl wichtigsten Appell des Workshops richtet er aber nicht an die Kinder: „Das größte Problem im Jugendfußball seid nicht ihr, das sind die Eltern.“ Die Kinder ermutigt er: „Wenn ihr merkt, dass ein Trainer oder ein Vater den Schiri beleidigt, dann geht hin.“
Danach verschwindet Qualle in der Kabine, tauscht Trainingsanzug gegen Schiedsrichtertrikot und macht das, wofür er bekannt ist: Er pfeift Spiele, sein Kameramann filmt ihn dabei. Viel muss er heute nicht eingreifen. Die Spiele bleiben fair, keine Diskussionen. Nur nach Abpfiff jedes Mal eine kleine Traube um ihn herum. Jeder will nach dem Spiel mit Qualle abschlagen. Nach seinen Spielen nimmt er sich Zeit für seine Fans. Über eine Stunde lang macht er Bilder und gibt Autogramme.
Auch wenn es anstrengend ist. Seine Arbeit ist wichtig: „Ich würde mir wünschen, dass die Spieler mit uns so umgehen, wie wir mit Spielern umgehen: respektvoll. Ich erwarte nicht, dass die Spieler vor dem Spiel zu mir kommen, mir einen Döner vorbeibringen und mir den roten Teppich ausrollen“, sagt er etwas flapsig. Qualles Ziel ist dabei klar: „Wenn eine Person danach sagt, ich werde Schiedsrichter, dann habe ich heute etwas geschafft.“
Es wirkt auch bei den Eltern nach
Christian German jedenfalls ist zufrieden: „Wenn ich sehe, wie die Kinder teilweise abgehen, war das eine geile Sache.“ Und er sieht als E-Junioren-Trainer auch die Früchte, die Qualles Arbeit trägt: „Ich sehe das auf dem Platz, wie die Kinder auch untereinander miteinander umgehen. Ich denke, da wird ein Ruck durchgehen.“ Auch dass es bei den Eltern etwas bewirkt, glaubt German.
Die Eltern auf der Tribüne sehen das an diesem Tag auch so, auch wenn sie Qualle vorher nicht kannten. „Da steckt Sinn dahinter“, erklärt beispielsweise Holger Brandenburg auf der Tribüne. Vater Andreas Fleig hat mit seinen Kindern extra das Programm geändert, um dabei sein zu können. „Ich finde super, was er macht“, sagt er. Und nun wissen auch sie, wer dieser Qualle ist und warum ihre Kinder seine Videos schauen.
Sie wollen auch Schiedsrichter werden? Informationen finden Sie unter:www.sbfv.de/schiedsrichter
Zur Person
Pascal Martin ist 22 Jahre alt und kommt aus NRW. Seit neun Jahren ist Martin Schiedsrichter und pfiff auch Spiele in der Landesliga. Seit 2022 ist er bekannt durch seine TikTok-Videos. Aus Zeitgründen entschloss er sich, nur noch Videos zu machen. Heute kann Qualle für Spiele und für Workshops gebucht werden. Mittlerweile lebt er davon und setzt sich gleichzeitig für Respekt gegenüber Schiedsrichtern ein.
Sie wollen auch Schiedsrichter werden? Informationen finden Sie unter:http://www.sbfv.de/schiedsrichter