Eine immer unwägbarere Weltpolitik, der Aufstieg nationaler Egoismen und das Unvermögen der Politik, wichtige Weichenstellungen zu treffen – auf dem gemeinsamen Neujahrsempfang der Handwerkskammer Konstanz (HWK) und der Industrie- und Handelskammer Hochrhein-Bodensee (IHK) im Konstanzer Bodenseeforum, haben Vertreter beider Kammern an Verantwortungsbewusstsein und gemeinschaftliches Handeln als Grundlage für wirtschaftlichen Erfolg appelliert.

Als Gastredner war es den Kammern in diesem Jahr gelungen, mit Bundeswirtschaftminister Peter Altmaier (CDU) eine Polit-Größe aus Berlin an den Bodensee zu locken. "Ich freue mich riesig, dass Sie mir als Saarländer hier Asyl gewähren – wenn auch nur auf Zeit", sagte der für seinen Humor bekannte Altmaier unter dem Beifall der rund 1000 Gäste im Konstanzer Bodenseeforum.
Selten bierernst: Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier
Mit guten Vorsätzen fürs neue Jahr sieht es Altmaier nach eigenem Bekunden nicht so eng. Abnehmen im neuen Jahr kommt für ihn jedenfalls nicht in Frage. Immerhin wolle er "seinen Titel als gewichtigster Minister im Kabinett 2019 erfolgreich verteidigen", sagte er schmunzelnd, bevor er sich ernsteren Sachthemen zuwendete.
Diesen widmeten sich auch die Kammerpräsidenten in ihren Reden. „Unser Gemeinwesen funktioniert, wenn wir die Dinge, die für einen alleine zu groß oder zu komplex oder zu heterogen sind, zusammen angehen und gemeinsam bewältigen“, sagte IHK-Chef Thomas Conrady. Genau dieses seit Jahrzehnten bewährte Prinzip werde aktuell aber von mehreren Seiten infrage gestellt. „Nicht heimlich oder versteckt, sondern offen und aggressiv“ propagiere US-Präsident Donald Trump beispielsweise einen gänzlich anderen Gesellschaftsentwurf als den unsrigen.
„Jeder für sich und gegen die anderen“, laute das Motto, das gleichbedeutend mit offenem Egoismus sowie der Abwesenheit von Solidarität sei „und am Ende im Extrem auch für den Zerfall von Gesellschaft“ stehe, wie Conrady sagte. Dabei stehe die Welt vor Aufgaben wie der Friedenswahrung und der Bekämpfung von Terror, Not und Hunger sowie der Organisation eines fairen Welthandels und der Klimarettung. Allesamt Herausforderungen, von denen auch der „größte Egomane nicht annehmen kann, sie alleine lösen zu können“, sagte er.
Löst Deutschland seine Probleme?
Aber werden drängende Probleme wenigstens in Deutschland noch gelöst? Gotthard Reiner, Handwerkskammerpräsident in Konstanz, ist da skeptisch. „Die große Koalition hat die großen Würfe bis heute noch vermissen lassen“, sagte der Elektroinstallateurmeister. Dafür sei man in Deutschland Zeuge einer Politik, die geprägt sei von innerparteilichen Streitereien und Machtgerangel. „Die Sachpolitik blieb 2018 allzu häufig auf der Strecke“, sagte Reiner. Der Dieselstreit sei ausgesessen, der Breitbandausbau vertrödelt worden. Das Kümmern um wichtige Zukunftsfragen komme zu kurz.
Immerhin habe die Politik den Entwurf eines Fachkräfteeinwanderungsgesetzes vorgelegt, das das Potenzial habe, den deutschlandweit grassierenden Fachkräftemangel zu entschärfen, etwa indem es für qualifizierte Flüchtlinge einfacher werde, hierzulande dauerhaft Arbeit aufzunehmen. Im Kammergebiet stellen Flüchtlinge aktuell immerhin rund sieben Prozent der Handwerks-Azubis.
Außerdem hofft man im Handwerk auf eine Rückkehr des Meistertitels. In 37 Gewerken fiel der Qualitätsnachweis der Branche im Jahr 2004 weg – mit zweifelhaftem Erfolg, wie das Handwerk meint. Neben Qualitätsproblemen wirke sich die Regelung auch nachteilig auf die Betriebsnachfolge sowie die Ausbildungsfähigkeit der ganzen Branche aus. Die duale Ausbildung ist auch der IHK eine Herzensangelegenheit.
Mittlerweile bildeten aber von mehr als 40 000 Mitgliedsfirmen von Konstanz bis Waldshut nur noch knapp 2000 Firmen aus, sagte IHK-Chef Conrady. Diese setzten das Fundament für eine stete Fachkräfteversorgung, vor der auch alle anderen Unternehmen profitierten. Auch aus dieser Sicht sei es solidarisches Handeln, so Conrady, das die Grundlage einer erfolgreichen Wirtschaftsordnung bilde.
Was Altmaier 2019 anpacken will
Schlechte Mobilfunkverbindungen, Probleme bei der Digitalisierung und mangelnde Gründerkultur. Bundeswirtschaftminister Peter Altmaier (CDU) hat auf dem Neujahrsempfang seine Ziele in wichtigen Poltikbereichen formuliert. Eine Auswahl:
- Die Reformunfähigkeit: Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat auf dem Neujahrsempfang der IHK und HWK an die Reformfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft appelliert. „Die Welt schaut auf uns“, sagte der CDU-Politiker. Überall in der Welt stehe Deutschland beispielhaft für eine Industrienation, der es gelinge, Lebensqualität mit Umweltschutz und einer leistungsfähigen Wirtschafts- und Arbeitswelt zu verbinden. Er habe aber den Eindruck, dass es Deutschland teilweise verlernt habe, die Dinge beherzt anzupacken und umzusetzen.
- Fehlplanungen: Als Beispiele nannte der Saarländer den schleppenden Ausbau des 5G-Funknetzes sowie von Großprojekten. Beim Mobilfunk hätten Länder wie die Niederlande klar die Nase vorn. Wenn er dagegen in Berlin bei der Fahrt auf einer Autobahn telefoniere, müsse er oft fünf Mal neu wählen. Für die Wirtschaft seien solche Standortbedingungen „total problematisch“, sagte er und gab das Ziel aus, dass Deutschland innerhalb von fünf Jahren über das beste Mobilfunknetz des Kontinents verfügen solle. Bei der Digitalisierung der Verwaltung sei Estland viel weiter als Deutschland, sagte er. Die Bürger dort müssten für Behördengänge nicht mehr aufs Amt. Das spare Zeit und Geld und habe die Wirtschaftleistung um gut zwei Prozent erhöht.