Es ist ein Herbsttag am Sportpark in Preungesheim. Ein sauberes und gepflegtes Viertel. Mit dem nur wenige Kilometer entfernten Bahnhofsviertel, das Frankfurt oft stigmatisiert, nicht zu vergleichen. Es ist kalt und neblig. Ein hoher Zaun umringt die Plätze, im Hintergrund leuchtet die Skyline. Die zweite Herrenmannschaft von Makkabi Frankfurt bestreitet ein Spiel gegen den FC Korea Frankfurt unter Flutlicht. Es ist eine Fußballidylle, die für einen jüdischen Sportclub in Deutschland seit einigen Wochen nicht mehr selbstverständlich ist.
Der TSV Makkabi München hat kurz nach den Anschlägen in Israel durch die Terrorgruppe Hamas mehrere Spiele absagen müssen. Trainer der gegnerischen Mannschaften hätten massive Drohungen erhalten, sollten sie gegen Makkabi antreten. Spieler von Makkabi Berlin mussten Training und Spiele unter Polizeischutz austragen, auch im Jugendbereich.
Gelebter Multikulturalismus
Der größte jüdische Verein Deutschlands ist jedoch in Frankfurt am Main zu Hause, im Nordosten der Mainmetropole. 1965 gegründet, 27 Abteilungen von Fußball bis Yoga, über 3500 Mitglieder aus 87 verschiedenen Nationen, die zwölf verschiedenen Glaubensrichtungen angehören. „Eine Familie“ ist auf der Homepage zu lesen. Gelebter Multikulturalismus.
Ein paar Zuschauer sind an diesem Abend anwesend, darunter Ariel Leibovici. Er schaut gespannt zu – und ist mit seinen Gedanken doch an einem anderen Ort. Leibovici ist Sportlicher Leiter bei Makkabi Deutschland, dem Dachverband aller jüdischen Vereine. „Die Stimmung ist natürlich sehr bedrückt. Nicht nur im Sport, sondern in allen Lebensbereichen“, betont der 40-Jährige. „Denn viele unserer Mitglieder haben Familie und Freunde in Israel. Es ist einfach unbeschreiblich.“
In Frankfurt tragen sie das Training ganz normal aus, doch die Vorfälle in München und Berlin sind Warnung genug: „Es gibt den einen oder anderen Verein, bei dem wir nicht gern gesehen sind. Und das sind nicht immer nur die Spieler, das können auch die Fans sein. Manche Stadtteile versuchen wir zu vermeiden.“
Muslimische Mannschaften? Die Vermutung liegt nahe. Doch genau da widerspricht der Makkabi-Vertreter. „Uns ist es wichtig, auch nicht-jüdische Sportler in unseren Reihen zu haben, unabhängig von Nationalität oder Religion“, betont Leibovici. „Hier ist jeder willkommen. Das ist die Botschaft, die auch unser Präsident Alon Meyer an uns weitergibt. Und natürlich erwarten wir Toleranz, aber gleichzeitig haben wir auch alle anderen zu respektieren. Und das tun wir. Wir haben auch sehr viele muslimische Sportlerinnen und Sportler bei uns!“
Muslime und Juden in einem Team vereint? Trotz des Konflikts im Nahen Osten? Bei Makkabi Frankfurt sei das so. Leibovici weiß: „Die Aufnahme von muslimischen Sportlern ist gerade jetzt unfassbar wichtig, denn wir stigmatisieren nicht. Die muslimischen Sportler bei uns sind keine von den Verbrechern. Sie wollen nur Sport treiben.“ Und statt sie für eine der beiden Seiten zu mobilisieren, verfolgt er mit Makkabi Deutschland ganz andere Ziele: „Wir wollen gerade Kindern und Jugendlichen Sicherheit bieten. Ich habe selbst oft von Mobbing und sogar körperlichen Auseinandersetzungen an Schulen gehört. Hier bei uns soll das nicht passieren.“
Hakenkreuz am Schlüsselbund
Dabei passiert es, jeden Tag. Und manche Szenen bleiben Leibovici für immer in Erinnerung: „Einmal hat uns der Gegner geschlossen empfangen und wir haben einen Schlüssel für die Gästekabine erhalten. Der Schlüsselbund war ein Holzbalken mit eingraviertem Hakenkreuz.“ Und es wurde schlimmer: „Fans der gegnerischen Mannschaft standen mit Eisenstangen am Spielfeldrand und warteten auf den Schlusspfiff.“
Ob es in Zukunft besser wird? Der 40-Jährige zweifelt daran: „Ich befürchte, dass wir die große Eskalation noch vor uns haben. Wir werden noch viel Hass auf den Straßen und Sportplätzen erleben.“ Leibovici ist vor einigen Tagen im ZDF-Sportstudio dabei, als Alon Meyer, Präsident von Makkabi Deutschland und Mitglied der jüdischen Gemeinde in Frankfurt, geladen ist. „Wir alle sind betroffen! Und wir alle sind dafür verantwortlich, dass Antisemitismus erkannt, verurteilt und bekämpft wird.“
Vorurteile abbauen
Meyer sieht die Makkabi-Vereine als Integrationsprojekt an. Allein in den letzten fünf Jahren habe sich die Mitgliederzahl verdreifacht. Und auch er bestätigt, dass darunter auch viele muslimische Neumitglieder seien. „Bei uns werden Vorurteile abgebaut“, betont Meyer. „Wir bieten Schwimmkurse für muslimische Frauen und Mädchen an, da viele von ihnen es nie gelernt haben. Und sie fühlen sich bei uns wohl“, betont Meyer.
Allerdings sei die Situation auch vor den Terrorakten manchmal nicht einfach gewesen: „Als wir vor einigen Jahren ein Gruppenfoto mit unserem Logo, also dem Davidstern, machen wollten, weigerten sich drei Frauen, mit auf das Bild zu kommen.“ Die Frauen nahmen anschließend nicht mehr am Training teil. „So etwas ist für uns sehr traurig“, bedauert der Vereinspräsident. Immerhin: „Eine von ihnen meldete sich bei uns später und war beim nächsten Fototermin dabei – vor dem Logo.“
Es sind Momente wie diese, die den Vereinspräsidenten an eine Zukunft ohne Antisemitismus glauben lassen, wenngleich er seit dem 7. Oktober manchmal „alles infrage“ stellt. Die Tage von Hakenkreuzen an Schlüsselbunden, von Saujuden-Rufen bei Spielen, sie sollten schon lange vorbei sein. Sie sind es aber nicht. Nicht in Preungesheim, nicht in Deutschland.