Gerade ist der Abpfiff der letzten Vorrundenpartie ertönt, der SC Freiburg hat Bayer Leverkusen 2:1 besiegt und sich auf Rang drei der Tabelle vorgeschoben. Jubelszenen überall, am Spielfeldrand zelebriert Trainer Christian Streich den grandiosen Moment erst mal mit drei Fußstampfern. Dann umarmt er alle, die seinen Weg kreuzen, eher flüchtig, doch als Streich vor Markus Behrens steht, ist er nicht mehr zu halten. Der Physiotherapeut des Sportclubs, ein großer, kräftiger Mann, hat keine Chance. Der Trainer umarmt ihn, drückt ihn, schüttelt ihn derart intensiv, dass Behrens hin und her wackelt und schon auch mal mit dem Kopf an der Überdachung der Freiburger Ersatzbank landet.
Ein Mann großer Emotionen
Aber alles gut, so ist das mit diesem Christian Streich, der ein blitzgescheiter Mensch ist, der in nachdenklichem Ton zu allen wichtigen Themen der Welt Interessantes mitzuteilen vermag, im Sportdress an der Seitenlinie aber immer ein Mann großer Emotionen ist. Durchaus auch mal negativer, etwa wenn er seine Mannschaft und damit auch immer sich selbst von einem Schiedsrichter ungerecht behandelt fühlt. Meist aber positiv, wenn es gilt, seine Jungs während der Partie anzuspornen. Oder wenn es nach besonderen Siegen wie etwa dem gegen Leverkusen gilt, spontanen Dank durch einen Händedruck oder eine Umarmung auszudrücken. Das kann denn für Ahnungslose schon mal so aussehen, als würde im konkreten Beispiel der Physio Behrens vom Trainer Streich gewürgt. Aber alle, die die einzigartige Atmosphäre beim SC und die besonders ausgeprägte Empathie des Trainers kennen, die wissen: Das muss so sein!
Am heutigen Tag ist Christian Streich zehn Jahre als Chefcoach des SC Freiburg im Amt. Lange bearbeiten mussten sie ihn damals im Verein, dass er zur Halbzeit der Saison 2011/12 das Amt übernahm von Marcus Sorg, der kein Fortune hatte und mit dem SC abgeschlagen auf dem letzten Platz lag. Streich zierte sich, arbeitete er doch jahrelang mit dem Kollegen Sorg zusammen, da greift man nicht einfach leichten Herzens zu. Zumindest nicht, wenn man wie Streich Werte lebt wie Haltung, Achtung und Respekt. Der Kopf brummte, der Magen grummelte, dann hat er Ja gesagt. Zum Glück, darf man sagen, jetzt nach zehn Jahren als dienstältester Trainer der Liga. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum hatten der VfB Stuttgart, der Hamburger SV und Schalke 04 jeweils eine zweistellige Anzahl an Trainern.

Damals vor zehn Jahren schien es ein Himmelfahrtskommando zu sein, doch Streich sah das fundamental anders. Es könne nicht um den Klassenerhalt gehen, sondern nur darum, bis zum Saisonende richtige Strukturen aufzubauen, die gerade auch nach einem Abstieg taugen würden. Wäre da die Vereinsführung nicht mitgegangen, hätte es den Bundesligatrainer Christian Streich nicht gegeben. Und dann? Wurden rasch die Spieler besser und die Ergebnisse auch, schon am 32. Spieltag war der Ligaverbleib geschafft.
Drei Jahre später ist der SC dann doch abgestiegen. Nach einer „grotesken Saison“ mit neun vergebenen Matchbällen zum Klassenerhalt. Der Moment, in dem der Abstieg besiegelt ist, sagt Streich im Rückblick, „der war brutal, extrem brutal“. Weil damit Lebensentwürfe infrage gestellt wurden bei so vielen Menschen im Verein, nicht nur bei Spielern und dem Trainerteam. Der SC Freiburg aber kam ein Jahr später mit Glanz und Gloria als Zweitligameister zurück, „im Nachhinein betrachtet könnte man fast sagen, der Abstieg 2015 war ein Glücksfall“. Streich lächelt, nein, war er natürlich nicht, weil es die Gewissheit des Wiederaufstiegs ja nicht gibt. Aber in Freiburg haben sie im Zweitligajahr ein ganz besonderes Gemeinschaftsgefühl gebildet, auf dem alles fußt, was danach passierte.
Ein ganz besonderer Luxus
Zehn Jahre Sportclub-Trainer! „Ich bin jetzt schon über 25 Jahre beim SC. Und ich bin hier privat verwurzelt und empfinde es als Luxus, wenn man quasi daheim arbeiten kann, da wo die Familie ist“, sagt er und fügt lächelnd hinzu: „Es scheint, dass ich ein erzkonservativer Bock bin, der von der Welt spricht und immer am gleichen Ort bleibt.“
Gut so. Für den SC Freiburg und für Christian Streich selbst auch. Und die Bundesliga freut sich mit dem Jubilar, den sie je nach Sichtweise wahrnimmt als Unikum oder Kauz, als Besessener oder Wüterich, als Meinungsmacher oder Philosoph. Mal aufbrausend, immer ehrlich. Weltoffen, witzig. Auf jeden Fall aber als Menschenfreund und das selbstverständlich auch Markus Behrens, dem Physio, der die Umarmung unbeschadet überstanden hat.
Streichs beste Sprüche
„Man verändert sich immer, weil man hat ja Stoffwechsel. Man ist ja nicht tot.“Christian Streich, der Philosoph
„Wir müssen nicht gewinnen. Was wir müssen, ist sterben.“Christian Streich über die Relativität von Fußballresultaten
„Ein Verein gehört nicht einem Menschen. Der Verein gehört den Menschen und Mitgliedern, die sich mit ihm identifizieren.“Christian Streich hält nichts von reichen Investoren
„Eine Niederlage wird dann gleich zur Pleite gemacht. Ich finde das unmöglich, alles zu dramatisieren, alles in Gut und Böse zu unterteilen.“Christian Streich kommt gut aus mit den Medien, schreckt aber auch nicht vor deutlicher Kritik zurück
„Am beschte: Machsch‘ de Fernseher aus, schausch‘d Tabelle nit an, bringt eh alles nix. Spielsch‘! Übsch‘!“Christian Streich auf gut badisch nach einem enttäuschenden Spiel