Herr Fratzscher, es gibt verstärkt Anzeichen dafür, dass die dunklen Wolken am Konjunkturhimmel vorübergezogen sind. Wird es im neuen Jahr besser?
Die Wolken sind noch da. Es sind viele dunkle Wolken am Horizont. Die Frage ist, ob sie Richtung Deutschland ziehen oder einen Umweg machen. Es gibt durchaus Grund für Optimismus. Deutschland hat ein großes wirtschaftliches Potenzial. Es gibt keinen Grund, Deutschland schlechtzureden. Wir haben eine hoch wettbewerbsfähige Wirtschaft. Tolle Exportunternehmen, die im globalen Wettbewerb bestehen. Wir haben einen hervorragenden Arbeitsmarkt.
Hält das Stellen-Wunder an?
Wir profitieren immer noch von Zuwanderung, die Beschäftigung steigt noch immer. Nicht mehr so stark wie in der Vergangenheit, aber es geht weiter nach oben. Wir rechnen mit 150 000 zusätzlichen neuen Jobs im neuen Jahr. Das ist ganz ordentlich. Der Staat hat außerdem immer noch große Spielräume, um notfalls zu reagieren. Im vergangenen Jahr werden wir ein Wachstum von 0,5 Prozent erreichen. Im neuen Jahr dann schon wieder 1,2 Prozent und 1,4 Prozent in 2021. Aber die dunklen Wolken sind da. Die Risiken sind enorm. Die Risiken sind nach unten gerichtet. Das macht mir Sorgen.
Welche Risiken sind das?
Die üblichen Verdächtigen, aber nicht nur. Ein Risiko sind globale Handelskonflikte. Viele unterschätzen, dass sich Donald Trump Deutschland und Europa doch noch vorknöpft. Ich befürchte, das wird 2020 kommen, weil in den USA gewählt wird. Weil Trump politische Motive hat. Wirtschaftliche Motive sind es nicht. Dann würde man ja realisieren, dass Handelskonflikte keine Gewinner haben, sondern nur Verlierer. Außerdem der Brexit. Nach den Wahlen in Großbritannien scheint der Brexit nun Ende Januar zu kommen. Wie er sich auswirken wird, wissen wir nicht. Deutschland wird davon nichts gewinnen, nur verlieren. Die Frage ist, wie viel. Wir haben auch mit China ein großes Fragezeichen und mit Italien einen Wackelkandidaten in der Eurozone.
CDU/CSU und Wirtschaftsverbände wollen den deutschen Unternehmen unter die Arme greifen, um den internationalen Schwierigkeiten etwas entgegenzusetzen. Sie fordern, die Steuern zu senken, um dann über höhere Investitionen das Wachstum anzuschieben. Macht das Sinn?
Für mich ist das ein sehr populistisches Argument. Man müsse nur die Unternehmen steuerlich entlasten und dann würde alles besser werden. Die Zukunft sei golden und dann würden sich diese Steuersenkungen rechnen. Ich bin überzeugt, dass Unternehmen in Deutschland mehr Unterstützung brauchen. Aber eine Steuersenkung per Gießkannen-Prinzip ist die falsche Antwort.
Warum?
Aus verschiedenen Gründen. Die Gewinne der Unternehmen sind generell hoch. Die Unternehmen können im globalen Wettbewerb mithalten. Der Euro ist relativ schwach. Auch die Exporteure profitieren davon. Das Problem ist nicht, dass die Unternehmen nicht wettbewerbsfähig oder zu teuer sind. Das Problem ist die Regulierung und eine überbordende Bürokratie. Diese Probleme werden Steuersenkungen offensichtlich nicht lösen.
Weil alles zu lange dauert?
Richtig. Die Bürokratie ist hierzulande häufig zu langsam. Wenn Sie eine neue Fabrik oder ein neues Unternehmen einführen, dann fehlen dem Unternehmen außerdem Fachkräfte. Wir haben leider auch eine schlechte digitale Infrastruktur. Hier brauchen die Unternehmen Unterstützung. Gerade in der digitalen Transformation. Förderung von digitaler Innovation von mittelständischen Unternehmen beispielsweise.
Die SPD als Partner in der großen Koalition hat sich gerade neu positioniert. Die Sozialdemokraten wollen die Vermögensteuer wieder erheben. Dafür gab es viel Gegenwind, die Wirtschaft schlug Alarm. Macht die Vermögenssteuer den Mittelstand kaputt?
Wir sollten die Vermögenssteuer nicht direkt vom Tisch wischen, sondern wir brauchen eine Diskussion, wie Vermögen sich stärker an den Staatsausgaben beteiligen kann. Denn kein anderes Industrieland besteuert Arbeit so stark und Vermögen so gering wie Deutschland. Meine erste Präferenz ist nicht die Vermögenssteuer, die ist teuer und schwierig zu erheben. Das kann zu falschen Anreizen und zu Kapitalflucht führen. Meine bevorzugte Form wäre, die Grundsteuer auf Boden und Immobilen zu erhöhen. Und eine faire Erbschaftsteuer, die alle im Prinzip gleichbehandelt. Dies ist im Moment nicht der Fall, weil zum Beispiel reiche Firmenerben so gut wie keine Erbschaftsteuer zahlen. Das Thema vermögensbezogene Steuern sollte kein Tabu sein.