Die über weite Strecken überzeugenden Erfolge gegen Frankreich (2:0) und die Niederlande (2:1) waren die beiden letzten Länderspiele der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, bevor Julian Nagelsmann seinen vorläufigen Kader für die Europameisterschaft in Deutschland ab dem 14. Juni bekannt geben wird. „Die zehn Tage haben sehr viel Spaß gemacht von A bis Z“, resümierte ein gut gelaunter Nagelsmann.
Nach dem Sieg gegen Oranje in Frankfurt, bei dem die DFB-Elf durch Tore von Maximilian Mittelstädt und Niclas Füllkrug einen 0:1-Rückstand drehte, kündigte der Bundestrainer auf der Pressekonferenz bereits an, dass es keine großen Veränderungen mehr beim EM-Kader geben wird: „Wenn alle gesund und fit bleiben, werden wir keine zehn Spieler mehr tauschen, auch keine fünf. Vielleicht ein, zwei – plus Verletzte“, sagte Nagelsmann.
Bedeutet: Für Kicker, die jetzt nicht dabei waren, wird es schwer, noch auf den EM-Zug aufzuspringen. Dagegen können alle Spieler, die jetzt zum Kader gehörten, auf ein Ticket für das Heimturnier hoffen. Die Gewinner und Verlierer.
Die vier größten Gewinner
Toni Kroos: Was für eine Rückkehr in die Nationalmannschaft: Der 34 Jahre alte Mittelfeldstar von Real Madrid war sofort der Chef im zentralen Mittelfeld, bestimmte den Rhythmus des deutschen Spiels. Sowohl gegen Frankreich als auch gegen die Niederlande lieferte er obendrein eine Vorlage – einmal für Florian Wirtz, der gegen die Équipe Tricolore nach acht Sekunden das schnellste Tor der DFB-Historie erzielte und das andere Mal für Füllkrug.
„Toni Kroos war unfassbar“, lobte ihn Bundestrainer Nagelsmann nach dem Sieg in Lyon. Auch die Leistung gegen die Elftal war top. Toni Kroos ist in dieser Verfassung für die EM-Startelf unverzichtbar. Auch er selbst zeigte sich zufrieden: „Die gute Nachricht ist, dass wir zwei sehr gute Testspiele gemacht haben. Die schlechte ist, dass das keine Punkte bringt fürs Turnier.“
Robert Andrich: Alleine glänzte Kroos auf der Doppel-Sechs allerdings nicht: Robert Andrich scheint die ideale Ergänzung zu sein. Er bewies in beiden Duellen seine Präsenz und seine Zweikampfstärke, hält Kroos den Rücken frei. Dass Andrich sowohl gegen die Niederlande als auch gegen Frankreich startete, ist ein klares Statement von Nagelsmann Richtung EM. Was für eine Entwicklung für den 29 Jahre alten Leverkusener, der erst vor vier Monaten bei der 0:2-Niederlage gegen Österreich sein Länderspieldebüt gab.
Maximilian Mittelstädt: Den Stuttgarter Senkrechtstarter, der gegen die Niederlande erst das Gegentor durch einen Fehlpass verschuldete (4.), dann aber mit einem Traumtor für das 1:1 sorgte (11.), lobte Nagelsmann in den höchsten Tönen: „Er hat das überragend gemacht. Ein sehr guter Spieler, viel Ehrgeiz, viel Power und dazu noch ein Top-Typ. Der tut uns gut. Ich hoffe, dass er beim VfB stabil bleibt.“ Mittelstädt scheint nach den beiden Duellen die ideale Besetzung zu sein für die Position des Linksverteidigers, die in der Nationalmannschaft in den vergangenen Jahren häufig als Problemstelle galt.
Julian Nagelsmann: Natürlich zählt auch der Bundestrainer zu den großen Gewinnern: Der 36-Jährige hat mit seinem Team nicht nur beide Partien gewonnen, sondern nach den ernüchternden Testspielen gegen die Türkei und Österreich im vergangenen November eine Mannschaft geformt, die eine erfolgreiche EM spielen kann. Das 4-2-3-1-System passt zu seiner Elf. Nagelsmann zog die richtigen Schlüsse, baute den Kader radikal um, holte Kroos aus dem DFB-Ruhestand zurück und verteilte klare Rollen an jeden einzelnen Spieler. „Der Spirit hat sich ganz anders angefühlt als im November“, sagte der Bundestrainer. Der Verband will mit ihm noch vor der EM verlängern. Aber auch für Vereine ist er wieder sehr interessant.
Die Verlierer
Ilkay Gündogan: Durch die Kroos-Rückkehr ist der Kapitän der Nationalelf offensiver gefordert. Allerdings überzeugte der 33-Jährige in beiden Partien nicht so richtig, fremdelt mit der Rolle auf der Zehn. TV-Experte Bastian Schweinsteiger würde nach aktuellem Stand Leroy Sané auf dem Flügel spielen lassen und dafür Wirtz oder Jamal Musiala im Zentrum agieren lassen. Ob das auch für Nagelsmann eine Option ist? Der Bundestrainer wechselte Gündogan sowohl gegen Frankreich als auch gegen die Niederlande als ersten Spieler aus, stellte aber noch einmal klar, wie wichtig Gündogan für das Team sei.
Marc-André ter Stegen: Nagelsmann bot in beiden Testpartien die identische Mannschaft auf. Alle darin durften sich als Gewinner fühlen – nur einer nicht. Der Torhüter des FC Barcelona hielt zweimal gut, war beim Gegentor gegen Oranje machtlos. Trotzdem wird er, sofern Manuel Neuer sich nicht verletzt, bei der EM einmal mehr die Nummer zwei sein. Bitter für den 31-Jährigen, der überragend in Form ist.
Leroy Sané: Vor wenigen Monaten galt der Offensivmann des FC Bayern als klarer Stammspieler, nun könnte es sein, dass er sich mit der Herausforderer-Rolle arrangieren muss. Der nach seiner Roten Karte gegen Österreich gesperrte Profi sah in Frankfurt auf der Tribüne, wie sich das Trio Wirtz, Musiala und Gündogan einspielte. Dennoch: Um einen Kaderplatz muss sich Sané freilich nicht sorgen. „Er muss sich eingliedern in diese funktionierende Gruppe. Daran habe ich aber keinen Zweifel. Wir werden keinesfalls auf ihn verzichten, weil er außergewöhnliche Qualitäten hat“, sagte Julian Nagelsmann.
Leon Goretzka: Der wohl größte Verlierer: Obwohl der 29-Jährige zuletzt beim FC Bayern überzeugte, scheinen seine Qualitäten aktuell nicht gefragt. Neben Kroos plant Nagelsmann mit einem klassischen Abräumer wie Andrich oder Pascal Groß. Kein Platz also für Goretzka, der nun Topleistungen bei den Münchnern zeigen muss, um sich noch einen Kaderplatz zu erkämpfen.